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ASIEN/877: Taliban in Afghanistan demonstrieren zunehmende Stärke (SB)


Taliban in Afghanistan demonstrieren zunehmende Stärke

Am Hindukusch wird sich der große Schreihals Donald Trump blamieren


Am 16. Oktober trafen sich Abgesandte aus den USA, Afghanistan, China und Pakistan in Muskat zum Vier-Mächte-Gespräch über die Lage am Hindukusch. Die Taliban, obwohl angeblich eingeladen, sind der Diskussionsrunde ferngeblieben. Seit die CIA 2015 den damaligen Taliban-Chef Mullah Akhtar per Drohnenangriff im pakistanischen Belutschistan Mansur getötet hat, sehen die afghanischen Gotteskrieger in Verhandlungen mit den USA und der NATO wenig Sinn. Hinzu kommt, daß die Verantwortlichen in Washington und Brüssel an keiner Stelle auch nur die geringste Bereitschaft signalisiert haben, ernsthaft eine Erfüllung der Kernforderung der Taliban nach Abzug aller ausländischen Streitkräfte in Erwägung zu ziehen.

Ende Januar hat in den USA die Regierung Donald Trumps die von Barack Obama abgelöst. Der New Yorker Baumagnat, der sich im Wahlkampf mit Hillary Clinton als Gegner ausländischer Militärinterventionen ausgegeben hat, spielt sich seit dem Einzug ins Weiße Haus nun als großer Macher auf, dem keine Aufgabe wie eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen oder China, Nordkorea und Iran in die Schranken zu weisen zu groß ist. Wo George W. Bush sieben Jahre und Obama - letzterer trotz massiver Truppenaufstockung - acht Jahre lang gescheitert sind, will Trump auftrumpfen und gegen die Taliban einen Sieg einfahren. Eine Niederlage am Hindukusch kommt für den Republikaner, der seinen Landsleuten vollmundig versprochen hat, den Niedergang der USA in sein Gegenteil zu verkehren und "to make America great again" (MAGA), nicht in Frage.

Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft hat Trump deshalb die Regeln, denen zufolge US-Militärkommandeure in Afghanistan Luftunterstützung bzw. Luftangriffe auf mutmaßliche oder tatsächliche feindliche Ziele anfordern können, gelockert. Seit Monaten steigt deshalb die Anzahl der Bomben- und Raketenangriffe der US-Luftwaffe in Afghanistan kontinuierlich an. Ebenso die Zahl der getöteten oder verletzten Zivilisten. Doch die Kollateralschäden interessieren Trump nicht. Ihm geht es darum, Amerikas Militärstärke so eindrucksvoll wie möglich zu demonstrieren. Deshalb hat der Anführer der "freien Welt" im April den Abwurf einer rund 10.000 Tonnen schweren Bombe vom Typ GBU-43/B, auch "Mother Of All Bombs" (MOAB) genannt, auf ein Höhlensystem in der ostafghanischen Provinz Nangahar, das als Versteck der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) galt, angeordnet. Bis heute ist unklar, ob und viele IS-Kämpfer durch die Aktion "ausgeschaltet" wurden. Fest steht, daß die erdbebenstarke Operation weltweit für Schlagzeilen sorgte.

Nach monatelanger Beratung hat sich Ende August Trumps Kabinett, in dem zahlreiche Generäle sitzen, auf eine Truppenaufstockung für Afghanistan verständigt, sich aber gleichzeitig mit genauen Zahlen zurückgehalten, um "den Feind" im dunkeln zu lassen (Inoffiziellen Angaben zufolge soll die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan von 11.000 auf rund 15.000 erhöht werden, was im Vergleich zu der 140.000 Mann starken "Surge" der Generäle David Petraeus und Stanley McCrystal in den Jahren 2009 bis 2014 geradezu mickrig erscheint). Doch während Trump auf der Informationsebene Spielchen spielt, lassen die Taliban auf dem Schlachtfeld die Waffen für sich sprechen.

Bei einem Überfall am 21. April auf den Stützpunkt des 209. Korps der afghanischen Armee in der nordafghanischen Provinz Balch sind 163 Soldaten getötet worden. Das waren die höchsten Verluste der afghanischen Streitkräfte an einem einzigen Tag seit Beginn des Afghanistankriegs im Oktober 2001. Wegen des Vorfalls mußten Verteidigungsminister Abdullah Habibi und Armeestabschef Kadam Schah Schahim ihren Hut nehmen. Bei einem massiven Lastwagenbombenanschlag der Taliban, der am 31. Mai das Diplomatenviertel Kabuls verwüstete, wurden 86 Menschen getötet und 460 schwer verletzt. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli haben die Taliban einen Stützpunkt der afghanischen Armee in der Provinz Kandahar überrannt, 70 Soldaten getötet, sieben weitere als Geiseln entführt sowie größere Mengen Waffen und Munition erbeutet.

Am 27. September entkamen US-Verteidigungsminister James Mattis und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg knapp einen Angriff der Taliban am internationalen Flughafen von Kabul. Kurz nachdem ihre Maschine, aus Indien kommend, dort gelandet war, griff ein Taliban-Selbstmordkommando mit Mörsergranaten Camp Sullivan, das schwerbewachte Areal der US-Botschaft nahe dem südöstlichen Ende der Start- und Landebahn des Kabuler Flughafens, an. Es kam zu einem stundenlangen Feuergefecht, das erst durch Luftangriffe auf das Gebäude, in dem sich die Taliban-Kämpfer verschanzt hatten, zu Ende ging. Bei dem Luftangriff kam mindestens ein Zivilist ums Leben; mehrere wurden verletzt.

Bei einem erneuten Angriff auf einen Militärstützpunkt in der Provinz Kandahar, der Hochburg der Taliban an der Grenze zu Pakistan, am 18. Oktober fanden mindestens 43 afghanische Soldaten den Tod. Um sich Zugang zum Gelände zu verschaffen, haben die Taliban ein erbeutetes, mit Sprengstoff geladenes US-Panzerfahrzeug am Tor in die Luft gejagt. Anschließend haben sie ein zweites präpariertes Militärauto in das Lager gefahren und dort zur Explosion gebracht. In der Presse wurde ein Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums mit den Worten zitiert. "Im Lager gibt es leider nichts mehr. Sie [die Taliban - Anm. d. SB-Red.] haben alles niedergebrannt." Am selben Tag töteten die Taliban sechs Mitglieder einer Polizeipatrouille bei einem Hinterhalt in der nördlichen Provinz Balch und weitere neun Staatsbeamte beim Überfall auf eine Polizeistation in der westlichen Provinz Farah. Vor diesem Hintergrund klingt die Behauptung von Trumps CIA-Direktor Mike Pompeo beim Auftritt vor der neokonservativen Foundation for the Defense of Democracy am 19. Oktober, die USA würden "alles tun, was wir können, um die Taliban zum Verhandlungstisch zu zwingen und ihnen dabei Null-Hoffnung zu lassen, daß sie das Ding hier auf dem Schlachtfeld gewinnen können", wie eine reine Durchhalteparole.

20. Oktober 2017


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