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ASIEN/788: Malaysia und die Philippinen am Rande des Krieges (SB)


Malaysia und die Philippinen am Rande des Krieges

Historischer Grenzstreit spaltet die beiden ASEAN-Nachbarstaaten



Überschattet vom Bürgerkrieg in Syrien, dem "Antiterroreinsatz" französischer Truppen in Mali und gegenseitigem Säbelrasseln der Erzfeinde Nordkorea und USA hat in den letzten Wochen ein bizarrer Grenzstreit die beiden Nachbarstaaten Malaysia und die Philippinen an den Rand eines Krieges gebracht. Im Mittelpunkt des Konfliktes steht das untergegangene Sultanat von Sulu, das sich einst über Teile Nordborneos und die südwestlichen Philippinen erstreckte. Der 74jährige Sultan Jamalul Kiram III., dessen Reich sich heute auf die Inselgruppe Sulu beschränkt, will sein Besitztum auf Borneo, wo es den östlichen Teil des Bundesstaats Sabah bildet, zurück und hat deshalb bewaffnete Anhänger dorthin entsandt, die sich seit Wochen blutige Gefechte mit den malaysischen Ordnungskräften liefern. Hintergrund des Streits bilden politische Intrigen auf den Philippinen selbst sowie die Konkurrenz zwischen den USA und der Volksrepublik China um die Hegemonie in Südostasien.

Am 1. November 2012 und damit zwei Wochen nach der Unterzeichnung eines historischen Friedensabkommens durch Vertreter der Zentralregierung in Manila und Rebellen der seit Jahrzehnten im Aufstand befindlichen Moro Islamic Liberation Front (MILF) über die Schaffung eines autonomen Verwaltungsraums im mehrheitlich muslimischen Südwesten der Insel Mindanao - Bangsamoro - hat Sultan Kiram ein Dekret erlassen, in dem er seine Anhänger aufforderte, nach Sabah zu reisen und sich dort friedlich niederzulassen. Durch das Abkommen sehen sich der Sultan, dessen kleines Inselreich zur neuen Verwaltungseinheit von Bangsamoro gehört, und die Moro National Liberation Front (MNLF), die bereits 1976 unter libyscher Vermittlung Frieden mit Manila geschlossen hatte, in ihrem politischen Einfluß im Süden der Philippinen geschwächt.

Am 12. Februar setzten rund 180 bewaffnete Philippinos, die sich als Mitglieder der Sultanate's Royal Security Forces bezeichnen und vom Bruder seiner königlichen Hoheit angeführt wurden, über die Sulustraße über und besetzten ein Fischerdorf im Bezirk Lahad Datu im östlichen Sabah, einem der dreizehn Bundesstaaten Malaysias. Nach mehrtägiger Belagerung kam es am 1. März zum ersten Feuergefecht, bei dem zwei malaysische Polizisten und zwölf Invasoren das Leben verloren. Im malaysischen Parlament warf Oppositionsführer Anwar Ibrahim von der Partei Keadilan der regierenden Koalition Barisan Nasional um Premierminister Najib Razak von der Najibs United Malays National Organization (UMNO) Zögerlichkeit vor.

Razak, unter dessen Vermittlung das Friedensabkommen zwischen Manila und der MILF zustande gekommen war, muß Stärke beweisen. Sonst könnte seine Barisan Nasional die Parlaments- und Provinzwahlen im Juni an die von Ibrahim angeführte Peoples Alliance (Pakatan Rakyat - PR) verlieren. Gerade Sabah zählt zu den fünf Bundesstaaten Malaysias, in denen die pro-amerikanische Keadilan die pro-chinesische UMNO als stärkste Kraft verdrängen könnte. Nachdem es am 2. März in der Nähe der Stadt Semporna, 150 Kilometer von Lahad Datu entfernt, zu mehreren Feuergefechten gekommen war, bei denen acht malaysische Polizisten und 19 Sultanatsanhänger starben, ging Kuala Lumpur in die Offensive. Am 5. März griffen die Luftwaffe und die Landstreitkräfte die Eindringlinge in Lahad Datu an. Nach Angaben der malaysischen Regierung kamen hierbei rund 20 Philippinos ums Leben. Die Anhänger des Sultans behaupten ihrerseits, keine Verluste erlitten zu haben.

Hunderte schwerbewaffneter MNLF-Kämpfer sollen sich inzwischen nach Sabah begeben haben, um die Sultansgarde militärisch zu unterstützen. Das teilte MNLF-Sprecher Muhajab Hashim am 6. März der Nachrichtenagentur Agence France Presse mit. Einst hatte die MNLF 15.000 Männer unter Waffen und könnte viele von ihnen wieder aktivieren. Zudem soll sie über umfangreiche versteckte Waffendepots im Raum Sulu verfügen. In Sabah leben rund 800.000 Philippinos, die über die Jahre vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und muslimischen Rebellen auf Mindanao Zuflucht suchten. Viele von ihnen verdienen sich ihren Unterhalt als billige Hilfskräfte auf den Palmöl-Plantagen Nordborneos. MNLF-Chef Nur Misuari erklärte, daß seine Organisation Übergriffe der malaysischen Streitkräfte auf philippinische Zivilisten als "Kriegsakt" bewerten und entsprechend reagieren werde. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß sich die Al-Kaida-nahe Abu Sayyaf auf Sulu und die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters auf Mindanao, die den im vergangenen November geschlossenen Friedensvertrag ablehnen, ebenfalls am Sabah-Konflikt beteiligen könnten. Die Tochter des Sultans, Prinzessin Celia Fatima Kiram, hat jedenfalls vor einem "langen Krieg" gewarnt.

Am 7. März kam es zu den bisher blutigsten Kämpfen. Bei einem Vorstoß der malayischen Armee wurden 31 philippinische Rebellen getötet. Verluste auf malaysischer Seite scheint es nicht gegeben zu haben. Am Tag davor hatte Kiram III. von Manila aus einen "unilateralen Waffenstillstand" seiner Anhänger, die sich nur "defensiv" verhalten würden, verkündet. Die Regierung in Manila hat das Angebot des Sultans jedoch ausgeschlagen. Am Rande eines Besuchs in der Krisenregion Lahad Datu erklärte Premierminister Razak, bei einem kurz zuvor geführten Telefongespräch mit Aquino habe er dem philippinischen Präsidenten erklärt, daß die malaysische Regierung mit nichts als einer "bedingungslosen Kapitulation" zufrieden geben werde. Der malaysische Verteidigungsminister Ahmad Zahid ergriff am selben Tag einen noch schärferen Ton. In einer Stellungnahme rief er seine Soldaten dazu auf, der Friedensofferte von Kiram III. "nicht zu glauben" und stattdessen "im Interessen aller Sabaher und aller Malaysier alle Militanten auszuradieren." Die martialische Sprache Zahids mag im laufenden Wahlkampf der Barisan Nasional von Nutzen sein, eine Politik der harten Hand seitens Kuala Lumpurs im Sulu-Konflikt dürfte die Lage auf Sabah verschlechtern und die Suche nach einer friedlichen Lösung unmöglich machen.

Tatsächlich liegt der Streit um Sulu der jahrzehntelangen Auseinandersetzung zwischen den muslimischen Moros auf Mindanao und der philippinischen Zentralregierung zugrunde. Während der britischen Kolonialzeit hatte der Sultan von Sulu seine Ländereien im Nordosten Borneos britischen Betreibern von Palmölplantagen verpachtet. 1963 wurde ganz Sabah trotz offizieller Proteste des damaligen philippinischen Präsidenten Diosdado Macapagal zum Bestandteil des neuen Bundesstaates Malaysia. Quasi in Anerkennung der Besitzrechte des Sultans auf den Osten von Sabah erhält dieser seitdem 1700 Dollar Pacht von der malaysischen Regierung.

1967, während der Präsidentschaft von Ferdinand Marcos, hat das philippinische Militär rund 150 junge Männer aus Sabah rekrutiert und auf einem Armeestützpunkt nahe Manila ausgebildet. In Rahmen einer geplanten Operation namens Merdaka sollten die Freiwilligen nach Sabah zurückkehren und dort einen Aufstand lostreten, der Manila als Interventionsgrund dienen sollte. Doch irgendwie kam es nicht dazu. Ob wegen einer Meuterei um ausstehenden Sold oder weil die Rekruten die muslimischen Glaubensbrüder auf Sabah nicht töten wollten, sie wurden jedenfalls auf dem Stützpunkt von philippinischen Streitkräften, deren Angehörige damals wie heute mehrheitlich Christen sind, angegriffen und viele von ihnen umgebracht. Die genaue Zahl der Getöteten ist unklar. Einigen Männern von Sabah gelang es, dem sogenannten Massaker von Jabida zu entkommen. Aus Empörung über den Massenmord haben Nur Misuari und andere Muslime auf Mindanao 1969 die MNLF gegründet, von der sich acht Jahre später die MILF abspaltete.

Auf den Philippinen, wo im Mai ebenfalls Parlaments- und Provinzwahlen stattfinden, haben die jüngsten Ereignisse auf Borneo eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die oppositionelle United Nationalist Alliance (UNA) warf Präsident Benigno Aquino von der Liberalen Partei, der eine Seeblockade durch die philippinische Marine errichten ließ, um den Zustrom von Militanten über die Sulu-Straße zu unterbinden, vor, die Nationalinteressen des Landes zu vernachlässigen, und verglich die Vorgänge in Sabah mit dem letztjährigen Streit mit China um das Scarborough-Riff im Südchinesischen Meer. Aquino sprach seinerseits von einer Verschwörung, die das Land destabilisieren und die Umsetzung des Rahmenabkommens torpedieren soll.

Als Urheber der Verschwörung hat Aquino die Kräfte um die frühere Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, die in den USA studierte, deshalb als washingtontreu gilt und derzeit wegen Wahlfälschung und Amtsmißbrauch unter Anklage steht, ausgemacht. Aquino zufolge haben Norberto Gonzales, der unter Arroyo Nationaler Sicherheitsberater war, und MNLF-Chef Misuari Sultan Kiram dazu überredet, seine Anhänger nach Sabah zu schicken, um dort Unruhe zu stiften, was von beiden jedoch bestritten wird. Aquino hat dem Sultan mit Verhaftung wegen nicht gezahlter Steuern auf das jährliche Pachteinkommen, das er aus Kuala Lumpur erhält, gedroht.

Beim Streit um die territoriale Integrität des Sultanats von Sulu sind auch wirtschaftliche Interessen im Spiel. Wie der Kanadier Noel Tarrazona, der als Dozent an der Universidad de Zamboanga auf Mindanao lehrt, in einem am 7. März bei Asia Times Online erschienenen Artikel, "Threats of a wider war in Sabah", unter Verweis auf das private Energieberatungsunternehmen Facts Global Energy anmerkte, werden die Energiereserven Sabahs auf 1,5 Milliarden Barrel Öl und 11 Billionen Kubikmeter Erdgas geschätzt. Derzeit erzielt der malaysische Fiskus rund 40 Prozent seiner Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor.

9. März 2013