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ASIEN/682: Petraeus schwört Besatzungstruppen auf gnadenlosen Krieg ein (SB)


Gezielte Tötungen sollen Aufständische in die Knie zwingen


Die Doktrin der Besatzungsmächte in Afghanistan, es gehe gleichermaßen darum, die Aufständischen zu liquidieren wie auch die Köpfe und Herzen der Zivilbevölkerung zu gewinnen, nimmt immer groteskere Züge an. Da es sich um die Übersetzung der zentralen Propagandalüge in eine Strategie der Kriegsführung handelt, ist die Erosion der Vorwandslage ebenso unvermeidlich wie das Scheitern des Feldzugs. Die gezielte Tötung von Anführern des Widerstands bei größtmöglicher Schonung der Zivilisten ist erfahrungsgemäß ein Widerspruch in sich. Nichts ist unter den Afghanen so gefürchtet und verhaßt wie die nächtlichen Razzien ausländischer Spezialkommandos, nichts so mörderisch wie deren Angriffe auf bestimmte Zielpersonen, die allzu oft in ein Blutbad unter Unbeteiligten münden.

Der neue Kommandeur aller Besatzungstruppen in Afghanistan, General David Petraeus, der vor einem Monat die Nachfolge des demontierten Stanley McChrystal angetreten hat, sucht sein Heil in der brachialen Durchsetzung der gescheiterten Strategie mit noch größerer Grausamkeit. Mit martialischen Worten schwört er seine Soldaten auf einen harten und gnadenlosen Kampf gegen die Aufständischen ein, deren gezielte Tötung nach den außerordentlich verlustreichen Monaten für die westlichen Streitkräfte das Kriegsglück erzwingen soll.

In einer vierseitigen Leitlinie verpflichtet der 57jährige Viersternegeneral alle 120.000 Besatzungssoldaten zu einer entfesselten Brutalität: "Verfolgt den Feind unerbittlich. Zusammen mit unseren afghanischen Partnern wollen wir unsere Zähne in das Fleisch der Aufständischen versenken und nicht mehr loslassen. Wenn die Extremisten kämpfen, laßt sie den Preis dafür zahlen. Findet und eliminiert diejenigen, die die Bevölkerung bedrohen. Laßt sie die Unschuldigen nicht einschüchtern. Nehmt das ganze Netzwerk ins Visier, nicht nur einzelne." [1]

Zugleich warnt Petraeus ausdrücklich vor zivilen Opfern: "Die Menschen sind das wichtigste Feld. Nur wenn wir ihnen Sicherheit bringen und uns ihr Vertrauen erarbeiten, können die afghanische Regierung und wir gewinnen." Deshalb sollten die Soldaten immer nahe bei den Menschen wohnen, ihre Patrouillen zu Fuß statt im Panzerwagen durchführen und den Tod von Zivilisten vermeiden. "Kämpft hart und kämpft mit Disziplin. Macht aggressiv Jagd auf den Feind, aber setzt nur die Feuerkraft ein, die ihr braucht, um den Kampf zu gewinnen. Ohne Kampf können wir nicht gewinnen, aber wir können uns auch nicht zum Sieg töten. Wenn wir Zivilisten töten, schaffen wir mehr Feinde, als wir bei unseren Operationen eliminieren. Das ist genau das, was die Taliban wollen. Tappt nicht in diese Falle!" [2]

Wie soll das funktionieren, wenn die Besatzungssoldaten ermächtigt werden, als Ankläger, Richter und Henker in Personalunion zu morden? Die Richtlinie endet mit der Aufforderung: "Zeigt Initiative. Wenn es keine Führung oder Befehle gibt, mutmaßt, was der Befehl hätte sein können und führt ihn aggressiv aus." Deutlicher könnte die ausdrückliche Emanzipation der Kriegsführung von allen Beschränkungen rechtsstaatlicher Legitimation kaum formuliert werden. [3]

US-Präsident Barack Obama hatte Ende vergangenen Jahres eine "neue" Kriegsführung angekündigt, die es erforderlich mache, die Truppen in Afghanistan erheblich aufzustocken. Er werde 30.000 Soldaten zusätzlich entsenden, um das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung zu gewinnen und sie zu schützen wie auch eine kompetente Regierung einzusetzen. Ab Juli 2011 solle der Abzug der US-Truppen beginnen.

Wie die New York Times am Sonntag berichtet hat, sieht die politische und militärische Führung des Feldzugs am Hindukusch offenbar in gezielten Tötungen den einzigen Weg, die Aufständischen in die Knie zu zwingen. Während die reguläre Counterinsurgency wenig Erfolge gezeitigt habe, scheine Counterterrorism, also das gezielte Töten von Aufständischen, den Charakter des Krieges zu ändern und womöglich ein politisches Abkommen mit den Taliban zu beschleunigen. Es gehe darum, den Taliban Angst vor einem Aufstieg in den eigenen Hierarchien zu machen, weil sie ab einer bestimmten Ranghöhe zu Zielen würden. Wer meint, bei den Taliban Karriere machen zu können, wird nicht alt, lautet die Botschaft dieser ebenso psychologischen wie konkreten Kriegführung. Dem Bericht zufolge hoffen die Strategen in Washington, daß die Taliban dadurch an den Verhandlungstisch gezwungen werden könnten. [4]

Neu ist diese Vorgehensweise nicht, zumal die bereits von McChrystal umgesetzte Strategie in wesentlichen Teilen von Petraeus entworfen worden war. Der Mythos, letzterer habe als Kommandeur der US-Truppen im Irak erfolgreich zivile Strukturen aufgebaut und zugleich gezielt Jagd auf die Anführer der Aufständischen gemacht, erweist sich im Licht der Resultate als Desaster: Im Juli fielen im Irak Hunderte Zivilisten Anschlägen und Gefechten zum Opfer, so daß dieser Monat als der blutigste seit Ende der offiziellen Kampfhandlungen in die Annalen des Besatzungsregimes eingeht. Wenn dieser nie beendete Krieg das Vorbild für Afghanistan sein soll, liegt auf der Hand, welche Schrecken Petraeus auch am Hindukusch massiv zu steigern gedenkt.

Da die neue Leitlinie auch für die rund 4.600 Soldaten der Bundeswehr gilt, ist unter deutschen Politikern und Militärs einmal mehr Verbalakrobatik gefragt, um den Bürgern diesen vom Grundgesetz nicht gedeckten, völkerrechtswidrigen und der parlamentarischen Kontrolle entzogenen Krieg weiterhin schmackhaft zu machen. Die angesichts der "Enthüllungen" von WikiLeaks mit neuer Vehemenz aufgeflammte Kontroverse um das klandestine Treiben deutscher Spezialstreitkräfte in Afghanistan hat bereits zur Offenlegung geführt, daß die Bundeswehr an der Erstellung von Fahndungslisten beteiligt gewesen sein soll, auf deren Grundlage US-Killerkommandos hochrangige Taliban gezielt töten.

Einem Bericht des Spiegels zufolge haben US-Elitesoldaten mindestens einen Taliban-Kommandeur mit Hilfe deutscher Informationen gezielt getötet. Die Deutschen hätten mindestens dreizehn Personen auf die Liste setzen lassen, von denen zwei wegen fehlender neuer Hinweise wieder gestrichen und zwei weitere festgenommen worden seien. Den Taliban-Kommandanten Qari Bashir habe die Bundeswehr zur Gefangennahme auf die NATO-Fahndungsliste gesetzt, worauf dieser im November 2009 bei einer mehrtägigen Operation nordwestlich von Kundus von Spezialkräften getötet wurde. Neben Bashir seien dabei etwa 130 Menschen umgebracht worden, was einmal mehr zeigt, wie irreführend der Begriff "gezielte Tötung" ist. Wenn die US-Armee behauptet, es habe sich durchweg um Taliban gehandelt, ist das in etwa so glaubwürdig wie die anfänglichen Erklärungen der Bundeswehr nach dem Massaker von Kundus.

"Innere Führung ist in Afghanistan wichtiger denn je", hat der Chef des deutschen Feldheeres, Carl-Hubertus von Butler, immer wieder betont. Schließen die vielgerühmten Werte und Regeln der westlichen Gesellschaft und Kultur, die denen des Gegners angeblich haushoch überlegen sind, gezielte Tötungen durch deutsche Soldaten oder die Beihilfe dazu ein? Verteidigungsminister zu Guttenberg hat bereits klargestellt, daß er das für problemlos und geboten hält, sofern nur die rechtlichen Grundlagen entsprechend verbogen werden, um den Schein der Legalität zu wahren. Unterdessen winden sich die Sozialdemokraten in ihrer Rolle als oppositionelle Kriegstreiber. So klagte ihr Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels im Spiegel, die gezielte Tötung von Taliban sei "prinzipiell problematisch, nicht zielführend und kontraproduktiv. Wenn wir von Taliban-Kommandeuren reden, geht es doch oft um Anführer im Rang eines Feldwebels, die vielleicht 10 bis 15 Mann unter sich haben. Das sind keine zentralen Feldherren, die da erwischt werden".

Morden ja, aber bitte nicht die Falschen, lautet das Credo der deutschen Sozialdemokratie, die den Krieg führen, doch für die drohende Niederlage vorbeugend andere verantwortlich machen will. Immerhin scheint WikiLeaks dafür zu sorgen, daß heiße Eisen wie Task Force 373 und die Spezialstreitkräfte der Bundeswehr nicht nur enttabuisiert, sondern im Zuge der Kontroverse kurzerhand legitimiert werden, so daß die Bundesbürger den Eindruck gewinnen könnten, die Deutschen seien nicht bloße Handlanger und Zuträger der Amerikaner, sondern gleichwertige Verbündete, und überdies gehe die Sache am Hindukusch ihren geordneten Gang, wie man ihn hierzulande über alles liebt.

Anmerkungen:

[1] Petraeus in Afghanistan. "Rammt eure Zähne in das Fleisch der Aufständischen" (02.08.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-08/petraeus-taliban-afghanistan-obama

[2] US-General schwört Afghanistan-Truppen ein. "Eliminiert diejenigen, die die Bevölkerung bedrohen!" David Petraeus findet klare Worte für den Kampf gegen die Taliban Deutsche Politiker mahnen die Bundeswehr zur Zurückhaltung (02.08.10)
http://www.bild.de/BILD/politik/2010/08/01/afghanistan-us-general-david-petraeus-schwoert-truppen-auf/harten-kampf-ein-eliminiert-diejenigen-die-die-bevoelkerung-bedrohen.html

[3] Petraeus' Löschtaste (02.08.10)

http://blog.rhein-zeitung.de/?p=10360

[4] Priorität Mord (02.08.10)

junge Welt

2. August 2010