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ASIEN/805: Der pakistanischen Kernwaffen wegen unterhält die USA Stützpunkte in Afghanistan (SB)


Der pakistanischen Kernwaffen wegen unterhält die USA Stützpunkte in Afghanistan

CIA-Drohnen müssen Islamabads Atombomben angeblich im Blick behalten



Daß es den USA beim Einmarsch in Afghanistan im Oktober 2001 weniger um die Jagd nach irgendwelchen Hintermännern der Flugzeuganschläge vom 11. September als vielmehr um geopolitische Interessen ging, war erfahrenen Beobachtern schon damals klar. Mehr als zwölf Jahre später sind die Milliarden für den "Wiederaufbau" Afghanistans in dunkle Kanäle verschwunden, während ein Großteil der Bevölkerung nach wie vor in bitterer Armut lebt, der Krieg gegen die Taliban weiterhin tobt, der Opiumanbau und -handel immer neue Höhen erreicht und sich der Traum von einer afghanischen "Demokratie" längst als Luftschloß entpuppte. Wegen des anhaltenden Streits mit Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai um ein neues Sicherheitsabkommen drohen die USA, ihre gesamte Militärstreitmacht bis zum 31. Dezember 2014 aus dem Land abzuziehen. Tätsachlich scheut sich Washington vor diesem Schritt, nicht nur weil man dann eine militärische Niederlage eingestehen müßte, sondern offenbar aus einem anderen Grund: Die US-Militärbasen in Afghanistan dienen nämlich der Überwachung des pakistanischen Atomwaffenarsenals.

Über diese Tatsache, von der ohnehin die meisten Experten seit Jahren ausgingen, berichtete am 27. Januar freimütig Amerikas wichtigstes Presseorgan, die New York Times, unter der Überschrift "Afghanistan Exit is Seen as Peril to Drone Mission" ("Afghanistan-Abzug wird als Gefährdung der Drohnen-Mission gesehen"). Dort hieß es gleich im ersten Absatz: "Das Risiko, daß Präsident Obama dazu gezwungen werden könnte, alle amerikanische Soldaten bis Ende des Jahres aus Afghanistan abzuziehen, hat Sorgen innerhalb der US-Geheimdienste ausgelöst, daß ihnen ihre Luftwaffenstützpunkte, von denen aus man Drohnenangriffe gegen Al Kaida in Pakistan durchführt und auf eine nukleare Krise in der Region reagieren könnte, verloren gehen."

Meldungen der letzten Wochen zufolge wollen Weißes Haus und Pentagon um die 10.000 Soldaten auf mehreren größeren Basen in Afghanistan behalten. Von dort aus sollen sie weiter die afghanische Armee ausbilden und diese bei "Antiterroroperationen" unterstützen. Daraus, daß ab 2014 der Krieg in Afghanistan als "beendet" gelten und es keine regulären "Kampftruppen" der USA in Afghanistan mehr geben soll, kann man schließen, daß die amerikanische Militärpräsenz am Hindukusch künftig aus Ausbildern und Technikern für die CIA-Drohnenflotte sowie Spezialstreitkräften bestehen soll. Doch sind es gerade die Drohnenangriffe und die nächtlichen Razzien der Elitesoldaten des Joint Special Operations Command (JSOC), die für viele zivile Opfer sorgen und deshalb für die Regierung in Kabul eine Paraphierung des bereits ausgehandelten Bilateralen Sicherheitsabkommen (BSA) so schwierig machen.

Angesichts der Blockadehaltung Kabuls bereiten sich die USA auf die sogenannte "Zero Option", die Räumung sämtlicher ausländischer Basen in Afghanistan, vorsorglich vor. Nach Angaben der New York Times hat die Obama-Regierung bereits eine Expertengruppe gebildet, "die Alternativen zur Behebung der Schäden ausarbeiten soll, sollte der Sicherheitsvertrag mit Karsai nicht endgültig besiegelt werden können". Die New York Times zitiert einen nicht namentlich genannten "ranghohen Vertreter" der Obama-Administration mit den Worten: "Wir werden zu Korrekturen gezwungen. Wenngleich vielleicht weniger effizient, werden die Vereinigten Staaten die notwendigen Wege finden, um ihre Interessen zu schützen."

Die "Interessen" Amerikas in Afghanistan lassen sich aus der im NYT-Artikel enthaltenen Erörterung der Frage der "nächsten Alternativbasen" entweder in Zentralasien oder am Persischen Golf herleiten. Demnach seien jene Stützpunkte für die CIA-Drohnen vom Typ Predator und Reaper angeblich "zu weit weg", erstens "um die gebirgige Region in Pakistan, wo sich die Reste von Al Kaidas Zentralkommando versteckt halten, zu erreichen" und zweitens, "zu entfernt ... auf daß amerikanische Streitkräfte so schnell wie bisher eine Krise in der Region, wie der Verlust von Atomwaffen oder Nuklearmaterial in Pakistan oder Indien, registrieren und darauf reagieren."

Die gerade zitierten Formulierungen lassen erkennen, daß die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik in Südasien die Probleme, die sie angeblich beheben soll, nur verschlimmern. Die US-Militärpräsenz in Afghanistan hat das Nachbarland Pakistan vollkommen destabilisiert. Deshalb schlagen sich die Streitkräfte in Afghanistan, trotz ausländischer Truppenhilfe, immer noch mit den Taliban herum, während in Pakistan der erbitterte Bürgerkrieg zwischen den Truppen Islamabads und den Stammeskämpfern in der nördlichen Grenzregion Tausende Menschenleben fordert. Beide Entwicklungen erklären vielleicht auch, warum sich die USA im pakistanischen Nordwasiristan weiterhin mit den "Resten von Al Kaidas Zentralkommando" konfrontiert sehen.

Die US-Militärpräsenz in Afghanistan hat von Anfang an Befürchtungen in Pakistan ausgelöst, Washington wolle Islamabad die Kontrolle über die "islamische Atombombe" entziehen. Der Glaube an heimliche, perfide Absichten der Amerikaner ist in der Militärführung wie in der Zivilbevölkerung Pakistans weit verbreitet. Laut New York Times hat er dazu geführt, daß die Pakistaner in den letzten Jahren verstärkt taktische Atomsprengköpfe produzieren, um sich der Kontrolle bzw. der Beraubung des eigenen Kernwaffenarsenals durch Pentagon und CIA zu entziehen. Doch wie die New York Times selbst anmerkt, könnten gerade solche Atomwaffen leichter entwendet - etwa von Al Kaida oder den Taliban - oder von einem islamistisch eingestellten Kommandeur der pakistanischen Streitkräfte auf eigene Faust eingesetzt werden.

Wollte man die Existenz der pakistanischen Atombombe als Problem auffassen, dann ist es eines, das die USA selbst geschaffen haben. Als es der Regierung Ronald Reagans in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts darum ging, Pakistan als Aufmarschgebiet für die Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetarmee in Afghanistan zu nutzen, hat Washington die Augen vor Islamabads geheimen Atomwaffenprogramm und den Umtrieben von dessen Leiter, Professor Abdul Qadeer Khan, verschlossen. Als der junge aufrechte Proliferationsexperte Richard Barlow den Kongreß 1987 vor der drohenden Gefahr warnte, fiel er bei der CIA sofort in Ungnade und wurde hinausgedrängt. Wollten die USA ernsthaft die vom pakistanischen Atomwaffenarsenal ausgehenden Risiken mindern, müßten sie sich endlich für eine Versöhnung zwischen den afghanischen Taliban und der Regierung in Kabul einsetzen und sich um eine echte Entspannung zwischen Pakistan und Indien bemühen. Einem solchen sinnvollen Ansatz steht jedoch das Streben der maritimen Supermacht USA nach geostrategischen Vorteilen gegenüber den eurasischen Landmächten Rußland und China zu sehr im Weg. Also wird man es in der internationalen Politik noch lange mit dem Brandherd Af-Pak zu tun haben, egal wie der aktuelle Basenstreit zwischen Kabul und Washington ausgeht.

28. Januar 2014