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ASIEN/734: Tötung Bin Ladens entzweit die USA und Pakistan (SB)


Tötung Bin Ladens entzweit die USA und Pakistan

Islamabad und Washington werfen sich gegenseitig Vertrauensbruch vor


Der heftige Streit zwischen den USA und Pakistan, den die angebliche Tötung von Osama Bin Laden am 1. Mai in Abbottabad durch amerikanische Spezialstreitkräfte ausgelöst hat, deutet auf eine schwere Krise in den Beziehungen zwischen Islamabad und Washington hin. Es drängt sich der Verdacht auf, daß sich weit mehr hinter der "Operation Geronimo" als nur die Liquidierung des mutmaßlichen Auftraggebers der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 versteckt, als man der Öffentlichkeit weismachen will. Jedenfalls hat die gegenseitige Bezichtigung des Vertrauensbruchs zwischen den Regierungen von Präsident Barack Obama und Premierminister Yousaf Raza Gilani ein Ausmaß erreicht, das über das hinausgeht, was erforderlich wäre, um beide Seiten nach außen hin von dem Vorwurf zu befreien, sie hätten - getrennt oder zusammen - vom Versteck Bin Ladens in Pakistan gewußt. Bei dem vielen Lärm geht es nicht um Nichts, sondern sehr wohl um etwas, das jedoch genau auszumachen, schwierig fällt.

In den vergangenen Tagen hat es zahlreiche, stichhaltige Hinweise von verschiedenen Medien gegeben, daß das pakistanische Militär nicht nur vorab in die geplante Erstürmung des Anwesens in Abbottabad eingeweiht war, sondern dabei auch eine unterstützende Rolle gespielt hat. Die vier bei der Aktion verwendeten Black-Hawk-Hubschrauber sollen zum Beispiel nicht direkt von Jalalabad auf der anderen Seite der afghanischen Grenze gekommen und danach dorthin wieder direkt zurückgeflogen sein, sondern vom Stützpunkt des Joint Special Operations Command (JSOC) der US-Streitkräfte in Tarbella Ghazi bei Islamabad aus gestartet sein. Dies macht die von Pentagon und dem Hauptquartier der pakistanischen Armee in Rawalpindi gemeinsam vertretene Behauptung, die US-Hubschrauber hätten die gesamte Luftverteidigung Pakistans überwunden, vollkommen unglaubwürdig - selbst man die offizielle Legende abkauft, es habe sich hier um den erstmaligen Einsatz hochmoderner Tarnkappen-Helicopter des am Fort Campbell, Kentucky, beheimateten 16th Special Operations Aviation Regiment (Spitzname "Night Stalkers") gehandelt. Es mutet zudem unvorstellbar an, daß die CIA von einem sicheren Haus in Abbottabad das Versteck Bin Ladens über Monaten hin unter Beobachtung halten konnte, wie es die Washington Post am 6. Mai als erste Zeitung meldete, ohne daß die Kollegen vom Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) darüber im Bilde waren. Schließlich soll es der ISI selbst gewesen sein, der nach der Festnahme des indonesischen Terrorverdächtigen Umar Patek am 25. Januar in Abbottabad den US-Auslandsgeheimdienst in Langley auf das Refugium des Al-Kaida-Chefs aufmerksam gemacht haben soll.

Vor diesem Hintergrund ist die Verärgerung der Pakistaner über die von Premierminister Gilani bei einem Auftritt am 9. Mai vor dem Parlament in Islamabad als "absurd" zurückgewiesene Unterstellung Washingtons, Bin Laden sei über Jahre von einem "Unterstützernetzwerk" im pakistanischen Sicherheitsapparat gedeckt worden, leicht nachvollziehbar. Sie geht sogar über das, was laut einem Bericht des Londoner Guardians am 10. Mai General Pervez Musharraf und US-Präsident George W. Bush Ende 2001 vereinbart haben sollen. Demnach hätten die Pakistaner den Amerikanern grünes Licht für eine unilaterale Aktion jederzeit auf pakistanischem Territorium zur Ausschaltung Bin Ladens, dessen Al-Kaida-Vize Aiman Al Zawahiri oder des Taliban-Chefs Mullah Muhammed Omar gegeben. Ein Teil der Abmachung, die Anfang 2008 beim Wechsel von Musharraf zum Witwer Benazir Bhuttos, Ali Asif Zardari, als pakistanischer Präsident erneuert worden sein soll, soll darin bestanden haben, daß die Regierung in Islamabad anschließend gegen die angebliche Selbstherrlichkeit der USA lauthals protestieren und jede Kenntnisnahme vom Aufenthaltsort des betroffenen "Bösewichts" oder dessen geplanter Gefangennahme oder Tötung durch die Amerikaner bestreiten dürfte.

Doch bei Protesten und rhetorischen Geplänkel ist es im vorliegenden Fall nicht geblieben. Am 8. Mai haben Insider beim pakistanischen Sicherheitsapparat über die einheimische Presse den CIA-Stationschef in Islamabad als Marc Carlton identifiziert. So etwas macht man nicht unter Freunden. Bereits im vergangenen Dezember mußte der Vorgänger Carltons, Jonathan Banks, aus Islamabad abgezogen werden, als er in pakistanischen Gerichtsdokumenten bei einer Klage von Angehörigen der Opfer illegaler, per Drohne durchgeführter Raketenangriffe der CIA im Grenzgebiet zu Afghanistan namentlich genannt worden war. Damals machte die US-Regierung den ISI für die öffentliche Bloßstellung von Banks verantwortlich. Wenige Wochen später folgte die Affäre um Raymond Davis, einen ehemaligen US-Elitesoldat und mutmaßlichen CIA-Mitarbeiter, der von der Polizei in Lahore verhaftet worden war, nachdem er dort am 27. Januar auf offener zwei junge Männer, bei denen es eventuell um seine ISI-Beschatter handelte, erschoß.

Trotz heftiger Kritik seitens Obama und dessen Außenministerin Hillary Clinton, Pakistan habe eine Person mit "diplomatischer Immunität" festgenommen und damit gegen internationales Recht verstoßen, ließ man Davis erst im März frei, nachdem die Familien der Getöteten finanziell entschädigt worden waren und das zuständige Gericht den Fall für erledigt erklärt hatte. Die Freilassung von Davis erfolgte auch erst, nachdem sich Washington bereiterklärt hatte, zahlreiche private US-Sicherheitsdienstleister, die in Pakistan Spionage betrieben, abzuziehen. Wie unglücklich die USA mit der Bereinigung der Affäre gewesen sind, zeigt die Tatsache, daß sie innerhalb von 24 Stunden, nachdem Davis Pakistan verlassen hatte, mit einem Drohnenangriff 41 Teilnehmer einer Dorfversammlung in der pakistanischen Grenzprovinz Nordwasiristan töteten, von denen kein einziger den Taliban oder der Al Kaida angehört haben soll. In Pakistan wurde das Massaker als unverfrorene Machtdemonstration Washingtons empfunden, wie die Überschrift des am 18. März bei der Zeitung The News International (Jang) erschienenen Artikels "Drones celebrate Raymond release by killing 41" zeigt.

Für einige Beobachter stellt die angebliche Tötung von Bin Laden und die daraus erfolgte Bezichtungskampagne der USA gegen Pakistan vor allem eine Maßnahme dar, mit der die Verbündeten in Islamabad und Rawalpindi vorgeführt und wieder auf Washingtoner Linie gebracht werden sollten. Mit der Ausschaltung des Al-Kaida-Gründers - sofern dieser nicht vor Jahren in Tora Bora gestorben ist - hätte das Ganze demnach weniger zu tun, wenngleich die amerikanischen Medien die USA wieder als Siegernation und Obama als "Entscheider" à la Bush jun. feiern. Der mysteriösen Operation in Abbottabad gingen erstens eine am 24. April gegen CIA-Drohenangriffe und NATO-Nachschubkonvois gerichtete Sitzblockade des pakistanischen Oppositionsopolitikers und früheren Cricket-Idols Imran Khan am Khyberpaß und zweitens ein Bericht des Wall Street Journal vom 27. April voraus, demzufolge Pakistans Premierminister Gilani bei einem Treffen mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai elf Tage zuvor in Kabul vorgeschlagen hätte, gemeinsam mit der Volksrepublik China und unter Ausschluß der Amerikaner eine dauerhafte Friedenslösung am Hindukusch durchzusetzen.

In einem am 10. April auf der Titelseite der New York Times unter der Überschrift "U.S. Braced for Fights With Pakistanis in Bin Laden Raid" erschienenen Artikel berichteten Eric Schmitt, Thom Shanker und David E. Sanger unter Verweis auf Quellen bei der zivilen Führung in Washington und der militärischen in Arlington, daß Präsident Obama in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte "darauf insistiert" habe, daß das Einsatzteam für den Überfall auf das Anwesen in Abbottabad "groß genug" sein sollte, "um seinen Weg aus Pakistan freizukämpfen, sollte es in eine Konfrontation mit feindlichen örtlichen Polizisten oder Soldaten geraten". Dies zeigt, laut der NYT, daß Obama "bereit war, eine militärische Konfrontation mit einem engen Verbündeten zu riskieren, um den Anführer von Al Kaida gefangenzunehmen oder zu töten".

In einem eigenen Bericht ebenfalls am 10. Mai hat der US-Nachrichtensender CNN die brisanten Angaben der New York Times um einige Details ergänzt. Demnach erhielten die U.S. Navy SEALs auf dem Boden in der Garnisonstadt Abbottabad Rückendeckung von mehreren Kampfflugzeugen der eigenen Luftwaffe, "die Feuerkraft zur Verfügung gestellt hätten, wäre das Team unter gegnerischen Beschuß geraten, mit dem es nicht fertig geworden wäre" (wobei sich natürlich die Frage aufdrängt, wie Amerikas Top Guns der pakistanischen Luftverteidigung nicht aufgefallen sein sollen). Bei einer Pressekonferenz am 10. Mai hat der Oppositionsführer und ehemalige Premierminister Nawaz Sharif von dem nach ihm benannten Flügel der pakistanischen Moslemliga (PML-N) den Vorfall von Abbottabad als eine schwere Verletzung der Souveränität Pakistans verurteilt und das beunruhigende Fazit bezogen, daß sich sein Land "in einer schweren Krise befindet und von großer Gefahr umgeben ist". Recht hat er.

11. Mai 2011