Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/701: Karsai und Zardari vermuten die USA hinter Al Kaida (SB)


Karsai und Zardari vermuten die USA hinter Al Kaida

"Verschwörungstheorien" erobern in Af-Pak die höchste Staatsebene


In der westlichen Berichterstattung über den Krieg der NATO gegen die Taliban in Afghanistan, die bekanntlich Teile des pakistanischen Grenzgebiets als Rückzugsraum benutzen, wird immer wieder mit Bestürzung und Unverständnis die Tatsache registriert, daß die einfachen Afghanen und Pakistaner den USA und ihren Verbündeten die Behauptung, am Hindukusch bekämpften sie den "internationalen Terrorismus", nicht abkaufen. Die hiesigen Medien tun bei solcher Gelegenheit mit einem belächelnden, herablassenden Ton die Überzeugung Millionen von einfachen Menschen in Afghanistan und Pakistan, daß die Jagd nach Osama Bin Laden, dem mutmaßlichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in New York und Arlington, ein Vorwand vor allem der USA ist, sich militärisch in Afghanistan festzusetzen, um an der Ressourcenaufteilung in der öl- und gasreichen Region um das Kaspische Meer entscheidend mitreden und die beiden gegnerischen Großmächte China und Rußland in Schach halten bzw. einkreisen zu können, als "Verschwörungtheorie" asiatischer Analphabeten ab.

Spätestens seit der Veröffentlichung des neuen Buchs Bob Woodwards, "Obama's Wars", über die Dauerstreitereien der Regierung von US-Präsident Barack Obama über die richtige Af-Pak-Strategie dürfte die These von besagter "Verschwörungstheorie" als alleiniges Merkmal der in Sachen Bildung minderbemittelten afghanischen und pakistanischen Unterschichten nicht mehr gelten. Aus dem Buch geht hervor, daß sowohl Afghanistans Präsident Hamid Karsai als auch das pakistanische Staatsoberhaupt Asif Ali Zardari vermuten, daß sich hinter dem Al-Kaida-"Netzwerk" die USA in Form ihres weltweit gefürchteten Auslandsgeheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) stecken. Bereits am 11. Oktober letzten Jahres hatte Karsai für Schlagzeilen gesorgt, als er in Bezug auf die zunehmende Aktivität der Aufständischen im bis dahin relativ friedlichen Norden Afghanistans auf Augenzeugenberichte hinwies, wonach in der Region seit Wochen und Monaten bewaffnete Islamisten von nicht näher identifizierten Hubschraubern nachts abgesetzt würden. Da weder Al Kaida noch die Taliban über Flugzeuge verfügen, wird vermutet, daß es sich hier um Hubschrauber entweder der CIA oder privater US-Sicherheitsunternehmen à la Blackwater (heute Xe Services) oder Dyncorp handelt. Über derlei seltsame Beobachtungen berichtete am 12. Oktober 2009 der Korrespondent Gul Rahim Niazmand für das pro-westliche Institute for War & Peace Reporting (IWPR) unter der Überschrift "Insurgents Taking Charge in Kunduz".

In Pakistan hat die Meldung, daß der eigene Präsident genauso wenig wie seine Landsleute den Amerikanern über den Weg traut, für Aufregung gesorgt. Am 13. Oktober hat die in Karatschi erscheinende News International, die englischsprachige Zeitung mit der größten Auflage in Pakistan, ausführlich über die entsprechende Passage auf Seite 116 von Woodwards Buch und ihre mögliche Bedeutung berichtet. In der Passage geht es um ein Gespräch, das Zardari am Rande des trilateralen afghanisch-amerikanisch-pakistanischen Gipfeltreffens im vergangenen Mai in Washington bei einem Essen mit dem aus Afghanistan stammenden Zalmay Khalilzad führte, der während der achtjährigen Präsidentschaft von George W. Bush diesem als US-Botschafter in Kabul, in Bagdad und bei den Vereinten Nationen in New York gedient hatte.

Bei dem Vieraugengespräch mit dem neokonservativen Khalilzad soll Zardari seine "diplomatische Deckung fallengelassen" und seinen Verdacht offenbart haben, daß die USA hinter den Anschlägen der mit Al Kaida verbündeten pakistanischen Taliban (Tehrik-e-Taliban-e-Pakistan) steckten. Darüber hinaus soll er Khalilzad erklärt haben, daß Karsai und die Führung des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) diesbezüglich derselben Meinung seien. Zardari behauptete, die CIA habe Angriffe auf TTP-Ziele nicht ausgeführt, die das ISI vorgeschlagen hatte, was man in Islamabad dahingehend interpretierte, daß die Amerikaner mit den fundamentalistischen Stammeskriegern und deren ausländischen Kampfgefährten von Al Kaida im Bunde seien. Auf die Frage des Afghanisch-Amerikaners, welchen Nutzen Washington aus den Anschlägen der TTP ziehe, erklärte Zardari, dahinter stecke "ein Komplott zur Destabilisierung Pakistans ... damit die USA einmarschieren und seine Atomwaffen beschlagnahmen können". Dazu Woodward:

Khalilzad hörte ruhig zu, obwohl die Behauptungen ihm verrückt vorkamen. Die USA nutzten die Taliban, um die pakistanische Regierung zu stürzen? Lachhaft. Doch Khalilzad wußte, daß Afghanistans Präsident Karsai ebenfalls an diese Verschwörungstheorie glaubte, was nur belegte, daß diese Weltregion und ihre politischen Führer dysfunktional waren.

Inwieweit Woodward, der nun seit mehreren Jahrzehnten in der Imperialhauptstadt Washington den Hofberichterstatter gibt, mit seiner unzweideutigen Parteinahme in diesem sonderbaren Meinungsstreit richtig liegt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig geklärt werden. Fakt ist jedoch, daß es sich bei Woodward selbst um ein Geschöpf der Geheimdienste handelt. Vor dem großen Durchbruch mit seinem damaligen Washington-Post-Reporter-Kollegen Carl Bernstein bei der Aufdeckung des Watergate-Skandals 1973 arbeitete Woodward im Rang eines Leutnants beim US-Marinegeheimdienst Office of Naval Intelligence (ONI) unter anderem als Rechercheur für General Alexander Haig, damals wichtigster Assistent von Richard Nixons Nationalem Sicherheitsberater Henry Kissinger. Nicht zuletzt die Verbindung Woodwards zu Haig und Kissinger, die beide Nixons Rücktritt 1974 politisch unbeschadet überlebten, liefert für einige Beobachter Grund zu der Vermutung, daß es sich bei Watergate mitnichten um das große demokratische Reinemachen der herkömmlichen Legende, sondern in erster Linie um eine interne Palastrevolte handelte. So oder so sind die Ausführungen Woodwards über das, was sich angeblich hinter den Kulissen im Weißen Haus, im Pentagon und im State Department abspielt, mit höchster Vorsicht zu genießen.

15. Oktober 2010