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ASIEN/698: Kriegsspiele in Nordkorea deuten auf Machtwechsel hin (SB)


Kriegsspiele in Nordkorea deuten auf Machtwechsel hin

Kim Jong-il und Kim Jong-un beobachten Militärmanöver zusammen


In Nordkorea ist der Machtwechsel an der Spitze des Staates offenbar im vollen Gange. An einem großen Militärmanöver der nordkoreanischen Streitkräfte nahmen dieser Tage ihr Oberbefehlshaber, der 68jährige Kim Jong-il, der zugleich Generalsekretär der kommunistischen Arbeiterpartei ist, und dessen dritter Sohn, der 28jährige Kim Jong-un, demonstrativ gemeinsam teil. Dies gab am 5. Oktober die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA bekannt - ohne den genauen Zeitpunkt des Truppenbesuchs zu nennen. Erst am 29. September wurden offiziell die ersten Bilder von Kim Jong-un veröffentlicht. Anlaß war dessen Ernennung zum Vier-Sterne-General. Am Tag darauf wurde der Enkel des 1994 verstorbenen Staatsgründers Nordkoreas, Kim Il-sung, vom eigenen Vater zu einem von nur zwei Stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission der regierenden Arbeiterpartei und zum Mitglied von deren Zentralkomitee ernannt. Kim Jong-il ist Vorsitzender besagter Militärkommission.

Auftakt des Machtwechsels scheint der Staatsbesuch Kim Jong-ils, der 2008 einen Hirnschlag erlitten haben und seitdem schwer erkrankt sein soll, Ende August in der Volksrepublik China gewesen zu sein. Die Tatsache, daß Kim Jong-un seinen Vater bei dieser Reise zu Nordkoreas wichtigstem Verbündeten begleitete, wurde von Beobachtern als Signal gedeutet, daß der erwartete Machtwechsel in Pjöngjang angelaufen war. Bei einem Treffen in der nordchinesischen Stadt Changchun soll Kim Jong-il seinen Wunschnachfolger den wichtigsten Führungsmitgliedern der chinesischen Regierung, vor allem Präsident Hu Jintao, vorgestellt haben. Alles scheint recht positiv gelaufen zu sein. Hu hat einen intensiven Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen Chinas zu seinem ökonomisch schwachen Nachbarn angekündigt. Im Gegenzug hat Kim die Bereitschaft Pjöngjangs zu einer Wiederaufnahme der sogenannten Sechsergespräche - zwischen China, Japan, Nordkorea, Rußland, Südkorea und die USA - zur Beilegung des Streits um das nordkoreanische Atomprogramm erklärt. Sehr zur Verärgerung Washingtons und Seouls gingen die Vertreter Chinas bei dem Treffen auf die Vorwürfe Südkoreas und der USA, die Nordkoreaner wären für den Untergang der südkoreanischen Fregatte Cheonan im vergangenen März verantwortlich, gar nicht ein, sondern erklärten sich im Gegenteil solidarisch mit dem angeblichen "Schurkenstaaten".

Ebenfalls bei dem Staatsbesuch in China wie auch bei dem jüngsten Militärmanöver anwesend war Jang Song Taek, der Ehemann von Kim Jong-ils Schwester Kim Kyong Hui, der als zweitwichtigstes Mitglied der nordkoreanischen Staatsführung und De-facto-Regierungchef gilt. Berichten zufolge stehen Hui und ihr Mann dem älteren Kim recht nahe. Es gibt Spekulationen, wonach sich Kim auf diese beiden verläßt, um seinem Sohn den Rücken zu stärken, bis dieser später seine Position als Staatschef gefestigt hat. Taek war 2003 zwischenzeitlich in Ungnade gefallen, nachdem ihm ein eigenes Interesse am ersten Platz in der Staatsführung nachgesagt wurde. Erst im vergangenen Juni wurde er zum Stellvertretenden Vorsitzenden der Militärkommission der regierenden Arbeiterpartei ernannt. Dort hat er seinen Neffen als Stellvertreter zur Seite gestellt bekommen.

Nun fragen sich alle, ob Taek auch nach dem Tod Kim Jong-ils dessen Wunsch nach Unterstützung seines Sohns erfüllt oder eventuell selbst nach der Macht greift. Ausschlaggebend für die Antwort auf diese Frage könnte die Lebensdauer Kim Jong-ils sein. Taek ist bereits 64 Jahre alt. Mit jedem Jahr, das Kim Jong-il noch lebt, wird Taek älter, während Kim Jong-un seine Position weiter ausbauen kann. Selbst wenn Kim Jong-il morgen sterben sollte, wäre Taek vielleicht besser beraten, Kim Jong-un als neuen Staatsführer anzuerkennen, wohlwissend, daß der junge Mann eine Weile auf ihn angewiesen wäre. In einer solchen Situation würde Taek die Zügel der Macht weiterhin in den eigene Händen halten und sie erst peu-à-peu an den unerfahrenen Kim Jong-un, der in der Schweiz seine Schulbildung erhielt, übergeben. Alles andere - sich über die Wünsche Kim Jong-ils hinwegzusetzen und sich selbst auch nach außen hin an die Spitze zu hieven - würde zuviel Unruhe in die nordkoreanische Politik bringen und den kommunistischen Staat destabilisieren. Taek ist vermutlich zu lange in verantwortungsvoller Position, als daß er den Feinden Nordkoreas diesen Gefallen tun würde.

6. Oktober 2010