Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/729: Nordkorea nennt Bedingung für einen Atomwaffenverzicht (SB)


Nordkorea nennt Bedingung für einen Atomwaffenverzicht

Jimmy Carter bringt aus Pjöngjang eine diplomatische Offerte mit


Seit der mysteriösen Versenkung der südkoreanischen Fregatte Cheonan bei einem Marinemanöver im März 2010 und dem Tod von 46 Besatzungsmitgliedern, wofür die Südkoreaner die Nordkoreaner verantwortlich machen, herrscht zwischen Pjöngjang und Seoul diplomatische Eiszeit. Die nordkoreanische Regierung bestreitet jede Verwicklung ihrer Streitkräfte in den Vorfall und wirft ihrerseits Südkorea und den USA vor, ein tragisches, selbstverschuldetes Unglück bei einem gemeinsamen Kriegsspiel zu Propagandazwecken auszuschlachten und wider besseren Wissens dem kommunistischen Staat anzuhängen. Die anhaltenden Spannungen zwischen beiden Seiten bergen die Gefahr, daß der seit 1953 lediglich durch einen Waffenstillstand unterbrochene Koreakrieg jederzeit aufflammen könnte, wie das Artillerieduell, das im letzten November auf der südkoreanischen Insel Yeonpyeong zwei Soldaten und zwei Zivilisten das Leben kostete, zeigt. Nichtsdestotrotz hat Nordkorea in den letzten Tagen einen Ausweg aus der Dauerkrise vorgeschlagen. Demnach ist Pjöngjang zu einem Verzicht auf sein Atomwaffenarsenal bereit, wenn es im Gegenzug von den USA eine Sicherheitsgarantie erhält.

Zu dem ungewöhnlich offenen Angebot Pjöngjangs kam es im Rahmen eines zweitägigen Besuchs Jimmy Carters in Nordkorea. Der 86jährige ehemalige US-Präsident ist für die Nordkoreaner eine Vertrauensperson, seit er 1994 als Sonderbotschafter Bill Clintons in das abgeschottete Land reiste und zusammen mit dem Staatsgründer Kim Il-Sung einen drohenden, erneuten Ausbruch des Krieges auf der koreanischen Halbinsel verhinderte. Damals wie heute stand Nordkoreas Atomprogramm im Mittelpunkt des Konfliktes. Zur Beilegung der Krise haben Südkorea und die USA angeboten, Nordkorea zwei Leichtwasserreaktoren zur Deckung seines Energiebedarfs zu liefern, die Bauarbeiten jedoch in der Hoffnung, daß der kommunistische Staat an seinen wirtschaftlichen Schwächen kollabiert, dermaßen in die Länge gezogen, daß sich Pjöngjang zu eigenen Maßnahmen veranlaßt sah.

Dies führte zwischen Nordkorea und der Regierung George W. Bushs zu einer Konfrontation, die Peking durch die Einrichtung der sogenannten Sechsergespräche beizulegen versuchte. Im September 2005 erklärten sich die Nordkoreaner bei den Diskussionen mit Gesandten aus China, Japan, Rußland, Südkorea und den USA zur Aufgabe ihres Atomwaffenprogramms endlich bereit, um nur praktisch im gleichen Moment erleben zu müssen, wie das Finanzministerium in Washington aus fadenscheinigen Gründen Sanktionen gegen die Banco Delta Asia, über die Pjöngjang einen Gutteil seines Außenhandels abwickelte, verhängte. Als Konsequenz aus dem durchsichtigen Doppelspiel der Amerikaner hat Nordkorea 2006 und 2009 seine ersten Atomtests durchgeführt. Seit zwei Jahren ist es zu keiner weiteren Runde der Sechsergespräche gekommen.

Wegen des diplomatischen Stillstands haben die Nordkoreaner vor kurzem Carter nach Pjöngjang eingeladen. Dorthin ist am 26. April der demokratische Vorgänger Clintons und Barack Obamas in Begleitung des ehemaligen finnischen Premierministers Marrti Ahtisaari, der norwegischen Ex-Premierministerin Gro Harlem Brundtland und der irischen Ex-Präsidentin Mary Robinson gereist. Alle vier gehören der von Nelson Mandela gegründeten Gruppe der sogenannten "Älteren" an. Bei ihrem Besuch wurden die vier ehemaligen Politiker Zeuge, wie schlecht es um die Versorgungslage Nordkoreas mit Medikamenten und Nahrungsmitteln steht. Zu dieser Situation haben nicht nur Überflutungen, ein schwerer Winter und ein Ausbruch der Maul-und-Klauen-Seuche, sondern auch die letztjährige Entscheidung der USA und Südkoreas, nach dem Cheonan-Vorfall ihre humanitären Hilfslieferungen einzustellen, beigetragen. Bei einer Pressekonferenz auf der Heimreise in Seoul hat Carter deshalb die Vorenthaltung von Lebensmittellieferungen durch die Regierungen Südkoreas und der USA als "Verstoß gegen die Menschenrechte" heftig kritisiert.

Wenngleich den vier "Älteren" keine Audienz mit dem angeblich erkrankten nordkoreanischen Staatsführer Kim Jong-il gewährt wurde, so haben sie doch von diesem am zweiten und letzten Tag ihres Besuchs ein persönliches Schreiben erhalten. Darin hat sich Kim laut Carter bereiterklärt, sich "überall, zu jeder Zeit und ohne Vorbedingungen" mit den Staatschefs der anderen an den Sechsergesprächen beteiligten Länder - sei es einzeln oder alle zusammen - zu treffen, um über eine Beendigung der Krise auf der koreanischen Halbinsel zu verhandeln. In diesem Zusammenhang hat Kim seine Bereitschaft ausdrücklich verkündet, sich sogar mit dem konservativen südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak, der seit seiner Wahl 2008 den Kalten Krieger markiert, an einen Tisch zu setzen.

Die USA und Südkorea verlangen, daß sich die Nordkoreaner zur Versenkung der Cheonan bekennen und sich dafür entschuldigen. Nach Angaben Carters lehnt die Regierung in Pjöngjang das strikt ab, wenngleich man bereit wäre, formell sein Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck zu bringen. Dafür jedoch haben alle Vertreter Pjöngjangs, mit denen Carter sprach, erklärt, Nordkorea wäre bereit, auf sein Atomwaffenprogramm zu verzichten, wenn es im Gegenzug dafür "irgendeine Art von Sicherheitsgarantie von den USA" bekäme. Angesichts der aktuellen Lage von Muammar Gaddhafis Libyen, das 2003 nach einer Versöhnung mit dem Westen auf sein Atomwaffenprogramm verzichtete und sich seit Mitte März Luftangriffen der NATO ausgesetzt sieht, erscheint der Preis, den die Nordkoreaner für ihren Verzicht auf die nukleare Abschreckung verlangen, nicht gerade überzogen zu sein.

30. April 2011