Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/655: Südkorea lastet Kriegsschiffkatastrophe Nordkorea an (SB)


Südkorea lastet Kriegsschiffkatastrophe Nordkorea an

Durchsichtige PR-Kampagne soll von der eigentlichen Ursache ablenken


Der Untergang des südkoreanischen Kriegschiffs Cheonan, der das Leben von 46 Besatzungsmitgliedern, neun Teilnehmern der anschließenden Suchaktion, deren eigenes Boot bei rauhem Wetter sank, und einem an den Bergungsarbeiten beteiligten Taucher gekostet hat, sorgt für Spannungen auf der koreanischen Halbinsel, und zwar deshalb, weil bestimmte Medien und Politiker Südkoreas den Streitkräften des Nachbarstaats im Norden die Schuld für die Katastrophe geben. Die Reaktion der konservativen Regierung von Präsident Lee Myung-bak und die ihr zuarbeitenden konservativen Teile der südkoreanischen Presse, ist zwar perfide, aber gleichzeitig nachvollziehbar.

Das Schiffsunglück geschah während eines großangelegten, gemeinsamen Seemanövers der Marinestreitkräfte Südkoreas und der USA. Wahrscheinlich ist daher, daß irgend etwas während des Kriegsspiels schiefgegangen ist. Doch indem Seoul den Nordkoreanern die Cheonan-Katastrophe anlastet, kann es Pjöngjang weiterhin für den Stillstand im innerkoreanischen "Friedensprozeß" alleine verantwortlich machen und gleichzeitig in Washington punkten, indem es von den eigentlichen Hintergründen des Vorfalls ablenkt und auf diese Weise die bei den Südkoreaner aufgekommene Trauer und Wut wegen des Todes der Seeleute gegen den kommunistischen Bruderstaat richtet.

Die Cheonan, eine 1989 gebaute, 1600 Bruttoregistertonnen schwere Korvette der Klasse Pohang, ist am späten Abend des 26. März in der Nähe der Insel Baengnyeong im Gelben Meer und damit auf der westlichen Seite der koreanischen Halbinsel gesunken. Baengnyeong gehört zwar zu Südkorea, liegt jedoch nördlich des 38. Breitengrads und damit näher an Nordkorea. Die Entfernung zu Nordkorea beträgt rund 10 Seemeilen und zum südkoreanischen Festland etwa 100. Damit liegt die Insel in jenem Gebiet, in dem die Marinestreitkräfte Nord- und Südkoreas wegen des umstrittenen Verlaufs der Seegrenze immer wieder aneinandergeraten. Gerade im letzten November haben die Besatzungen vierer südkoreanischer Patrouillenboote das Feuer auf ein nordkoreanisches Patrouillenboot eröffnet, das angeblich die Seegrenze überfahren hatte. Angeblich wurde dabei ein nordkoreanischer Matrose getötet. Zusammengeschossen und in Flammen stehend, mußte das nordkoreanische Boot seinen Heimathafen aufsuchen. Wegen des Vorfalls hat damals die Regierung in Pjöngjang Rache geschworen.

Die Umstände des Untergangs der Cheonan sind bis heute ziemlich unklar. Man weiß lediglich, daß das Schiff auseinandergebrochen ist und anschließend sank (58 Besatzungsmitglieder wurden aus dem Wasser aufgefischt; 40 Leichen wurden geborgen; weitere sechs Personen gelten bis heute als vermißt). Selbst zur Dauer des Untergangs gibt es unterschiedliche Angaben. Laut dem südkoreanischen Verteidigungsministerium verschwand die Cheonan innerhalb von 20 Minuten unter der Meeresoberfläche. Die südkoreanische Küstenwache dagegen vertritt den Standpunkt, daß der Hauptteil des Schiffs mehr als drei Stunden weiter auf dem Wasser trieb, bis er schließlich sank. Über die Ursache für das Auseinanderbrechen des Schiffs gibt es verschiedene Theorien.

In den ersten Stunden und Tagen nach dem Unglück sah sich die südkoreanische Regierung in der Öffentlichkeit schweren Vorwürfen seitens der Angehörigen der Schiffsbesatzung ausgesetzt. Einige von ihnen behaupteten, das Schiff sei im miserablen Zustand gewesen, was bedeuten könnte, daß eine Explosion im Innern - wie 2000 beim Unglück auf dem russischen U-Boot Kursk - die Katastrophe auslöste oder daß das Schiff einfach so auseindergebrochen ist, vielleicht aufgrund des Auflaufens auf ein Riff. Schließlich geschah das Unglück in den relativ flachen Gewässern vor der Insel Baengnyeong. Angesichts der verheerenden negativen Auswirkungen der öffentlichen Auftritte der trauernden und aufgebrachten Angehörigen der ertrunkenen Matrosen fing die südkoreanische Regierung recht bald an, die Möglichkeit einer nordkoreanischen Verantwortung für das Unglück ins Feld zu führen.

Seit dem 25. April heißt es hochoffiziell, daß es eine Explosion in der Nähe des Hecks der Cheonan gegeben hat, die das Schiff auseinanderriß. Unmittelbar nach der Explosion soll der Kapitän der Cheonan dem Oberkommando der südkoreanischen Marine per Funk mitgeteilt haben, daß sein Schiff und seine Besatzung "vom Feind angegriffen" würden. In diesem Zusammenhang ist der "Feind" ganz klar Nordkorea. Zeitgleich hat das in der Nähe befindliche, südkoreanische Begleitschiff Sokcho das Feuer auf ein flüchtendes, nordkoreanisches Boot eröffnet. Später stellte sich das, was die Südkoreaner im Radar als das Schiff, von dem der Angriff auf die Cheonan gekommen war, identifiziert hatten, als Vogelscharm heraus. Bis heute hat es keine vernünftige Erklärung gegeben, warum man bei der Sokcho, statt gleich zur Unglückstelle der Cheonan zu eilen und mit der Bergung der Besatzung zu beginnen, aggressive Maßnahmen ergriff, die das Risiko eines Aufflammens des seit 1953 lediglich im Waffenstillstand befindlichen Koreakrieges mit sich brachten.

Doch wie es zu der Explosion kam, steht nicht fest. Während am 17. April die Regierung in Pjöngjang jede Beteiligung Nordkoreas an dem Zwischenfall bestritt und ihr Bedauern über den Tod der südkoreanischen Matrosen zum Ausdruck brachte, veröffentlichte drei Tage später die südkoreanische Zeitung Chosun Ilbo unter Verweis auf dubiose Quellen, die Cheonan sei von einem Mini-U-Boot der nordkoreanischen Marine auf Befehl Kim Jong-ils höchstpersönlich als Rache für die Schießerei im letzten November mit einem Torpedo versenkt worden. Die Ermittlungsergebnisse, wonach das Schiff von der Wucht einer Explosion auseinandergerissen wurde, die sich außerhalb von ihm ereignete, sprechen sowohl gegen die Theorie eines nordkoreanischen Torpedoangriffs wie auch gegen die, wonach die Cheonan mit einer alten nordkoreanischen Seemine kollidiert sein könnte. Letztere These hatte der südkoreanische Verteidigungsminister Kim Tae-Young drei Tage nach dem Unglück ins Spiel gebracht.

Eine Explosion, die sich hinter dem Heck ereignete, könnte bedeuten, daß die Cheonan im Rahmen besagter Kriegsspiele mit Namen "Key Resolve/Foal Eagle", die in dem betreffenden Seegebiet bis zum 30. März gingen, vielleicht irgendeine Art von Attrappe im Schlepptau hatte und daß bei Angriffen auf dieses Ziel mit einem Torpedo, einer Schiff-Schiff-Rakete oder irgendeiner anderen modernen kinetischen Waffe die südkoreanische Korvette in Mitleidenschaft gezogen wurde. Daß die Nordkoreaner während dieses umfassenden Manövers unbemerkt ein südkoreanisches Schiff hätten versenken können, ist ausgeschlossen, wie Kim Myong Chol in dem am 5. Mai bei der Asia Times Online erschienen Artikel "Pyongyang sees US role in Cheonan sinking" umfassend erläutert hat.

Nichtsdestotrotz hört man dieser Tage immer bedrohlichere und verantwortunglose Worte aus dem Munde führender südkoreanischer Politiker. Am 2. Mai erklärte Premierminister Chung Un-chan auf der offiziellen Trauerfeier für die 46 Matrosen, Seoul werde "scharfe" Maßnahmen gegen die Verantwortlichen der Tragödie ergreifen. Bei einer ähnlichen Veranstaltung wenige Tage zuvor hatte der im Verteidigungsministerium für die Marine zuständige Staatssekretär Admiral Kim Sung-chan "Vergeltung" angekündigt und versprochen: "Wir werden uns nicht zurücklehnen und diejenigen, die unserem Volk diesen Schmerz bereitet haben, einfach davonkommen lassen. Wir werden Jagd auf sie machen und dafür sorgen, daß sie den höheren Preis bezahlen." In einem Artikel über die politische Krise, welche die bisher unbefriedigenden Erklärungen für das Sinken der Cheonan in Südkorea ausgelöst haben, schrieb John Chan am 26. April auf der World Socialist Website, Präsident Lee stehe innerhalb seiner Grand National Party (GNP) unter enormem Druck, offiziell Nordkorea zu bezichtigen, selbst wenn dies eine neue Eiszeit zwischen Seoul und Pjöngjang auslösen sollte. Der Grund für den Druck und die Besorgnis der GNP-Granden ist leicht zu erklären. Am 2. Juni finden in Südkorea Kommunalwahlen statt.

5. Mai 2010