Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/755: USA um Gespräche mit afghanischem Aufstand bemüht (SB)


USA um Gespräche mit afghanischem Aufstand bemüht

Kriegsmüde Konfliktparteien am Hindukusch vor der Deeskalation?


Ob es die Einsicht ist, daß die Truppenaufstockung der letzten drei Jahre in Afghanistan nichts außer höhere Verlustzahlen auf allen Seiten gebracht hat, oder es an den zunehmenden Spannungen zwischen Teheran und Washington liegt bzw. der Tatsache geschuldet ist, daß sich im Wahljahr 2012 die Anzahl der am Hindukusch gefallenen amerikanischen Soldaten rasant auf die Marke von 2000 zubewegt, was sich beim Überschreiten derselben negativ auf die Wiederwahlchancen von US-Präsident Barack Obama auswirken dürfte - jedenfalls zeichnet sich die aktuelle diplomatische Lage in dem zentralasiatischen Land durch eine rege Gesprächstätigkeit aus?

Diverse Unterhändler des Westens führen Sondierungsgespräche mit Vertretern der verschiedenen aufständischen Gruppen, offenbar mit dem Ziel, eine Umsetzung des geplanten NATO-Truppenabzugs bis 2014 zu ermöglichen. Im Grunde genommen klopfen sich beide Seiten auf ihre jeweilige Friedensbereitschaft ab. Derzeit zeichnet sich keine konkrete Friedenslösung ab. Es besteht zunächst lediglich die Aussicht auf eine Deeskalation des Konfliktes.

Medienberichten zufolge ist das State Department Hillary Clintons in den vergangenen Wochen sowohl mit dem Taliban um Mullah Muhammed Omar, der Hisb-i-Islami Gulbuddin Hektmatyars und dem Hakkani-Netzwerk um das Vater-und-Sohn-Gespann Jalaluddin und Sirajuddin Hakkani in Kontakt getreten. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 23. Januar wurde Hekmatyars Schwiegersohn Ghairat Baheer, der auf der entsprechenden Liste des US-Außenministeriums als "Terrorist" geführt wird, dahingehend zitiert, er hätte sich in den letzten drei Wochen sowohl mit dem US-Botschafter in Kabul, Ryan Crocker, als auch mit dem NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, US-General John Allen, getroffen. Baheer sprach von einem "produktiven Gedankenaustausch". Allen Beteiligten ginge es darum, in Afghanistan endlich "Frieden" und "Stabilität" zu schaffen. In derselben Meldung schrieb Reuters-Korrespondent Kamal Sadaat unter Verweis auf einen US-Regierungsvertreter, Baheer wäre bereits letztes Jahr einmal mit dem damaligen ISAF-Oberbefehlshaber und heutigen CIA-Chef David Petraeus zusammengetroffen.

Bereits am 22. Januar auf einer Pressekonferenz in Kabul hatte der US-Sonderbotschafter für Afghanistan und Pakistan, Marc Grossman, ohne Datum oder Ort zu nennen, erklärt, er hätte sich einmal heimlich mit Gesandten des Hakkani-Netzwerkes getroffen. Bei diesem Anlaß äußerte Grossman, der letztes Jahr an die Stelle des plötzlich verstorbenen Richard Holbrooke getreten war, die Hoffnung, daß die verschiedenen aufständischen Gruppen in Afghanistan demnächst öffentlich den "Terrorismus" verurteilen würden. Eigentlich dürfte dem nichts Prinzipielles im Weg stehen, hatte der Taliban-Chef doch in der Vergangenheit mehrmals angeboten, im Gegenzug für den Abzug aller ausländischen Streitkräfte dafür zu garantieren, daß Afghanistan niemals wieder von irgendwelchen "terroristischen" Gruppen als Operationsbasis für Anschläge im anderen Ländern genutzt werde.

Derzeit tritt die Annäherung zwischen den Taliban und der Obama-Regierung aus mehreren Gründen auf der Stelle. Bevor die Vertreter des Islamischen Emirats Afghanistan - so die eigene Bezeichnung der Talibans - ihr geplantes Verbindungsbüro in Katar eröffnen, verlangen sie von Washington eine Geste des guten Willens in Form der Freilassung von fünf ihrer Kampfgefährten, die derzeit im Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba einsitzen. Doch weil die geringste Nachsicht gegenüber den inhaftierten "Terroristen" in Guantánamo sofort von der republikanischen Opposition um deren führende Präsidentschaftskandidaten Newt Gingrich und Mitt Romney ausgenutzt würde, um Obama Naivität in der Außen- und Sicherheitspolitik vorzuwerfen, will das Weiße Haus vorher von den Taliban ein unzweideutiges und öffentliches Zeichen der Distanzierung von radikalen Gruppen wie dem Al-Kaida-"Netzwerk" Aiman Al Zawahiris.

Hinzu kommt die Tatsache, daß ein Frieden in Afghanistan ohne Pakistan nicht möglich ist. Seit jedoch aus bisher unerklärlichen Gründen die US-Luftstreitkräfte am 26. November zwei pakistanische Grenzposten angegriffen und 24 der dort stationierten Soldaten getötet haben, befinden sich die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad in der Krise. Aus Protest gegen die Aktion hat Pakistan die internationale Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember in Bonn boykottiert. Bis heute haben die pakistanischen Behörden die als Vergeltung für den Angriff verordnete Sperrung der beiden Grenzübergänge Torkham und Chaman, über die seit Ende 2001 mehr als 60 Prozent des Nachschubs für die NATO-Truppen in Afghanistan per Lastwagen rollten, nicht aufgehoben. Folglich sind die Transportkosten der ISAF-Operation, deren Nachschub seit zwei Monaten über den Luftweg und auf den Schienen durch Rußland und die zentralasiatischen Staaten erfolgt, um das Sechsfache gestiegen.

Auch wegen innenpolitischer Streitereien zwischen Militär, Justiz und Politik gibt sich Islamabad derzeit nach außen unnachgiebig. Letzte Woche mußte Obamas Af-Pak-Sondergesandter Grossman eine Reise nach Pakistan bis auf weiteres verschieben, weil sich in Islamabad niemand Zeit für ein Treffen mit ihm nehmen wollte. Am 23. Januar hat das pakistanische Militär einen eigenen Untersuchungsbericht zum Luftangriff auf die beiden Grenzposten veröffentlicht und darin die offizielle Version der Amerikaner - ein gemeinsames Kommando afghanischer und amerikanischer Soldaten sei von der pakistanischen Seite der Grenze unter Beschuß genommen worden, worauf die Luftangriffe "in Notwehr" erfolgen - glattweg als Lüge bezeichnet.

Nichtsdestotrotz arbeiten beide Seiten fieberhaft daran, die Wogen wieder zu glätten. Zu diesem Zweck trafen sich am 24. Januar in Islamabad die pakistanische Außenministerin Hina Rabbani Khar und die US-Botschafterin Cameron Munter. Anschließend stellten die beiden Diplomatinnen eine Wiedereröffnung der Grenze für den NATO-Nachschub, die Rückkehr amerikanischer Militärausbilder und die Wiederaufnahme gemeinsamer Patrouillen an der Grenze zu Afghanistan in Aussicht. Seit einigen Tagen laufen wieder per Drohne erfolgte CIA-Raketenangriffe auf "terroristische Ziele" - offenbar mit Zustimmung Islamabads. Von daher dürfte demnächst im Hintergrund die bisher fehlende Vermittlung Pakistans bei den Verhandlungen mit den Taliban und deren Verbündeten anlaufen.

27. Januar 2012