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ASIEN/600: USA betreiben Eskalation am Kriegsschauplatz Af-Pak (SB)


USA betreiben Eskalation am Kriegsschauplatz Af-Pak

Can-do-Mentalität der Amerikaner wird den Afghanen zum Verhängnis


Am Hindukusch entwickeln sich die Dinge mit jedem Tag zum Schlimmern hin. Auf Drängen der USA gehen die pakistanischen Streitkräfte seit einigen Wochen mit voller Wucht gegen die einheimischen Taliban, die multinationale Al Kaida und ihrer paschtunischen Unterstützer vor, um die Nutzung der Nordwestfrontierprovinz (NWFP) und der Federally Administered Tribal Areas (FATA) Pakistans als Rückzugsgebiet für die Anti-NATO-Milizen Afghanistans zu unterbinden. Wegen der heftigen Kämpfe im Swat-Tal und der umliegenden Region der NWFP zwischen den Truppen Islamabads und den pakistanischen Taliban sind inzwischen bis zu drei Millionen Pakistaner zu Inlandsflüchtlingen geworden. Wann diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren können und was sie dort vorfinden werden, ist unklar. Berichten zufolge sind zum Beispiel einige Viertel von Mingora, der größten Stadt im Swat-Tal, infolge der Kämpfe zerstört. Bei einer ähnlichen Offensive im letzten Jahr ließen die pakistanischen Streitkräfte weite Teile des Bezirks Bajaur, ebenfalls in der NWFP, verwüstet und fast unbewohnbar zurück. Berichten zufolge soll auf die Militäroperation im Swat-Tal eine weitere in Nord- und Südwasiristan, wo sich angeblich Mullah Omar, der Chef der afghanischen Taliban, Baitullah Mehsud, der Anführer der pakistanischen Schwesterorganisation, und ihre engsten Kampfgefährten aufhalten, folgen.

In einem Artikel, der am 31. Mai bei der US-Zeitungsgruppe McClatchy erschienen ist, schrieb Saeed Shah, die Offensive der Pakistaner in Nord- und Südwasiristan solle Hand in Hand mit der von Präsident Barack Obama angeordneten Aufstockung der US-Streitkräfte in Afghanistan um 21.800 Mann erfolgen. Dazu zitierte der McClatchy-Korrespondent Javed Hussein, einen Brigadier a. D. der pakistanischen Streitkräfte, wie folgt: "Sie sollen mit den Amerikanern zusammenarbeiten und die klassische Hammer-und-Amboß-Technik anwenden, wonach die pakistanischen Streitkräfte Südwasiristan isolieren und sie (die Taliban) in Richtung Grenze treiben. Dort werden die Amerikaner als Amboß agieren, während die pakistanischen Streitkräfte den Part des Hammers übernehmen. Zwischen den beiden werden die Aufständischen zermalmt."

Während dem Ex-Brigadier offenbar ein schneller Sieg vorschwebt, sehen die meisten Experten die Lage völlig anders. Bereits in der Überschrift zu besagtem Artikel schrieb Shah von einem "sich ausweitenden Krieg" und warnte vor der Gefahr, daß die kommende Militäroffensive an der Grenze zu Afghanistan Pakistan noch weiter destabilisieren und viele Menschen in die Arme der Gegner der NATO-Präsenz am Hindukusch und der Allianz Islamabads mit Washington treiben könnte. Doch die Kriegsstrategen in den USA scheint dieses Alptraumszenario nicht im geringsten zu kümmern. Ganz im Gegenteil richtet sich die Obama-Regierung - ungeachtet der zu erwartenden verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung in der Region - offenbar auf eine langjährige Auseinandersetzung am Kriegsschauplatz Af-Pak ein.

Wie Saeed Shah und sein Kollege Warren Strobel bereits am 27. Mai für McClatchy berichteten, hat das Weiße Haus vor kurzem beim Kongreß die Bewilligung von 806 Millionen Dollar beantragt, damit das State Department in Islamabad eine neue Botschaft, ähnlich derjenigen in Bagdad, die so groß wie die Vatikan-Stadt ist, bauen und neue Konsulate in Karatschi und Peshawar einrichten kann. In letzter Zeit soll die Zahl der Mitarbeiter des US-Konsulats in der Hauptstadt der NWFP von drei auf mehrere Dutzend gestiegen sein - von denen nicht wenige CIA-Agenten sein dürften. Um diese angemessen unterzubringen, plant Washington, das Pearl Continental, das einzige Fünf-Sterne-Hotel Peshawars, zu kaufen und zu einem Konsulat und einer Spionagezentrale in einem umzufunktionieren. Damit dürfte die Entscheidung für Krieg und gegen Touristik und Ausbau der zivilen Wirtschaft in der Region auf absehbare Zeit gefallen sein.

Bei der Anhörung vor dem Verteidigungausschuß des Senats am 2. Juni zum Thema der Nominierung des Generals Stanley McChrystal zum neuen Oberkommandierenden aller NATO-Streitkräfte in Afghanistan erklärte dieser, daß der Krieg dort seiner Meinung nach "gewinnbar" sei, aber daß er gleichwohl erwarte, daß es bis zu 24 Monate dauern werde, bis sich die militärische Lage zugunsten der Streitkräfte der NATO und der neuen nationalen Armee Kabuls gewendet habe. "Ich glaube, daß die Aufstandsbekämpfung Zeit braucht", so McChrystal, der seit einigen Jahren strenggeheime Operationen der US-Spezialstreitkräfte - zuletzt im Irak - leitet und deshalb von Obama, Verteidigungsminister Robert Gates und dem CENTCOM-Oberbefehlshaber General David Petraeus ausgewählt wurde, um den Taliban und der sie unterstützenden paschtunischen Bevölkerung das Fürchten zu lehren.

Es erscheint jedoch höchst fraglich, ob es McChrystal und seiner Special-Ops-Truppe gelingen wird, innerhalb von 24 Monaten das Blatt zu wenden. Derzeit gehen die Zahlen der getöteten Soldaten, Aufständischen und Zivilisten alle steil noch oben. Dieser Trend dürfte vorerst anhalten. Nichtsdestotrotz wird derzeit im Pentagon überlegt, wie man die Statistiken so frisiert, daß Präsident Obama demnächst irgendwelche "Erfolge" vorweisen kann. In einem Artikel über die katastrophale Lage in Afghanistan, der am 2. Juni bei der US-Tageszeitung Christian Science Monitor erschienen ist, wurde ein nicht namentlich genannter, ranghoher Mitarbeiter des amerikanischen Verteidigungsministeriums dahingehend zitiert, daß man im Pentagon "immer noch dabei" sei, "herauszufinden, wie die Meßlatte der Effektivität aussehen" solle.

Für den unbeteiligten Beobachter dagegen weisen einige Indizien eindeutig darauf hin, daß die US-Militärpräsenz in Afghanistan von langer Dauer sein soll. Wie Pepe Escobar bereits am 22. Mai in der Asia Times Online berichtete - und was von dem berühmten britischen Kriegskorrespondenten Robert Fisk am 2. Juni im Londoner Independent bestätigt wurde -, baut das US-Pionierkorps in Dasht-e-Margo, der "Wüste des Todes", in der schwer umkämpften südafghanischen Provinz Helmand einen weiteren Militärstützpunkt, der noch in diesem Sommer in Betrieb genommen werden soll und von wo aus die US-Luftwaffe Einsätze gegen die Taliban in der umliegenden Region fliegen kann und McChrystals Spezialstreitkräfte verdeckte Operationen jenseits der nahelegenen pakistanischen Grenze führen können. Am 2. Juni wartete Nancy A. Youssef in einem Bericht für McClatchy Newspapers mit der Nachricht auf, daß sich derzeit die Kosten für die neuen afghanischen Sicherheitskräfte auf vier Milliarden Dollar im Jahr - mehr als das Vierfache des auf 800 Millionen Dollar geschätzten afghanischen Bruttosozialprodukts - belaufen. Wie es eine anonyme Quelle Youssefs im amerikanischen Regierungsapparat auf den Punkt brachte, bauen die USA in Afghanistan derzeit eine Armee und eine Polizei auf, welche sich das geschundene Land niemals wird leisten können. So sieht also das "nation building" à la Obama aus.

4. Juni 2009