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ASIEN/871: Unruhen in Myanmar durchkreuzen Chinas Pipelinepläne (SB)


Unruhen in Myanmar durchkreuzen Chinas Pipelinepläne

Gewaltorgie in Rakhine zerstört den Ruf Aung San Suu Kyis


Weltweit ist das Entsetzen groß über die blutige Gewaltorgie, die sich seit Ende August in Rakhine, dem nordwestlichsten Bundesstaat Myanmars, abspielt. Dort werden Dörfer der muslimischen Volksgruppe der Rohingya von Armeeangehörigen und buddhistischen Ethnofaschisten niedergebrannt, Männer getötet und Frauen vergewaltigt. Mehr als 120.000 Rohingya, 80 Prozent von ihnen Frauen und Kinder, sind auf der Flucht und versuchen mit überfüllten Fischerbooten oder per Fußmarsch durch die Berge das Nachbarland Bangladesch zu erreichen. Zahlreiche muslimische Flüchtlinge sind hierbei ertrunken bzw. in den Bergen ums Leben gekommen - entweder weil ihnen die Strapazen zuviel oder weil sie von ihren Verfolgern ermordet wurden. Währenddessen weist Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi alle Kritik am Vorgehen der birmesischen Streitkräfte mit Empörung zurück. Die Premier- und Außenministerin Myanmars in Personalunion behauptet, ihr Land befinde sich im "Antiterrorkampf", Berichte über Greueltaten seitens staatlicher Stellen seien nichts als "fake news". Doch tatsächlich ist der Völkermord an den Rohingya die logische Folge der Politik, die Suu Kyi und deren regierende National Liga für Demokratie (NLD) seit Jahren verfolgen.

2010 hat die birmesische Militärdiktatur auf Drängen der USA, speziell Hillary Clintons, damals Außenministerin Barack Obamas, den Hausarrest für Oppositionsführerin Suu Kyi aufgehoben. 2012 konnte die NLD die ersten Parlamentswahlen seit rund 20 Jahren gewinnen. In Washington wurde die "demokratische Öffnung" Myanmars weg von China - bis dahin der größte ausländische Investor im früheren Birma -, hin zu den USA als wichtiger Etappensieg im Ringen um die Vorherrschaft im asiatisch-pazifischen Raum des 21. Jahrhunderts gefeiert. Für die Kurskorrektur des birmesischen Militärs und das Aufkommen der NLD hatten zahlreiche westliche Nicht-Regierungsorganisationen mit jahrelanger Wühlarbeit gesorgt. Bei den Parlamentswahlen 2015 konnte die NLD die absolute Mehrheit der Sitze erringen und anschließend allein die Regierung bilden.

In Myanmar gibt es offiziell 135 verschiedene Volksgruppen. Obwohl die 1,1 Million Menschen zählende muslimische Ethnie der Rohingya seit Jahrhunderten nachweislich in der heutigen Provinz Rakhine, dem früheren Königreich Arakan, angesiedelt ist, gelten deren Angehörige nicht als Burmesen (praktisch alle anderen der rund 60 Millionen Bürger Myanmars sind Buddhisten). Statt dessen werden die Rohingya seit 1982 formell als illegale Einwanderer aus Bangladesch, die dorthin abgeschoben gehören, eingestuft und entsprechend schlecht behandelt. Ein früherer Vorstoß der Militärs, den Rohingya die Staatsbürgerschaft Myanmars zuzuerkennen, ist am Widerstand der NLD gescheitert.

Quasi zeitgleich mit der Rückkehr Myanmars zur Demokratie kam es 2012 in Rakhine zu schweren Ausschreitungen, die mehreren hundert Rohingya das Leben kosteten. Auslöser war die angebliche Vergewaltigung einer buddhistischen Frau durch eine Gruppe Moslems. Bis heute ist nicht klar, ob sich der Vorfall überhaupt ereignet hat oder nicht. Dessen ungeachtet wurde damals das Viertel der Rohingya in der Hafenstadt Kyaukpyu vollkommen niedergebrannt. Hunderttausende Moslems sind damals nach Bangladesch geflohen. Bis vor wenigen Tagen vegetierten deshalb mehr als 120.000 Rohingya in provisorischen Notunterkünften am Rande von Rakhines Provinzhauptstadt Sittwe dahin. 2015 kam es zur erneuten Flüchtlingskrise, als Zehntausende Rohingya mit Fischerbooten und kleinen Schiffen nach Thailand, Indonesien und Bangladesch der Gewalt und der Repression in Myanmar zu entkommen versuchten.

Im Oktober 2016 haben militante Rohingya der Gruppe Harakah al-Yakin, die angeblich eine militärische Ausbildung bei irgendwelchen islamistischen Gruppen im Ausland erhalten haben und von entsprechenden Kräften in Pakistan und Saudi-Arabien finanziert werden, drei Kontrollpunkte der Armee an der Grenze zu Bangladesch überfallen und dabei neun Soldaten getötet. Seitdem herrscht in Rakhine der Ausnahmezustand. Zur Vergeltung haben Birmas Militärs und moslemfeindliche Buddhisten zahlreiche Dörfer der Rohingya abgefackelt, Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen erschossen bzw. mit Macheten zu Tode gehackt. Gerade ein Tag, nachdem am 24. August eine internationale Untersuchungskommission unter der Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan ihren Bericht über die letztjährigen Vorgänge vorlegte, die Armee schwer belastete und volle Bürgerrechte für die Rohingya als einzige Lösung des politischen Konflikts empfahl, flammte die Gewalt in Rakhine wieder auf - diesmal heftiger als jemals zuvor.

In den frühen Morgenstunden 25. August überfielen Rebellen der Harakah al-Yakin, auch Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) genannt, bei einer konzertierten Aktion gleichzeitig 30 Polizeiwachen und einen Armeestützpunkt. Bei den anschließenden tagelangen Kämpfen starben 400 Menschen, 370 von ihnen waren laut Militärangaben "Terroristen", die restlichen 30 Soldaten und Polizisten. Seitdem greift die Armee Myanmars in Rakhine hart durch. Zuvor hat die Regierung der Forderung von General Min Aung Hlaing, die ganze Provinz zu einer "militärischen Operationszone" zu erklären, stattgegeben. Laut Satellitenbildern, die von Human Rights Watch (HRW) veröffentlicht wurden, sind in den letzten zwei Wochen mehr als 2700 Wohnungen in rund zehn Dörfern und Kleinstädten an der Küste niedergebrannt worden. Bei einer Trauerfeier für getötete Soldaten des Überfalls vom 25. August hat General Hlaing die Rohingya als "Bengalis" beschimpft, sie für die Unruhen allein verantwortlich gemacht und sie zur unerwünschten fünften Kolonne gestempelt, indem er an ihre Zusammenarbeit mit den Briten im Zweiten Weltkrieg gegen die Japaner erinnerte. Damals standen Birmas Nationalisten, darunter der Vater von Suu Kyis, der spätere Staatspräsident Aung San, auf der Seite der Kaiserlichen Japanischen Armee.

Trotz der grausamen interkonfessionellen Gewalt unter den Burmesen soll nicht aus den Augen verloren werden, daß das Aufflammen der Gewalt in Rakhine auf den geopolitischen Machtkampf zwischen der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten von Amerika zurückzuführen ist. Es dürfte kein Zufall sein, daß sich die ersten Übergriffe der Buddhisten auf die Muslime im Jahre 2012 ausgerechnet in der Hafenstadt Kyaukpyu ereigneten. Dort soll jene Pipeline beginnen, mit der die Volksrepublik Öl aus dem Persischen Golf auf dem Landweg in den Westen Chinas transportieren und somit den langen Seeweg durch die Malakka und das Südchinesische Meer samt Dauerkontrolle durch die US-Marine überflüssig machen wollte. Doch durch die jüngsten Vorkommnisse in Rakhine sind Pekings Pläne zum Ausbau dieses Schlüsselsegments der neuen Seidenstraße - auch One Belt, One Road (OBOR) genannt - hochgradig gefährdet.

8. September 2017


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