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ASIEN/717: USA und Pakistan im Streit um den Fall Raymond Davis (SB)


USA und Pakistan im Streit um den Fall Raymond Davis

Raymond Davis - Diplomat, Spion oder vielleicht Staatsterrorist?


Der Streit zwischen Islamabad und Washington um Raymond Davis, ein 36jähriges, ehemaliges Mitglied der Spezialstreitkräfte der USA, der am 27. Januar auf offener Straße in Lahore zwei Pakistaner erschoß, wird zur schweren Belastung in den Beziehungen beider Staaten. Die Regierung Barack Obamas behauptet, Davis genieße diplomatische Immunität, beklagt seine angeblich illegale Inhaftierung und verlangt seine sofortige Freilassung, während aufgebrachte Politiker im Kongreß mit der Streichung von Hilfsgeldern in Höhe mehrerer Milliarden Dollar drohen. Die Regierung in Islamabad um Präsident Ali Asif Zardari und Premierminister Yousaf Gilani von der Pakistan People's Party (PPP) sieht sich in der Zwickmühle. Sie würde am liebsten Washington entgegenkommen und die ganze Sache unter den Teppich kehren, doch dies würde ihr vermutlich den letzten Rest ihres schwindenden Rückhalts in der pakistanischen Öffentlichkeit kosten. Vor allem der Selbstmord der achtzehnjährigen Ehefrau eines von Davis' Opfer am 6. Februar aus Protest gegen die drohende Abschiebung des Amerikaners hat eine politische Intervention Islamabads in das laufende Justizverfahren in der Provinz Punjab, deren Hauptstadt Lahore ist, fast unmöglich gemacht.

Der Streit hat bereits für Pakistan innen- und außenpolitische Konsequenzen mit sich gebracht. Am 11. Februar wurde die Inhaftierung von Davis, gegen den eine Mordanklage vorbereitet wird, um weitere 14 Tage verlängert. Am selben Tag wurde der Rücktritt von Außenminister Shah Mehmood Qureshi bekannt. Qureshi, der selbst aus Punjab kommt und dort seit Jahren der wichtigste PPP-Vertreter ist, war offenbar nicht bereit, für Zardari und Gilani mit dem Hinweis auf Davis' vermeintliche "diplomatische Immunität" den Fall aus der Welt zu schaffen. Eine Woche zuvor hatte sich Außenministerin Hillary Clinton geweigert, sich mit Qureshi auf der Sicherheitskonferenz in München zu treffen und damit ihre Unzufriedenheit über das mangelnde Gehorsam Islamabads deutlich zum Ausdruck gebracht. Am 12. Februar hat das US-Außenministerium die für die letzte Februar-Woche in Washington geplanten Dreiländerberatungen mit Vertretern Pakistans und Afghanistans zum laufenden Krieg der NATO am Hindukusch bis auf weiteres verschoben. Als Grund nannte ein Sprecher Clintons die Regierungsumbildung in Islamabad.

Für die unnachgiebige Haltung Qureshis gab es gewichtige Gründe. Davis kann die diplomatische Immunität nicht zuerkannt werden, solange über das, was er in Pakistan zu suchen hatte, völlige Unklarheit herrscht. Einerseits behaupten die Vertreter Washingtons, Davis gehöre zum Personal der US-Botschaft in Islamabad, andererseits weigern sie sich bis heute, seine Funktion dort genau zu erläutern. Der Todesschütze hat sich selbst im Verlauf seiner Vernehmung durch die Polizei von Lahore als "Berater" des dortigen US-Konsulats ausgegeben. Fest steht, daß sich Davis' Name nicht auf der Liste des diplomatischen Personals, wie sie am 25. Januar an das Außenministerium in Islamabad übermittelt wurde, befand, sondern erst auf derjenigen von 28. Januar - und damit einen Tag nach dem Vorfall in Lahore - erschien.

Doch selbst wenn Davis ein voll akkreditierter Diplomat wäre, bewahrt das Wiener Abkommen von 1963, auf das sich die Obama-Regierung beruft, niemanden vor der Anwendung der Gesetze seines Gastlandes, wenn er dort eine schwere Straftat begeht bzw. unter dem dringenden Verdacht derselben gerät. Dies gilt nicht nur für Davis selbst, sondern auch für diejenigen aus dem US-Konsulat, die im Anschluß an dem "Amoklauf" des ehemaligen Elitesoldaten zum Tatort eilten, um diesen vermutlich vor der Festnahme zu retten, und dabei mit ihrem Allradwagen einen unschuldigen Radfahrer tödlich überfuhren, bevor sie die Flucht ergriffen. Vergeblich versucht die Polizei von Lahore durch Briefe an das US-Konsulat, diese Personen zu identifizieren und zu kontaktieren, bekommt aber keine Antwort. Das Verhalten der US-Diplomatie gerade in diesem Zusammenhang läßt bei den einfachen Pakistanern den Eindruck entstehen, daß ihr Leben den Amerikanern nichts wert ist.

Bekanntlich hat Davis bei seiner Festnahme behauptet, die beiden Männer, Faizan Haider und Muhammad Fahim, die sich ihm in seinem Honda Civic auf einem Motorrad näherten und die er erschossen hatte, wollten ihn ausrauben; er habe lediglich in Notwehr gehandelt. Bislang gibt es keine Augenzeugen, welche diese Version bestätigt haben. Statt dessen wollen sie gesehen haben, wie Davis, der die zwei Männer zuerst durch die Schutzscheibe beschossen hatte, aus seinem Auto ausstieg und den beiden Verletzten durch Schüsse in den Rücken - der eine lag am Boden, der andere lief vergeblich um sein Leben - tötete. Diesen Verlauf hat auch die Obduktion der beiden Leichen bestätigt. Insgesamt hat Davis mit seiner Baretta-Pistole zehn Schüsse abgefeuert. Zwar hat die Polizei bei einem der Getöteten eine Schußwaffe gefunden, doch war diese nicht geladen; es gab keine Kugel im Lauf; alle waren noch im Magazin. Deshalb hat Lahores Polizeichef Aslam Tareen bei der Pressekonferenz am 11. Februar die Notwehr-These abgetan und von einem "kaltblutigen" Mord gesprochen.

Aus Polizeikreisen heißt es, daß Davis, nachdem er Haider und Fahim liquidiert hatte, auch noch Fotos von deren Leichen machte. Die Bilder hat man auf einer Kamera gefunden, die bei der Festnahme sichergestellt wurde. Interessanterweise soll man auf dem Speicherchip der Kamera auch Fotos von Militärinstallationen in Lahore selbst sowie entlang der nahegelegenen Grenze zu Indien und von Moscheen und Madrassas, die von sogenannten Radikalislamisten frequentiert werden, gefunden haben. In Davis' Honda Civic soll man neben einer Glock-Pistole, drei volle Magazine, eine Taschenlampe, die man am Kopf trägt, ein Teleskop, mehrere Mobiltelefone und eine ganze Reihe von Geschäftskarten, darunter eine, die den Ex-Soldaten als Mitarbeiter des US-Konsulaten in Peshawar im pakistanischen Stammesgebiet auswies, gefunden haben.

Berichten der Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders ABC zufolge soll der pakistanische Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) noch im Januar mehrere Telefonanrufe Davis' nach Südwasiristan, Haupttummelplatz der islamistischen "Terroristen" in Pakistan, zurückverfolgt haben. Wegen unerwünschter Spähaktivitäten in Lahore soll er vom ISI bereits verwarnt worden sein. Darüber hinaus will ABCNews.com von vier Quellen bei der Regierung in Islamabad erfahren haben, daß die beiden Getöteten, Fahim und Haider, für den ISI Davis in Lahore beschattet hatten. In einem aufschlußreichen Artikel, der am 14. Februar bei der Asia Times Online erschienen ist, hat sich der ehemalige indische Botschafter M. K. Bhadrakumar der Meinung vieler Pakistaner angeschlossen, nämlich daß man es bei Davis mit einem Mitarbeiter eines privaten US-Sicherheitsdienstes wie Blackwater zu tun hat, der im Auftrag der CIA die heimliche Zusammenarbeit mit pakistanischen "Terroristen" betreibe. Für Bhadrakumar würde dies auch erklären, warum Washington Islamabad dermaßen massiv unter Druck setzt, um den Mann freizubekommen. In Washington und Langley befürchtet man, was bei einem Strafrechtsprozeß alles herauskommen könnte, so der ehemalige indische Diplomat.

14. Februar 2011