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ASIEN/553: Islamabad nach Marriott-Anschlag unter Zugzwang (SB)


Islamabad nach Marriott-Anschlag unter Zugzwang

Mahlstrom des Antiterrorkrieges zieht Pakistan in die Tiefe


Am 18. Oktober 2007, am Tag der triumphalen Rückkehr Benazir Bhuttos nach Pakistan nach Jahren im Exil, kam es in der Hafenmetropole Karatschi zu einem Bombenanschlag auf den Autokonvoi der ehemaligen Premierministerin, der 140 Menschen das Leben kostete und mehr als 400 schwer verletzt zurückließ. Es handelte sich hierbei um den bis heute schwersten "Terroranschlag" in der Geschichte Pakistans. Nichtsdestotrotz wird der Bombenanschlag, der vor drei Tagen, am 20. September, das Marriott-Hotel in der Hauptstadt Islamabad verwüstete, rund 60 Menschen tötete und mehr als 200 verletzte, zum pakistanischen 9/11 hochstilisiert.

Da stellt sich die Frage, warum letzterer Anschlag, der weniger als die Hälfte der Opfer des ersteren forderte, zur großen Zäsur erklärt wird. Wiegt die Ermordung einfacher Pakistaner weniger schwer als die der Gäste eines amerikanischen Nobelhotels, die hauptsächlich aus Ausländern und Angehörigen der pakistanischen Elite bestehen? Offenbar ist es so. Hinzu kommt, daß der von den Medien vielfach bemühte Vergleich zwischen dem Marriott-Anschlag mit den Flugzeugangriffen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington vor sieben Jahren ganz klar dazu dienen soll, Pakistans neue Regierung und neuen Präsidenten Ali Asif Zardari unter Zugzwang zu setzen, damit sie endlich den USA die von Washington seit langem geforderte freie Hand für die Bekämpfung der Taliban und Al Kaida in der Grenzregion zu Afghanistan geben.

Es dürfte kein Zufall sein, daß sich der Anschlag auf das Marriott nur wenige Stunden, nachdem Zardari vor der Nationalversammlung in Islamabad seine Antrittsrede als Staatsoberhaupt hielt, ereignete. Vor dem Hintergrund anhaltender Raketenangriffe der US-Streitkräfte in Afghanistan auf mutmaßliche Unterschlupfe militanter NATO-Gegner in der pakistanischen Grenzregion sowie des hochumstrittenen, ersten Einsatzes von amerikanischen Bodenstreitkräften auf pakistanischem Territorium am 2. September wiederholte der Witwer Bhuttos das, was praktisch alle Pakistaner seit langem empfinden, nämlich daß solche Aktionen gegen die Souveränität ihres Landes verstoßen und deshalb völlig inakzeptabel sind. Nach dem Marriott-Anschlag hörte sich die Rhetorik Zardaris anders an. In einer Fernsehansprache an das Volk, die kurz nach Mitternacht ausgestrahlt wurde, bezeichnete Zardari den "Terrorismus" als ein "Krebsgeschwür", das die pakistanische Gesellschaft bedrohe und deshalb mit allen erforderlichen Mitteln bekämpft werden müsse.

In seiner Fernsehansprache bekundete Zardari sein Mitleid mit den Opfern des Marriott-Anschlags und deren Angehörigen unter Verweis auf den Verlust seiner eigenen Frau, die am 27. Dezember nach einer Wahlkampfveranstaltung in Rawalpindi ermordet worden war. Allgemein wird in beiden Fällen angenommen, daß hinter dem Anschlag islamistische Kreise stehen. Es gibt jedoch nicht wenige Gründe, diese Annahme in Frage zu stellen. Für das Attentat auf Bhutto machten die pakistanischen Behörden und die CIA Baitullah Mehsud verantwortlich. Der sogenannte Chef der pakistanischen Taliban hat jedoch diesen Vorwurf von sich gewiesen. Interessant ist auch die Tatsache, daß sich zu dem Anschlag auf die Islamabader Filiale der US-Hotelkette Marriott eine Gruppe namens Fedajin Islam bekannt hat, von der niemand etwas richtig zu wissen scheint.

Ähnlich wie bei der Ermordung Bhuttos stellt sich die Frage, wie die Attentäter so nahe an das Zielobjekt herangelangen konnte. Das Marriott liegt im Regierungs- und Diplomatenviertel Islamabads. Dennoch kam ein Lastwagen voller Sprengstoff an den vielen Straßenkontrollen in diesem bestbewachten Teil der pakistanischen Hauptstadt vorbei und schaffte es fast bis auf das Gelände des Hotels - und das trotz der Tatsache, daß laut offiziellen Angaben seit drei Tagen Alarm wegen erhöhter Anschlagsgefahr in Islamabad herrschte. Die Bombe explodierte am Kontrollhäuschen am Beginn der Einfahrt rund 60 Meter vor der Empfangshalle. Angesichts der Bilder der Verwüstung möchte man sich nicht ausmalen, wie hoch die Zahl der Toten und Verletzten gewesen wäre, hätte die Wachmannschaft des Hotels den Lastwagen nicht kurz vor dem letzten Abschnitt seiner Fahrt aufgehalten. Für den mutigen Einsatz mußten die meisten dieser Männer mit dem Leben bezahlen. Sie kamen in dem Feuerinferno - offenbar war der Bombe hochentzündliches Aluminiumpulver beigemischt worden - um. Dieser Zusatz spricht dafür, daß die Hersteller der Bombe absolute Topspezialisten waren.

Merkwürdig sind auch die Angaben Rehman Maliks, des einflußreichen Sicherheitsberaters des pakistanischen Innenministeriums, der am 22. September vor Journalisten erklärte, ursprünglich hätte der Sprecher des Parlaments, Fahmida Mirza, am fraglichen Abend ein Essen im Marriot veranstalten wollen, zu dem Präsident Zardari, Premierminister Yousaf Raza Gilani samt des kompletten Kabinetts sowie der Armeechef Ashfaq Parvez Kayani und die Vorsitzenden der Teilstreitkräfte eingeladen waren. Aus bisher unbekannten Gründen hat man jedoch kurzfristig entschieden, das Abendessen in die Residenz des Premierministers zu verlegen. Noch merkwürdiger sind die Angaben, welche die angesehene pakistanische Zeitung Jang am 21. September machte. Demnach war das Ziel des Anschlages eventuell eine Gruppe US-Militärs, die im obersten Stockwerk des Hotels einquartiert waren.

In der Jang berichtete Ansar Abbasi von sonderbaren Aktivitäten am Marriott, die dort ausgerechnet am Abend jenes Tages, des 17. September, stattfanden, an dem Admiral Michael Mullen, der Vorsitzende der Vereinigten Stabchefs und damit ranghöchste Soldat Amerikas, einen unankündigten Besuch in Islamabad machte, um von der Gilani-Regierung mehr Anstrengungen im Antiterrorkrieg zu fordern. Nach Angaben von Abbasi haben Parlamentsabgeordete Mumtaz Alam Gilani und mehrere seiner Freunde, die nach einem Abendessen im Marriott das Hotel verlassen wollten, mit eigenen Augen gesehen, wie kurz vor Mitternacht eine Gruppe US-Soldaten einen Lastwagen entluden und sonderbare Metallkisten in das Gebäude brachten. Niemand vom Hotelpersonal durfte die Kisten anfassen, und während der Aktion waren Einfahrt und Ausfahrt des Gebäudes von US-Militärfahrzeugen blockiert. Dadurch kamen Besucher des Restaurants nicht vom Gelände des Hotel herunter. Angesichts solcher Anomalien ist der Vergleich des Marriott-Anschlags in Islamabad mit dem 11. September eventuell doch angebracht - nur nicht in dem Sinne, wie die es die Antiterrorkrieger verstanden haben wollen.

23. September 2008