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ASIEN/792: USA spielen die Nordkorea-Karte gegen China aus (SB)


USA spielen die Nordkorea-Karte gegen China aus

Militärische Muskelspiele sollen Washingtons Führungsanspruch festigen



Die jüngste Runde im Säbelrasseln zwischen den USA und Nordkorea hat inzwischen ein derart gefährliches Stadium erreicht, daß sich Washington die Konfrontation etwas zurückzufahren genötigt sieht. Am 7. April gab das Pentagon die Verschiebung des geplanten Testflugs einer Interkontinentalrakete vom Typ Minuteman III, die für die Beförderung von Atomsprengköpfen vorgesehen ist, vom US-Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien bekannt. Zwei Tage zuvor hatte das Außenministerium in Pjöngjang allen Botschaften dort unter Verweis auf die zunehmende Kriegsgefahr mitgeteilt, daß Nordkorea ab dem 10. April die Sicherheit der ausländischen Diplomaten und deren Familien nicht mehr garantieren könne. Am selben Tag hatte die südkoreanische und japanische Presse berichtet, die Nordkoreaner hätten an ihrer Ostküste mehrere Raketen vom Typ Musudan stationiert, die über eine Reichweite von 3000 Kilometer verfügen sollen und mit denen sich Ziele in Südkorea, Japan sowie die US-Militärinstallationen auf der südpazifischen Insel Guam erreichen ließen. Bezeichnend an der aktuellen Konfrontation ist die in den westlichen Medien vertretene These, die Eskalation ginge allein von Nordkorea aus. Das Gegenteil ist der Fall. Wie das Wall Street Journal am 4. April offenbar im Einverständnis mit der Obama-Regierung publik machte, ist die aktuelle Konfrontation in Ostasien das Ergebnis einer gezielten Provokationsstrategie der USA, die womöglich über das eigentliche Ziel hinausgeschossen sein könnte.

Angefangen hatte die Krise, als im Januar der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Drängen der Vetomacht USA Nordkorea dafür verurteilte, einen Monat zuvor seinen ersten Satelliten im All ausgesetzt zu haben. Weil sich der benutzte Raketentyp nicht für militärische Zwecke benutzen läßt, sahen die Nordkoreaner in der Resolution ihr Recht auf die friedliche Nutzung des erdnahen Weltraums in Frage gestellt und reagierten ihrerseits am 12. Februar mit der Durchführung eines dritten unterirdischen Atomtests nach 2006 und 2009. Dies wiederum führte zu einer erneuten Verurteilung und zur Verhängung weiterer diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen gegen Nordkorea durch den UN-Sicherheitsrat. Daraufhin hat sich die Obama-Regierung eine deutliche Machtdemonstration ausgedacht, die Nordkorea in den Augen der Öffentlichkeit als zahnlosen Papiertiger erscheinen lassen sollte.

Im Bericht des Wall Street Journal mit der Überschrift "U.S. Dials Back on Korean Show of Force" werden unter Verweis auf nicht namentlich genannte Vertreter des Weißen Hauses, des State Department und des Pentagons Entstehung, Motiv und Durchführung des sogenannten "Playbook" erläutert, mit dem die Amerikaner die aktuelle Krise in Ostasien vorsätzlich herbeigeführt haben. Den entsprechenden Beratungen wohnten Präsident Obama höchstpersönlich, sein neuer Außenminister John Kerry und sein neuer Verteidigungsminister John Hagel bei. Die Entscheidung zur Umsetzung des "Playbook" wurde von den WSJ-Reportern Adam Entous und Julian E. Barnes als eine der ersten Handlungen beschrieben, an denen Hagel als neuer Pentagonchef teilgenommen hätte. Demzufolge muß sie deshalb nach dem 28. Februar, Hagels erstem Tag im Amt, gefallen sein.

Der erste Teil des US-Muskelspieles erfolgte am 8. März, als Langstreckenbomber vom Typ B-52, die Atombomben befördern können, am Manöver "Foal Eagle" der amerikanischen und südkoreanischen Streitkräfte entlang der Grenze zu Nordkorea teilnahmen. Bei dem Kriegsspiel werden unter anderem verschiedene Szenarien einer Invasion und einer Besetzung Nordkoreas durchgespielt. Der zweite Teil der Machtdemonstration vollzog sich am 28. März, als erstmals zwei Tarnkappenbomber des Typs B-2 Spirit, vom US-Bundesstaat Missouri aus kommend, mit Bombenattrappen Angriffe auf ein Ziel auf einer südkoreanischen Insel nahe der Demilitarisierten Zone (DMZ) am 38. Breitengrad startete. In beiden Fällen flogen die Maschinen niedrig und bei Tageslicht, um nach Angaben eines Pentagonvertreters, der am 29. März vom Wall Street Journal in einem anderen Artikel zitiert wurde, an die Führung in Pjöngjang ein deutliches Drohsignal zu schicken. Schließlich kann der B-2-Tarnkappenbomber nicht nur Atombomben, sondern auch schwere Marschflugkörper transportieren, mit denen sich unterirdische Bunker und Kommandozentralen des Gegners zerstören und alle sich darin befindlichen Personen töten lassen.

Nach Angaben des Wall Street Journal hatten das Obama-Kabinett und die ihn beratenden US-Geheimdienste mit "zorniger Kriegsrhetorik" seitens Pjöngjangs gerechnet - aber mit mehr auch nicht. Was das Faß jedoch aus der Sicht der Amerikaner zum Überlaufen brachte und die Nordkoreaner zu ernstgemeinten, statt wie bisher lediglich hohlen Kriegsdrohungen veranlaßt haben soll, war das nicht geplante Bekanntwerden der Entscheidung des Pentagons, Ende März - und unabhängig vom "Playbook" - die beiden Lenkwaffenzerstörer USS John McCain und USS Decatur in den westlichen Pazifik zu verlegen, damit sie gegebenenfalls nordkoreanische Raketen kurz nach dem Start abschießen könnten.

Ob diese Version der Ereignisse zutrifft, ist unklar. Es deutet alles darauf hin, daß mit dem "Playbook" Nordkorea isoliert und dessen neuer und unerfahrener Machthaber Kim Jong-un unter massiven Druck gesetzt werden sollte. Mit dem Druck sollen Risse innerhalb der kommunistischen Führung erzeugt werden, damit sich vielleicht "Reformer" gegen "Hardliner" durchsetzen und sich das Land zum Westen öffnet. Die USA weigern sich seit 1953 hartnäckig, einen Friedensvertrag mit Nordkorea zu schließen, weil Washington dort bis heute ein nach westlicher Lesart demokratisches System installieren will.

Die Gefahr, daß die waffentechnologisch hochüberlegenen Streitkräfte der USA und Südkoreas unter dem Vorwand der laufenden Frühjahrsmanöver doch noch zum "Regimewechsel" in Pjöngjang ansetzen könnten, ist nicht nur aus der Perspektive der Nordkoreaner real (Die US-Luftwaffe hat in den vergangenen Tagen öffentlich nicht nur mehrere Tarnkappenkampfjets vom Typ F-22 auf den südkoreanischen Stützpunkt Osan, sondern heimlich auch mehrere Langstreckenbomber vom Typ B-1 nach Guam verlegt; über letztere Flugbewegungen berichtete am 5. April die Online-Börsenzeitschrift Zero Hedge unter Verweis auf den Blog The Aviationist). Nur so kann man erklären, warum Pjöngjang inzwischen soweit gegangen ist, am 8. April alle mehr als 50.000 nordkoreanischen Mitarbeiter aus der Sonderwirtschaftszone Kaesong, einem Gemeinschaftsprojekt mit Südkorea, abzuziehen und den Betrieb dort bis auf weiteres auszusetzen.

Hauptaddressaten der amerikanischen Kriegspose sitzen allerdings nicht in Pjöngjang, sondern in Peking unter der neuen Führung von Präsident Xi Jinping. Unter Verweis auf die angebliche Unberechenbarkeit der Nordkoreaner verlangen die USA von der Volksrepublik China immer stärker, ihren einzigen Bündnispartner, zu dessen Verteidigung Aberttausende chinesischer Soldaten zwischen 1950 und 1953 ihr Leben geopfert haben, fallenzulassen. Auch innerhalb der chinesischen Führung will Washington offenbar Uneinigkeit erzeugen und Peking zur Akzeptanz des US-Führungsanspruchs in Asien zwingen. Ob dies gelingt ist eine offene Frage. Bei der Begrüßungsrede auf Wirtschaftsforum Boao auf der südchinesischen Insel Hainan, an dem am 7. April unter anderem die australische Premierministerin Julia Gillard teilnahm, erklärte Xi: "Niemandem sollte es erlaubt sein, eine Region oder sogar die ganze Welt aus Vorteilstreben in das Chaos zu stürzen." In den westlichen Medien wurden die mahnenden Worte Xis als Rüge an Kim Jong-un und die Nordkoreaner gedeutet. Sie können aber genauso gut eine Warnung an Obama, Kerry und Hagel gewesen sein.

8. April 2013