Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


ASIEN/837: Philippinen gewinnen Seerechtsstreit mit China (SB)


Philippinen gewinnen Seerechtsstreit mit China

Über dem Südchinesischen Meer ziehen dunkle Kriegswolken auf


Seit Hillary Clinton beim ASEAN-Regionalforum im Juli 2010 in Hanoi die ungehinderte Seefahrt im Südchinesischen Meer zum "nationalen Interesse" der USA erklärt und beim APEC-Gipfel in Honolulu im September 2011 "America's Pacific Century" ausgerufen hat, befinden sich die Vereinigten Staaten von Amerika und die Volksrepublik China auf Kollisionskurs. Durch die Verkündung des Urteils des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag am 12. Juli, demzufolge Chinas "Neun-Striche-Linie", mit der Peking seinen Besitzanspruch auf fast das ganze Gebiet des Südchinesischen Meeres begründet, gegen das internationale Seerechtsübereinkommen verstößt und die Chinesen durch die Aufschüttungen an mehreren Riffen der Spratley-Inselgruppe die Rechte der Philippinen verletzen, wurde eine neue und gefährliche Eskalationsstufe erreicht. Wo besonnene Diplomatie vonnöten wäre, scheint leider die Stunde der Admiräle angebrochen zu sein.

1947 hatte die damals noch nationalistische Regierung in Peking unter der Leitung von Chiang Kai-shek die Neun-Striche-Linie erstmals veröffentlicht. Auf der Originalkarte sind elf Striche - zwei um den Golf von Tonkin wurden nach der Machtübernahme der Kommunisten in Peking auf Veranlassung Zhou En-lais fallengelassen - eingezeichnet, die eine gedachte, u-förmige Linie bilden. Die Linie verläuft - bei der südwestlichen chinesischen Insel Hainan beginnend und bei Taiwan endend - an der Küste Vietnams, Malaysias, Indonesiens, Bruneis und der Philippinen entlang, beschränkt diese Staaten auf ihre unmittelbaren Küstengewässer und weist den Hauptteil des Meeres in der Mitte als chinesisches Hoheitsgebiet aus. Damals wie heute führte Peking seine umfangreichen Ansprüche im Südchinesischen Meer auf schriftliche Überlieferungen bezüglich der jahrhundertelangen Aktivitäten chinesischer Fischer in der Region zurück. Gleichwohl sehen die anderen Anrainerstaaten die eigenen Gebietsansprüche durch die der Chinesen massiv eingeschränkt.

Weil China und die Philippinen beide Unterzeichnerstaaten des Seerechtsüberkommens sind, hat Manila wegen anhaltender Differenzen 2013 den Ständigen Schiedsgerichtshof angerufen. Hinter dem Vorstoß Manilas steckten und stecken bis heute natürlich die USA, die sich selbst beharrlich weigern, dem Seerechtsüberkommen beizutreten. Das 4.000seitige Memorandum, das die Philippinen Brüssel im Frühjahr 2013 zukommen ließen, wurde von der Washingtoner Anwaltskanzlei Foley Hoag erstellt, die quasi im Auftrag der Regierung von US-Präsident Barack Obama handelt. Während der zweijährigen Verhandlungen, an denen sich zu beteiligen China kategorisch ablehnte, sprachen vor dem Gericht - von einigen einleitenden und abschließenden Worten einmal abgesehen - keine Philippiner, sondern ausschließlich amerikanische Juristen. Weil die Philippinen die Kosten des gesamten Verfahrens allein übernommen hatten und die fünf Richter aus Deutschland, Frankreich, Polen, den Niederlanden und Ghana 2013 von Richter Shunji Yanai, einst Japans Botschafter in Washington und damals Vorsitzender des Internationalen Seegerichtshofs, eingesetzt worden waren, hat Peking das Urteil als parteiisch und wertlos abgetan.

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand neben der Gültigkeit der Neun-Striche-Linie die Frage, inwieweit die von China im Südchinesischen Meer ausgebauten Riffe als Felsen oder als Inseln zu betrachten seien. Nach dem Seerechtsübereinkommen muß eine Insel von Menschen dauerhaft besiedelbar sein, um als solche zu gelten. Wo dies nicht möglich ist, weil die Landmasse zu klein ist oder nur bei Ebbe in Erscheinung tritt, handelt es sich um einen Felsen. Der Unterschied hat große rechtliche Konsequenzen. Felsen können zwar dem Territorium eines Staates zugerechnet werden, um sie herum wird jedoch lediglich ein Hoheitsgebiet von zwölf Seemeilen anerkannt. Bei Inseln dagegen kann der betreffende Staat die umliegenden Gewässern in eine Entfernung von bis zu 200 Seemeilen zu seiner exklusiven Wirtschaftszone erklären und dort über die Rechte auf Fischerei, Öl- und Gasgewinnung allein verfügen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Ständigen Schiedsgerichtshofs, Chinas neue "Inseln" im Südchinesischen Meer nicht als solche gelten zu lassen, für Peking schon eine peinliche Niederlage.

Die fieberhaften Ausbauarbeiten Chinas in den letzten Jahren an diversen Riffen im Südchinesischen Meer sind als Reaktion Pekings auf die Eindämmungsstrategie der USA zu betrachten. Die Idee, daß die Volksrepublik durch die Errichtung von Rollbahnen, kleineren Häfen und Beobachtungsposten den internationalen Seehandel im Südchinesischen Meer einschränken wollte, ist mehr als abstrus. Schließlich wäre China, das ein Gutteil seines Schiffshandels mit Europa und dem Mittleren Osten durch diese Gewässer leitet, der Hauptleidtragende einer Seeblockade. Eine Blockade gehört gleichwohl zu den Handlungsoptionen, welche die US-Marine, koste es was es wolle, behalten will. Deshalb werden Chinas Bemühungen, den eigenen Einfluß auf seine küstennahen Gewässern auszubauen, von Washington und den westlichen Medien stets als aggressives und provokantes Treiben kritisiert, während die Amerikaner die ständige Ausweitung der eigenen Militärpräsenz im Südchinesischen Meer im besonderen und in dem pazifischen Raum im allgemeinen als Sicherung der freien Schiffahrt und Aufrechterhaltung der internationalen Rechtsordnung preisen. Seit Ende 2015 sind ein Flugzeugträger und mehrere weitere Schiffe der US-Kriegsmarine ständig im Südchinesischen Meer präsent.

In den letzten Jahren haben die USA einen neuen Stützpunkt zur dauerhaften Stationierung von 2500 Marineinfanteristen im nordaustralischen Darwin eingerichtet, ein neues Truppenstationierungsabkommen mit den Philippinen unterzeichnet, mit der Regierung in Seoul die Aufstellung von Batterien des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Südkorea vereinbart, die Regierung Shinzo Abes in Tokio bei der Remilitarisierung Japans unterstützt und sogar Indien in Richtung der Übernahme größerer "Verantwortung" für Sicherheit und Frieden in Asien gedrängt. Alle dieser Maßnahmen dienen der Eindämmung der Volksrepublik.

Nun fragen sich alle, wie Chinas Reaktion auf das Urteil aus Brüssel - von der zu erwartenden drastischen Rhetorik einmal abgesehen - ausfallen wird. Schlägt die kommunistische Führung um Präsident Xi Jinping einen gemäßigten Kurs ein, wozu der bevorstehende G-20-Gipfel im ostchinesischen Hangzhou im September Gelegenheit böte, oder schaltet Peking auf Konfrontation etwa durch die Verhängung einer Air Defense Identification Zone (ADIF) über dem Südchinesischen Meer? Mit letzterem rechnet Kurt Campbell, der ehemalige für Ostasien und den pazifischen Raum zuständige Staatssekretär im US-Außenministerium. In einem Artikel, der am 11. Juli in Rupert Murdochs Zeitung The Australian erschienen ist, prognostizierte Campbell, der die Asien-Politik der USA während Hillary Clintons Zeit als Außenministerin von 2009 bis 2013 maßgeblich prägte, einen "Wutanfall" Pekings. Die Besatzung der US-Kriegsschiffe in der Region, darunter der Flugzeugträger Ronald Reagan, müßten sich auf Provokationen gefaßt machen, so Campbell. Auch wenn sich das beiderseitige Säbelrasseln im Südchinesischen Meer in den kommenden Wochen in Grenzen halten sollte, muß man von einer Zuspitzung der Rivalität zwischen Washington und Peking ausgehen, sollte im November die demokratische Kandidatin Hillary Clinton erwartungsgemäß zur 45. Präsidentin der USA gewählt werden.

15. Juli 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang