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ASIEN/864: Südkorea will Krise um Nordkoreas Atomprogramm beenden (SB)


Südkorea will Krise um Nordkoreas Atomprogramm beenden

Moon Jae-in zieht Entspannung den Kriegsdrohungen Trumps vor


Seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident Ende Januar spitzt sich die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea gefährlich zu. Es droht der erneute Ausbruch des seit 1953 lediglich im Waffenstillstand eingefrorenen Koreakriegs. Um ein solch schreckliches Szenario gar nicht erst Wirklichkeit werden zu lassen, setzt Südkorea auf Diplomatie. Am 17. Juli hat der Stellvertretende Verteidigungsminister Südkoreas, Suh Choo-suk, Nordkorea zu formellen Gesprächen in der Demilitarisierten Zone (DMZ) eingeladen, um die Spannungen am 38. Breitengrad abzubauen. Gleichzeitig hat Suh die Regierung in Pjöngjang dazu aufgefordert, die telefonische Hotline zwischen den beiden Bruderstaaten wieder in Betrieb zu nehmen. Sie war 2016 von Nordkorea vor dem Hintergrund der Aufregung um seinen vierten Atomtest im Januar des Jahres stillgelegt worden. Noch hat Pjöngjang auf den Vorstoß Seouls nicht offiziell reagiert.

Das letzte Treffen der Militärs Nord- und Südkoreas erfolgte 2014. 2015 fand die letzte offizielle Begegnung der Diplomaten beider Staaten statt. Hauptverantwortliche für die Eintrübung der Beziehungen war die 2013 gewählte Präsidentin Südkoreas, Park Geun-hye. Die Vorsitzende der konservativen Saenuri-Partei und Tochter des früheren südkoreanischen Diktators Park Chung-hee meinte offenbar, gegenüber Pjöngjang eine konfrontative Haltung einnehmen und den Kalten Krieg wiederaufleben lassen zu müssen. Wegen eines peinlichen Korruptionsskandals wurde Park im März ihres Amtes enthoben.

Im Mai wurde der Chef der sozialliberalen Minju-Partei, Moon Jae-in, mit großer Mehrheit zum neuen Staatsoberhaupt Südkoreas gewählt. Mit einer Wiederbelebung der sogenannten "Sonnenscheinpolitik" seiner Vorgänger Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun strebt Moon auf der koreanischen Halbinsel einen "Wandel durch Annäherung" nach Art der erfolgreichen Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs an. Im Wahlkampf hatte Moon diesbezüglich eine Wiedereröffnung und Erweiterung des Industrieparks Kaesong in Aussicht gestellt, der ab 2002 Nordkorea dringend benötigte Deviseneinnahmen in Höhe von bis zu 100 Millionen Dollar jährlich einbrachte. 2016 hatte Park alle südkoreanischen Unternehmen, die an der DMZ von nordkoreanischen Arbeitern diverse Waren für sich herstellen ließen, zum Abzug aus Kaesong gezwungen.

Seit Monaten macht Trump in Sachen Nordkorea Druck. Er hat die Existenz des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms zu einer inakzeptablen Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA aufgebauscht. Er verlangt von der Volksrepublik China, daß sie Nordkorea zum Einlenken bewegt, und droht mit einem präemptiven Angriff, sollte Pjöngjang nicht klein beigeben. Um der Drohung Nachdruck zu verleihen, hat Trump vor Monaten zwei Flugzeugträger in die Region entsandt und noch rechtzeitig vor dem Ausscheiden Parks als Präsidentin mehrere Batterien des Raketenabwehrsystems Theatre High Altitude Area Defense (THAAD) nach Südkorea verlegt. Trump behauptet, die "strategische Geduld" der USA mit Nordkorea sei am Ende, alle militärische Optionen lägen "auf dem Tisch".

Nordkorea antwortet auf die Dauerprovokationen des sprücheklopfenden Immobilienmagnats aus New York seinerseits mit regelmäßigen Raketentests. Der jüngste Test am 4. Juli hat für große Aufregung gesorgt. Ausgerechnet am Nationalfeiertag der USA sollen die Nordkoreaner erstmals eine Rakete in den Himmel geschossen haben, die das amerikanische Festland - nämlich Alaska - erreichen könnte. Das Pentagon behauptet, Nordkorea habe damit zum erstenmal eine Interkontinentalrakete getestet, weigert sich jedoch, die eigenen Radaraufzeichnungen zu veröffentlichen. Derweil bemüht sich die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley um drakonische Sanktionen, die im Fall ihrer Umsetzung das nordkoreanische "Regime" wirtschaftlich strangulierten.

Doch weder China noch Rußland ist bereit, es soweit kommen zu lassen. Beide haben bereits signalisiert, daß sie mit ihrer Vetomacht im UN-Sicherheitsrat Haleys jüngste Nordkorea-Resolution zu Fall bringen wollen. Statt dessen haben sich Wladimir Putin und Xi Jinping bei Konsultationen in Moskau am 4. Juli und damit drei Tage vor Beginn des G20-Gipfels in Hamburg für eine diplomatische Lösung ausgesprochen. Zwar bekannten sich die Präsidenten Chinas und Rußlands ausdrücklich zum Ziel einer "denuklearisierten" koreanischen Halbinsel, doch gleichzeitig haben sie die Anregung Pjöngjangs aufgegriffen, Nordkorea verzichte auf weitere Atom- und Raketentests, wofür im Gegenzug die USA und Südkorea keine Großmanöver mehr durchführen dürften. Bekanntlich lehnt Washington eine solche Regelung als Aufwertung bzw. "Belohnung" des nordkoreanischen "Unrechtsregimes" strikt ab.

Nichtsdestotrotz hat Südkoreas Präsident Moon am 6. Juli - ebenfalls auf dem Weg zum G20 - symbolträchtig in der einst geteilten Hauptstadt Deutschlands eine Grundsatzrede gehalten. Der ehemalige Stabschef Rohs verlangte von Pjöngjang ein Ende der Atom- und Raketentests, stellte aber gleichwohl eine koreanische Wiedervereinigung auf Augenhöhe in Aussicht, die nicht einfach auf die Übernahme des kommunistischen Nordkoreas durch das kapitalistische Südkorea hinausläuft. Damit hat sich Moon ausdrücklich vom Washingtons Ziel eines "Regimewechsels" in Pjöngjang distanziert. Von südkoreanischer Seite wird die vermeintliche Gefahr, die von Nordkoreas "Interkontinentalrakete" ausgeht, heruntergespielt. Aus Seoul melden sich Experten zu Wort, die meinen, Nordkorea sei noch Jahre davon entfernt, einen Sprengkopf bauen zu können, der den Hyperschallgeschwindigkeitsflug durch die obere Atmosphäre übersteht und den man in geeigneter Höhe über dem Zielort zur Zündung bringen kann. Hinzu kommen die Angaben des russischen Verteidigungsministeriums, die auf eigenen, freigegebenen Aufzeichnungen basieren, wonach es sich bei dem fraglichen Test doch noch um eine reguläre Mittelstreckenrakete Nordkoreas gehandelt habe.

In einem offenen Brief an Präsident Trump haben am 28. Juni sechs führende amerikanische Kenner der Nordkorea-Materie den nordkoreanischen Staatsratvorsitzenden Kim Jong-un vor dem Vorwurf, "irrational" zu handeln, in Schutz genommen. Dort war zu lesen, Pjöngjangs Atombombe diene ausschließlich der Selbstverteidigung Nordkoreas; die Gefahr eines nordkoreanischen Angriffs auf die USA bestehe gar nicht; eher gehe die wirkliche Bedrohung von einem Überraschungsangriff Washingtons, der in einen Atomkrieg ausarte, aus.

Unterzeichnet wurde der nachdenkliche Brief, in dem es hieß, es gebe "keine guten militärischen Optionen" für das Nordkorea-Problem, von folgenden Männern: George Schultz, einst Verteidigungsminister im republikanischen Kabinett Ronald Reagans, William Perry und Bill Richardson, einst Verteidigungsminister respektive Energieminister während der demokratischen Präsidentschaft Bill Clintons, Robert Gallucci, einst Clintons Chefunterhändler bei Krisengesprächen mit Nordkorea in den neunziger Jahren, der ehemaliger Leiter des US-Atomlabors Los Alamos, Sigfrid Hecker, der seit 2004 als fast einziger Ausländer mehrmals das nordkoreanische Forschungszentrum Yongbyon besuchen und besichtigen konnte, und Richard Lugar, der ehemalige republikanische Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Senats in Washington. Inwieweit sich der wankelmütige, sprunghafte Trump den Rat dieser Herren zu Herzen nimmt, weiß nur er selbst.

18. Juli 2017


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