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ASIEN/746: Pakistan und USA am Rande der Feindseligkeiten? (SB)


Pakistan und USA am Rande der Feindseligkeiten?

Vorwürfe Washingtons heizen Spannungen mit Islamabad an


Überschattet von der internationalen Diskussion um den Antrag der Palästinenser auf volle UN-Mitgliedschaft bei der 66. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York kam es in den vergangenen Tagen zwischen ranghohen Vertretern Pakistans und der USA zum bisher heftigsten Streit in den bilateralen Beziehungen beider Länder. Washington wirft Islamabad offen vor, nicht nur nicht ausreichend gegen Talibanstellungen im Grenzgebiet zu Afghanistan vorzugehen, sondern Akteure des afghanischen Widerstands im Kampf gegen die NATO-Streitkräfte sogar aktiv zu unterstützen, und droht mit massiven militärischen Konsequenzen. Die Pakistaner weisen ihrerseits den Vorwurf zurück und kündigen für den Fall einer Umsetzung der indirekten Kriegsdrohung entsprechende Gegenmaßnahmen an. Auch wenn der dahinterstehende Gedanke abwegig erscheint, darf nicht vergessen werden, daß Hunderttausende US-Soldaten in Afghanistan, im Irak sowie rund um den Persischen Golf in Reichweite pakistanischer Atomwaffen stationiert sind.

Die Wortführer der Bezichtigungskampagne der Amerikaner sind der scheidende Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs Admiral Michael Mullen und der neue Verteidigungsminister Leon Panetta, der in den ersten zweieinhalb Jahren der Obama-Regierung CIA-Chef war. Bei einem Auftritt am 22. September vor dem Verteidigungsausschuß des Senats in Washington hat Mullen das mit den Taliban verbündete Hakkani-Netzwerk als "reines Werkzeug von Pakistans Inter-Services Intelligence", dem mächtigen pakistanischen Militärgeheimdienst, bezeichnet. Hatten die USA bis dahin lediglich bemängelt, daß das pakistanische Militär davor zurückschrecke, gegen die Hochburg der Miliz um Jalaluddin Hakkani und dessen Söhne Siradschuddin und Badruddin im Grenzbezirk Nordwasiristan vorzugehen, so waren die Vorwürfe diesmal weitaus brisanter. Mullen behauptete in aller Öffentlichkeit, das Hakkani-Netzwerk, dessen 5000 bis 15000 Kampfer weite Teile der afghanischen Provinzen Paktika, Paktia und Khost kontrollieren, hätte "mit Unterstützung des ISI" den massiven Lastwagenbombenanschlag auf einen NATO-Stützpunkt in der Provinz Wardak am 10. September - 5 tote Zivilisten und 77 verletzte US-Soldaten - sowie den Raketenangriff auf die amerikanische und britische Botschaft in Kabul drei Tage später, der elf Zivilisten und fünf Mitgliedern der afghanischen Polizei das Leben kostete, durchgeführt.

Mullen unterstellte Islamabad, die Hakkanis als "Stellvertreter" im Kampf um regionalen Einfluß in Afghanistan zu benutzen, um warnend hinzuzufügen: "Einzig die Entscheidung, mit diesem politischen Kurs zu brechen, kann für Pakistan den Weg in eine positive Zukunft ebnen". Ohne konkret auf die Frage der Senatoren, wie die USA auf die feindseligen Aktionen Pakistans reagieren würde, einzugehen, erklärte Pentagonchef Panetta, Washington werde die angebliche Zusammenarbeit der Hakkani-Kämpfer und des ISI "nicht länger tolerieren". Ähnliche Vorwürfe erhielt Pakistans Außenministerin Hina Rabbani Khar am Rande der UN-Generalversammlung beim Treffen mit ihrer Amtskollegin Hillary Clinton. Die Verärgerung Washingtons über das aus seiner Sicht unsolidarische Verhalten Islamabads soll auch der Grund gewesen sein, warum Obama in New York keine Zeit für ein Gespräch mit dem pakistanischen Premierminister Yousuf Raza Gilani hatte. Wegen der Weigerung Obamas, sich mit ihm zu treffen, soll Gilani seine ursprünglich geplante Reise nach New York abgesagt haben.

Ihrerseits weisen die Pakistaner die Vorwürfe aus Washington vehement zurück. Innenminister Rehman Malik forderte die Amerikaner auf, entweder Beweise für eine Zusammenarbeit zwischen den Hakkanis und dem ISI vorzulegen oder den Mund zu halten. Malik bezeichnete die Drohung, die US-Streitkräfte könnten einen eigenen Vorstoß gegen die Hakkanis in Nordwasiristan unternehmen, als abwegig. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärte er: "Die pakistanische Nation wird [amerikanische] Stiefel auf unserem Territorium nicht akzeptieren, niemals. Unsere Regierung kooperiert bereits mit den USA, dafür aber müssen sie auch unsere Souveränität respektieren."

Pakistans Generalstabschef Parvez Kayani, über den der Londoner Guardian am 23. September - bezeichnenderweise ohne Angaben von Quellen - berichtete, er hätte trotz rechtzeitiger Inkenntnissetzung durch US-General John Allen, den NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, über entsprechende Vorbereitungen der Aufständischen den Lastwagenbombenanschlag von Wardak nicht verhindert, rief die Verantwortlichen in Washington dazu auf, mit ihrer "Bezichtigungstour" aufzuhören. Er erklärte, die Behauptungen aus Washington würden "nicht auf Fakten basieren", und rief die USA dazu auf, mit Islamabad an der Schaffung eines "stabilen und friedlichen Afghanistans konstruktiv" zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus unterstellte er seinem Amtskollegen Mullen Unaufrichtigkeit, denn dieser wisse "ganz genau, welche Länder mit den Hakkanis in Kontakt stehen." "Pakistan hervorzuheben" sei "weder gerecht noch produktiv", so Kayani

Bei ihrem Besuch in New York hat Pakistans Außenministerin Khar am 25. September ein Interview mit dem US-Fernsehsender CBS genutzt, um den aktuellen Streit zu thematisieren. Sie beschrieb die Vorwürfe Washingtons als "außerordentlich feindselig" und führte sie auf den offensichtlichen Wunsch zurück, Pakistan die Schuld für den militärischen Mißerfolg der NATO in Afghanistan in die Schuhe zu schieben. Khar bezeichnete Pakistan als Teil der Lösung und nicht Teil des Problems in Afghanistan und warnte die Amerikaner davor, die rund 180 Millionen Pakistaner zu ihren Feinden zu machen. Leider scheint die Politik der USA - siehe die zunehmenden Raketenangriffe der CIA auf mutmaßliche Talibanziele in Pakistan - genau auf dieses Ergebnis zuzusteuern.

26. September 2011