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ASIEN/730: Tötung von Bin Laden bringt Pakistan in Erklärungsnot (SB)


Tötung von Bin Laden bringt Pakistan in Erklärungsnot

Islamabad um Distanz zu Enthauptungsschlag gegen Al Kaida bemüht


Die angebliche Liquidierung Osama Bin Ladens durch ein Kommando der US-Spezialstreitkräfte am 1. Mai wirft jede Menge Fragen auf, die sich in drei Komplexe zusammenschließen lassen: Erstens, wie die Operation genau durchgeführt wurde; zweitens, inwieweit die Pakistaner involviert waren; und drittens, welche Schlüsse man aus dem spektakulären Ableben des Chefs und Gründers des "Terrornetzwerkes" Al Kaida über das Verhältnis zwischen Washington und Islamabad ziehen kann.

In allen offiziellen und inoffiziellen Stellungnahmen seitens der Vertreter der Regierung Barack Obamas wird betont, die Operation sei ausschließlich von US-Streitkräften durchgeführt worden. In einer ausführlichen Pressekonferenz am 2. Mai behauptete John Brennan, der Antiterror-Berater des Weißen Hauses, die US-Elitesoldaten seien per Hubschrauber von Afghanistan nach Abbottabad, rund 60 Kilometer nördlich von Islamabad, geflogen, hätten die Operation durchgezogen und sich anschließend mit der Leiche Bin Ladens im Gepäck über die Grenze zurückgezogen, bevor die pakistanischen Behörden in die Vorgänge eingeweiht wurden. Brennan führte die Geheimhaltung auf die Sorge zurück, daß irgend jemand innerhalb des pakistanischen Sicherheitsapparats Bin Laden rechtzeitig vor der bevorstehenden Zugriffsoperation hätte warnen können. Schließlich bezeichnete er es als "unvorstellbar", daß der am meisten gesuchte mutmaßliche Verbrecher der Welt seit mindestens einem Jahr in einer monströsen und schwerbewachten, 2005 für eine Million Dollar gebauten Villa in einem Nobelvorort der Garnisonsstadt wohnen konnte, ohne daß dies irgendwelche Personen beim pakistanischen Militär oder beim berüchtigten Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) wußten oder es ihnen aufgefallen wäre.

Mag Brennan mit seiner Einschätzung des Kenntnisstands innerhalb des pakistanischen Geheimdienstes und Militärs richtig liegen, so erscheint doch seine Schilderung der Ereignisse wenig glaubhaft. Das Prädikat "unvorstellbar" verdient mindestens ebensosehr die Behauptung, die US-Spezialstreitkräfte wären von Afghanistan kommend unbemerkt in den pakistanischen Luftraum eingedrungen und hätten weniger als einen Kilometer von der wichtigsten Militärakademie entfernt ihre geplante Operation, die mit einem rund 40minütigen Feuergefecht einherging, durchgeführt, nur um danach genauso unbemerkt wieder zu verschwinden. Von daher kann man die Angaben eines am 2. Mai von der US-Zeitungsgruppe McClatchy zitierten Mitglieds der Obama- Regierung, die an der Operation beteiligten Navy SEALs hätten "besondere Maßnahmen ergriffen, die es den Hubschraubern ermöglichten, vom pakistanischen Radar nicht erfaßt zu werden", gleichfalls als Nonsens abtun wie die am 3. Mai in der New York Times zu findende Behauptung eines nicht namentlich genannten Mitglieds des pakistanischen Sicherheitsapparats, derzufolge "die bei der Operation verwendeten Helikopter so nahe am Boden flogen, daß sie einer Entdeckung durchs Radar entgehen konnten".

Die vom Joint Special Operations Command (JSOC) verwendeten Hubschrauber vom Typ UH-160 Blackhawk haben einen Operationsradius von 600 Kilometer. Der am nächsten gelegene NATO-Stützpunkt zu Abbottabad liegt am Flughafen der ostafghanischen Stadt Jalalabad in rund 250 Kilometer Entfernung. Dazwischen befinden sich die Ausläufer des Himalaya mit einem Höhenunterschied von 710 Metern - Jalalabad liegt 550 Meter und Abbottabad 1260 Meter über dem Meerespiegel. Bei steigender Höhe nimmt bei Flugzeugen wegen des geringeren Sauerstoffgehalts in der Luft zudem der Treibstoffverbrauch zu. Vor diesem Hintergrund leuchtet das, was Marc Ambinder im National Journal und Syed Saleem Shahzad in der Asia Times Online unter Verweis auf ihre Kontakte zum Geheimdienst und Militär jeweils der USA und Pakistans schreiben, nämlich daß die 79 Navy SEALs vom JSOC-Stützpunkt Tarbela Ghazi aus, rund 20 Kilometer von Islamabad entfernt, mit ihren vier Hubschraubern nach Abbottabad flogen, eher ein.

Die an der Aktion beteiligten Soldaten, die bis zur letzten Minute in den USA dafür trainierten, sind vermutlich kurz vorher per Flugzeug nach Pakistan gekommen. Die Angaben von Ambinder und Shahzad lassen auf jeden Fall Zweifel an der Legende aufkommen, die SEALs wären mit der Leiche Bin Ladens per Hubschrauber nach Afghanistan geflogen, bevor diese im Meer versenkt wurde. Wenn die Bin-Laden-Jäger ohnehin nicht von Afghanistan gekommen sind, was tatsächlich der Fall zu sein scheint, dann haben sie seine Leiche entweder direkt oder nach einem kurzen Zwischenstopp auf besagter Operationsbasis Tarbela Ghazi auf den im Arabischen Meer vor der Küste Pakistans liegenden, atomarbetriebenen US-Flugzeugträger Carl Vinson zwecks Seebestattung gebracht.

Inwieweit die Amerikaner die pakistanischen Kollegen über den Zweck der Operation informierten, zu der man in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai aufbrach, ist unklar. Folgt man dem, was der 33jährige Sohaib Athar, der in einem Haus nahe dem Versteck Bin Ladens wohnt, per Twitter in die Welt hinausschickte, fand ab ein Uhr morgens 40 Minuten lang in Abbottabad eine mörderische Schießerei statt, die alle Bewohner der Stadt wachgerüttelt hat und bei der einer der Blackhawk- Hubschrauber entweder von einer Panzerfaust abgeschossen wurde oder einfach abgestürzt und in Flammen aufgegangen war. Daß aus der nahegelegenen Kaserne niemand gekommen ist und das Privatscharmützel zwischen Al Kaida und JSOC gestört hat, läßt den Verdacht aufkommen, daß zumindest Teile des pakistanischen Militärs eingeweiht waren. Vermutlich hat das Pentagon die ganze Sache im Vorfeld mit dem pakistanischen Generalstabschef Ashfak Kayani, der bekanntlich Absolvent der General Staff College auf dem Militärstützpunkt Fort Leavenworth in Kansas ist, abgesprochen. Ob vielleicht die Ausschaltung Bin Ladens bei dem mysteriösen Treffen zwischen Kayani und dem amerikanischen Admiral Michael Mullen samt ihrer jeweiligen Stäbe Ende Februar in Oman auf der Tagesordnung stand?

Die Bemühungen von Barack Obama und dem pakistanischen Präsidenten Ali Asif Zardari, die Liquidierung Bin Ladens ausschließlich als Ergebnis einer Operation der US-Streitkräfte zu verkaufen, sollen vermutlich die Regierung Pakistans vor dem Vorwurf in Schutz nehmen, sie hätte sich am Tod eines Mannes schuldig gemacht, der bei nicht wenigen Pakistanern und Muslimen auf der Welt wegen seines unerbittlichen Kampfes gegen den Westen großes Ansehen genoß. Die Schutzbehauptungen aus Islamabad und Washington nutzen wenig. In einer ersten Reaktion auf das Bin-Laden-Attentat haben die pakistanischen Taliban die eigene Regierung zum Hauptfeind erklärt und gleichzeitig die USA auf Platz zwei zurückversetzt. Folglich ist mit erhöhter Aktivität von Pakistans Dschihadisten und einer Verschärfung des "Antiterrorkrieges" in den kommenden Wochen zu rechnen.

3. Mai 2011