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ASIEN/614: USA bauen ihre Geheimdienste in Afghanistan massiv aus (SB)


Besatzungsregime will seine Krallen tief in die Bevölkerung schlagen


Von den strategischen Plänen der US-Regierung, die Staaten des Mittleren Ostens zu destabilisieren und zu fragmentieren, um ein dauerhaftes Besatzungsregime in der Region zu installieren, zeugt neben der Errichtung bedeutender Militärstützpunkte in Afghanistan auch der dortige Ausbau der CIA-Präsenz. Da die geheimdienstliche Arbeit willkürliche Festnahme, Verschleppung, Folter, Inhaftierung und Ermordung einschließt, muß nicht nur die afghanische Bevölkerung mit dem Schlimmsten rechnen. Es steht auch zu befürchten, daß am Hindukusch neben dem berüchtigten Bagram weitere Zentren auf- und ausgebaut werden, in die man Menschen von überall her in der Welt entführt, um sie dort auf alle erdenklichen Arten zu drangsalieren und auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen. Das gilt nicht zuletzt für die Länder Europas, deren Rechtslage noch eine andere als die der Vereinigten Staaten ist. Barack Obamas Weigerung, sämtliche geheimen und bekannten Folterlager umgehend aufzulösen, die Insassen auf freien Fuß zu setzen und die Hauptverantwortlichen für die dort verübten Greueltaten zur Verantwortung zu ziehen, spricht eine eindeutige Sprache.

Einem Bericht der "Los Angeles Times" zufolge will die CIA ihre Präsenz in Afghanistan massiv ausbauen und dort einen der größten Stützpunkte in der Geschichte des US-Geheimdienstes errichten. Wie die Zeitung unter Berufung auf Regierungsbeamte schrieb, unterlägen genaue Zahlen der Geheimhaltung, doch seien bereits rund 700 Mitarbeiter in Afghanistan im Einsatz. Entsandt werden sollen weitere Agenten, Analysten und Paramilitärs, wobei man neben der CIA auch andere Nachrichtendienste wie die National Security Agency (NSA), die Telefongespräche abhört und den E-mail-Verkehr überwacht, und den Militärgeheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) personell aufstocken will. [1]

Militärs und Geheimdienste hatten einander im Vorfeld dieser Aufstockung die Bälle zugespielt: General Stanley McChrystal drängte die US-Geheimdienste, ihre Erkenntnisse über "die Taliban" zu verbessern, um auf diesem Wege die Zahl der Anschläge gegen die Besatzungstruppen zu verringern. Umgekehrt warnten die Geheimdienste davor, daß "die Aufständischen" an Stärke gewinnen und ihren Einfluß ausweiten. "Die Taliban" haben demnach das höchste Niveau ihrer Möglichkeiten seit ihrer Verdrängung von der Macht im Jahr 2001 erreicht. Nach einer Bedrohungsanalyse scheinen sie niemals an Personalstärke und finanzieller Unterstützung zu verlieren, wobei es offiziellen Schätzungen zufolge 15.000 bis 20.000 aufständische Kämpfer geben soll. [2]

In diesem Zusammenspiel wird die Aufstockung der Geheimdienste als dringender Wunsch der Streitkräfte um Unterstützung ausgewiesen, als gehe es allen Ernstes um Stabilisierung und Wiederaufbau des Landes, wofür befristet eine verstärktes Engagement aller Kräfte erforderlich sei. Bekanntlich ist die massive Aufstockung der Truppen längst im Gange, indem zur Sicherung der Wahl oder durch Auslagerung von Funktionen an zivile Dienstleister zahlreiche weitere Kampfsoldaten bereitgestellt wurden. Bis Ende des Jahres sollen die US-Truppen auf 68.000 Mann erhöht werden, wobei Generalstabschef Mike Mullen und Verteidigungsminister Robert Gates bereits weitere Aufstockungen angedeutet haben.

Wie aus dem Pentagon verlautete, müsse die Zahl der Infanteristen deutlich erhöht werden. McChrystal hat demnach in einem Geheimpapier Präsident Barack Obama wissen lassen, daß es ohne erhebliche Aufstockung der US-Truppen und NATO-Einheiten in Afghanistan "keinen positiven Ausgang" geben könne. Dies wird der Oberkommandierende für die ISAF-Truppen zweifellos bei seinem für Anfang Oktober geplanten Besuch in Berlin auch von der Bundesregierung verlangen, die bislang eine Erhöhung der Truppenstärke über die vom Bundestag gebilligten 4500 Mann abgelehnt hat. In Washington ist angeblich davon die Rede, daß Deutschland unter dem Druck der USA eine Aufstockung um 1000 Mann nicht mehr ausschließe.

Front ist in Afghanistan ein Begriff, der sich auf Grund dieser Art der Kriegsführung buchstäblich auf das ganze Land bezieht, in dem es keine Region mehr gibt, die aus Perspektive des Besatzungsregimes als sicher eingestuft werden kann. Ein Vorgehen, wie es die Bundeswehr am 4. September in Kundus gezeigt hat, dürfe nicht wieder vorkommen, nehmen die US-Militärs das Massaker zum Vorwand, im Sinne einer neuen Strategie die Steuerung weitgehend an sich zu reißen. Offiziere der Bundeswehr sprechen von einer "totalen Amerikanisierung" des ISAF-Einsatzes, und aus Geheimdienstkreisen war zu erfahren, daß die Amerikaner wesentlich mehr Befehlsstränge an sich ziehen wollen, um das Vorgehen ausschließlich nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

Nach offizieller Lesart sollen die Geheimdienstagenten zusammen mit Spezialeinheiten hochrangige Zielpersonen jagen, die öffentliche Meinung in den Provinzen erkunden und Informationen über Korruption in der afghanischen Regierung sammeln. Bisher lagen die Prioritäten der CIA in Afghanistan angeblich in der Jagd nach Al Qaida und der Zusammenarbeit mit lokalen Stammesfürsten und Warlords. Grundsätzlich gilt die Strategie als gescheitert, sich in Stützpunkten zu verbunkern, allein auf Satelliten und Drohnen zu verlassen sowie auf Technik und Feuerkraft zu setzen. Der Ansatz, möglichst an jedem Ort mit Soldaten präsent zu sein, krankt jedoch nicht nur an mangelnder Truppenstärke, sondern auch an dem Fehlen "menschlicher Quellen". [3]

General Stanley McChrystal verlangt von den Geheimdiensten genauere Analysen aktueller Bedrohungslagen vor Ort, weshalb die CIA begonnen hat, sogenannte Crisis Operations Liaison Teams einzurichten. Geplant sind kleine Einheiten, die in enger Zusammenarbeit zwischen dem Geheimdienst und den regionalen Armeekommandanten zuverlässige Informationen beschaffen sollen.

Das Besatzungsregime in Afghanistan geht dazu über, die Mittel klassischer Kriegsführung mit überlegener Technologie und Waffengewalt um die Durchdringung der Gesellschaft mit massiven geheimdienstlichen Mitteln zu ergänzen. Da es sich beim afghanischen Widerstand um rund 2.200 verschiedene Gruppierungen handelt, die sich militärisch nicht als eindeutig abgrenzbarer Gegner verorten lassen, erklären die Alliierten mit ihrer neuen Doktrin de facto der gesamten Bevölkerung den Krieg, um sie zu zwingen, Kräfte des Widerstands auszusondern und abzuspalten. Da die Bombardierung von Häusern und ganzen Dörfern die drangsalierten Menschen um so enger in dem vordringlichen Bestreben zusammenschweißt, die verhaßten Besatzer zum Teufel zu jagen, schlagen diese ihre Krallen nun tief ins soziale Gefüge.

Anmerkungen:

[1] CIA will mehr Präsenz in Afghanistan zeigen. Starker Ausbau des US- Geheimdienstes geplant (20.09.09)
NZZ Online

[2] Afghanistan. US-Geheimdienst stockt auf (21.09.09)
http://www.fr- online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/1961136_Afghanistan-US- Geheimdienst-stockt-auf.html

[3] US-Geheimdienste in Afghanistan werden verstärkt (21.09.09)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2009-09/afghanistan-cia-ausbau

21. September 2009