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ASIEN/891: Koreakonflikt - Chancen nicht nur für Pjöngjang und Seoul ... (SB)


Koreakonflikt - Chancen nicht nur für Pjöngjang und Seoul ...


Besser hätte das Gipfeltreffen am 27. April zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in und Kim Jong-un, dem Vorsitzenden des Komitees für Staatsangelegenheiten Nordkoreas, nicht verlaufen können. Die Begegnung fand im südlichen Teil der Joint Security Area in der Demilitarisierten Zone (DMZ) statt, die beide Staaten trennt und wegen des nahegelegenen Dorfs auch Panmunjeon genannt wird. Dabei kam es zum erstmaligen Betreten südkoreanischen Bodens durch ein Staatsoberhaupt Nordkoreas seit der Teilung der koreanischen Halbinsel und dem Koreakrieg, der von 1950 bis 1953 tobte und Millionen von Menschen das Leben kostete.

Am Vormittag trafen sich Kim und Moon an jenem Betonstreifen im Boden, der den 38. Breitengrad und damit die internationale Grenze zwischen beiden Koreas markiert. Sie schüttelten einander die Hand. Auf Einladung Moons überschritt Kim den Streifen und betrat südkoreanischen Boden. Beide lächelten für die Kameras der internationalen Presse. Als Moon Kim in das nahegelegene "Friedenshaus" führen wollte, lud der Nordkoreaner den südkoreanischen Amtskollegen dazu ein, kurz seine Seite der Grenze zu betreten. Die zwei Männer überschritten den Streifen, gaben sich erneut die Hand und ließen sich erneut fotografieren. Die spontane Abweichung vom Protokoll - offenbar ein Einfall Kims - war der Höhepunkt eines Tages, der als bahnbrechend in die Geschichte eingehen wird.

Es folgten wichtige Gespräche und viele symbolische Gesten. Die Atmosphäre war betont freundlich und zuversichtlich. Der 34jährige Kim gab sich staatsmännisch, umgänglich und verantwortungsbewußt, während sich der 65jährige Moon als Politiker präsentierte, der erfolgreich zwischen Pjöngjang und Washington vermitteln und endlich Nordkorea aus der politischen und wirtschaftlichen Isolation führen kann. Als Menschenrechtsanwalt und politischer Berater war er ein Architekt jener Sonnenscheinpolitik seiner linksliberalen Vorgänger Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun, die große Hoffnungen wachriefen, jedoch am Widerstand konservativer Kräfte in den USA und Südkorea scheiterte. Nach dem Treffen von Kim Jong-uns Vater Kim Jong-il 2000 mit Kim Dae-jung und 2007 mit Roh haben wir es hier mit dem dritten Anlauf hin zu einer umfassenden Friedensregelung auf der koreanischen Halbinsel zu tun.

Vor diesem Hintergrund enthält die Erklärung von Panmunjeon, die Kim und Moon unterzeichneten, eine ganze Reihe von Vorhaben, deren Realisierung die Situation in Ostasien vollkommen verwandeln könnte - und zwar zum Besseren. Die beiden Staatschefs bekannten sich zum Ziel einer nuklearwaffenfreien koreanischen Halbinsel. Die gigantische Militärmaschinerie auf beiden Seiten der DMZ soll abgebaut werden. Auch an der koreanischen Westküste sollen Maßnahmen ergriffen werden, damit dort Fischerei ohne die Gefahr irgendwelcher Zwischenfälle unter den Marinestreitkräften Nordkoreas, Südkoreas und der USA betrieben werden kann. Insgesamt stand der Gipfel im Zeichen einer großen Versöhnung, die über kurz oder lang die Wiedervereinigung Koreas herbeiführen soll.

Die nördlich der DMZ liegende Sonderwirtschaftszone Kaesong, wo von 2002 bis 2012 südkoreanische Konzerne Zehntausende Nordkoreaner in der Produktion beschäftigt hatten, soll wieder geöffnet werden. Darüber hinaus wollen Nordkorea und Südkorea eine Reihe von Transportprojekten durchführen, um die wichtigsten Bahn- und Straßenverbindungen zwischen Norden und Süden neu zu errichten. In diesem Zusammenhang gibt es schon länger Überlegungen, Südkorea über Nordkorea an das russische Gaspipelinenetzwerk anzuschließen. Auf dem Gipfel hat sich Kim einen Witz über den schlechten Zustand des nordkoreanischen Straßennetzes erlaubt. Hier winken große Aufträge für die südkoreanische Bauindustrie.

Tatsächlich scheint die wirtschaftliche Öffnung Nordkoreas das vordringliche Ziel Kims zu sein. Nach den erstmalig gelungenen Tests einer Interkontinentalrakete und einer Wasserstoffbombe betrachtet die Führung in Pjöngjang die Schaffung einer nuklearen Abschreckung, die Nordkorea die USA vom Hals hält, für vollendet. Deswegen hat Kim im vergangenen März auf einem Plenum der Arbeiterpartei unter dem Titel "Neue Strategische Linie" die Gesundung des wirtschaftlichen Lebens in Nordkorea zum neuen obersten Staatsziel erklärt. Die Existenz der eigenen Nuklearabschreckung verleiht den Nordkoreanern das Selbstbewußtsein, den USA auf Augenhöhe begegnen zu können. Im März hat sich Donald Trump überraschend als erster US-Präsident bereiterklärt, sich mit dem nordkoreanischen Staatschef zu treffen. Bisher kam ein solches Szenario für die USA wegen der vermeintlichen "Aufwertung" des kommunistischen "Regimes" in Pjöngjang nicht in Betracht.

Im Mai oder Juni wollen sich Kim und Trump treffen. Über den Begegnungsort hat man sich noch nicht geeinigt, wenngleich die Schweiz, Schweden und Singapur im Gespräch sind. Im Vorfeld des historischen Gipfels mit Trump hat Kim einseitig eine Reihe wichtiger Zugeständnisse gemacht, um der Welt Pjöngjangs Verhandlungsbereitschaft zu zeigen. Hierzu gehört die Beendigung der Tests aller Atombomben und Langstreckenraketen sowie der Verzicht auf den Abzug aller US-Streitkräfte aus Südkorea im Falle einer Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Zu der konzilianten Haltung soll Präsident Xi Jinping Kim bei dessen erster Auslandsreise Ende März in der Volksrepublik China geraten bzw. gedrängt haben.

Doch möglicherweise sind es nicht nur diplomatische oder wirtschaftliche Überlegungen gewesen, die Pjöngjang zum atomaren Teststopp veranlaßt haben. Einer Studie geologischer Experten an der Universität für Wissenschaft und Technologie Chinas zufolge, deren brisanter Inhalt vor wenigen Tagen publik wurde, ist der Berg am nordkoreanischen Testgelände Punggye-ri im Nordosten des Landes nach dem sechsten Versuch im November, der ersten Sprengung einer Wasserstoffbombe, im Innern teilweise kollabiert. Viele Tunnel sollen nicht mehr zugänglich sein. Weitere Tests könnten den Berg vollends in sich zusammensacken lassen und größere Mengen Radioaktivität freisetzen.

28. April 2018


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