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ASIEN/899: Afghanistan - Die Feinde meines Feindes ... (SB)


Afghanistan - Die Feinde meines Feindes ...


Mitte Juli hat US-Präsident Donald Trump, der die Wahl 2016 gegen Hillary Clinton nicht zuletzt wegen seiner lautstarken Kritik an den "endlosen Kriegen" des Pentagons gewonnen hatte, das Außenministerium in Washington offiziell damit beauftragt, Gespräche mit den Taliban zwecks Beendigung des Konflikts in Afghanistan aufzunehmen. Zu ersten Begegnungen der beiden Seiten ist es bereits Ende Juli in Doha, der Hauptstadt Katars, gekommen. An den inoffiziellen Vorgesprächen nahm nach Angaben der afghanischen Nachrichtenagentur Tolo News für die USA Alice Wells teil, die für Süd- und Zentralasiatische Angelegenheiten zuständige Staatssekretärin im State Department, die von Vertretern der CIA und des Verteidigungsministeriums begleitet wurde, während Mullah Sher Mohammed Abbas Stanekzai, der Leiter des politischen Büros der Taliban, deren Delegation anführte.

Seit langem drängen die Taliban darauf, nicht nur mit der Regierung von Präsident Ashraf Ghani, sondern mit den USA direkt zu verhandeln. Mit der Aufnahme von Gesprächen in Doha haben die Amerikaner nun diese Bedingung erfüllt. Gleichwohl beteuern sie, daß eine dauerhafte Beendigung des militärischen Konflikts in Afghanistan nur durch eine Verständigung der einheimischen Akteure erzielt werden kann. An dem Argument ist etwas dran. Der Bürgerkrieg in Afghanistan hat noch vor dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 begonnen. Selbst als die Taliban dort das Islamische Emirat errichteten, stand nicht das ganze Land unter ihrer Kontrolle. Im Norden leisteten die Truppen des Kriegsherrn Ahmad Shah Massud noch erbitterten Widerstand. Massud kam bekanntlich bei einem Al-Kaida-Anschlag wenige Tage vor den Flugzeugangriffen des 11. September 2001 in New York und Arlington ums Leben. Ende desselben Jahres marschierten die Streitkräfte der USA und ihrer NATO-Verbündeten ein und stürzten die Taliban, weil diese jahrelang dem Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden und seinen Kampfgefährten Zuflucht am Hindukusch gewährt hatten.

Seitdem tobt ein erbitterter Krieg zwischen NATO-Truppen, afghanischer Armee und Polizei auf der einen und den Taliban auf der anderen Seite. Wiederholt haben die Taliban ihre Bereitschaft erklärt, sich politisch zu integrieren, jeglichem Kontakt zu ausländischen "Terroristen" abzuschwören und ihre frühere Ablehnung der Schulbildung von Mädchen fallenzulassen. Von ihrer Kernforderung nach dem Abzug aller fremdländischen Streitkräfte aus Afghanistan sind sie jedoch bis heute nicht abgerückt. Seit Monaten befinden sich die Taliban und die Regierung in Kabul in einem langsamen, für Außenstehende schwer einzuschätzenden Annäherungsprozeß, dessen bisheriger Höhepunkt der gemeinsame dreitägige Waffenstillstand Mitte Juni anläßlich des Eid-Fests zum Ende des Ramadan war. Auf den Straßen mehrerer Städte kam es zu erstaunlichen Verbrüderungsszenen, bei denen Mitglieder der Taliban und der Streitkräfte Afghanistans einander freundlich umarmten und mit ihren Mobiltelefonen gemeinsame Selfies schossen.

Nach dem Ende des ersten landesweiten Waffenstillstands seit Menschengedenken haben die Taliban ein kleines Zugeständnis an Kabul gemacht, indem sie ankündigten, keine Selbstmordanschläge mehr gegen zivile, sondern ausschließlich gegen militärische Ziele durchzuführen. Doch ist es nicht nur die Kriegsmüdigkeit, welche die Suche der Taliban, Kabuls und Washingtons nach einem Ende des Konflikts vorantreibt. Seit 2016 versucht die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in Afghanistan Fuß zu fassen. Der afghanische Ableger der Organisation des großen Kalifen Abu Bakr Al Baghdadi heißt Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP). Gemeint ist die Region östlich des Iran und nördlich des in Pakistan liegenden Punjab, welche nicht nur Afghanistan, sondern auch Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan umfaßt.

Der ISKP besteht aus ausländischen Rekruten - vornehmlich aus Zentralasien, aber nicht nur - sowie unzufriedenen Ex-Mitgliedern der Taliban. Um sich von den Taliban abzuheben und als die wahren Vertreter eines von allen modernen Impulsen gereinigten sunnitischen Islams zu präsentieren, führen sich die ISKP-Kämpfer besonders grausam auf, lassen Zivilisten, mutmaßliche Spione oder religiös nicht besonders eifrige Muslime öffentlich köpfen, kreuzigen und verbrennen. In den letzten Wochen haben sie auch eine ganze Reihe spektakulärer Anschläge gegen zivile Ziele durchgeführt. Hervorzuheben sind die blutigen Überfälle auf eine schiitische Moschee in Gardez in der Provinz Paktia sowie auf eine Hebammenschule in Dschalalabad in der Provinz Nangarhar.

Militärisch haben die IS-Anhänger, deren Zahl nicht allzu groß sein dürfte, im Vergleich zu den Taliban, die mehr als 70.000 Mann unter Waffen haben sollen, wenig aufzubieten. Anfang August haben die Taliban der IS-Armee im afghanischen Norden derart schwere Verluste zugefügt, daß sich deren Kommandeure und rund 200 einfache Mitglieder der afghanischen Armee ergaben. Die Rettung dieser Männer hat in der afghanischen Öffentlichkeit eine heftige Kontroverse ausgelöst. Viele einfache Afghanen meinten, Kabul hätte sie von den Taliban ausradieren lassen sollen. Um die Gemüter zu beruhigen, hat das afghanische Verteidigungsministerium erklärt, daß die IS-Kämpfer keine Gäste der Regierung, wie es zunächst hieß, sondern reguläre Kriegsgefangene seien, denen der Prozeß gemacht werde, sofern sie schwere Straftaten begangen hätten.

Während auch in westlichen Medien über eine mögliche Allianz zwischen Taliban, US-Spezialstreitkräften und afghanischer Armee gegen den IS spekuliert wird, gibt es vielleicht einen weiteren Grund, warum sich die Amerikaner gerade jetzt, siebzehn Jahren nach dem Einmarsch in Afghanistan, mit den Taliban auszusöhnen versuchen. Im Mai hat Trump einseitig das Atomabkommen von 2015 mit dem Iran aufgekündigt. Vor zwei Tagen sind die von Barack Obama ausgesetzten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran wieder in Kraft getreten. Nach eigenen Angaben wollen die USA bis November den Export iranischen Öls "auf Null" gedrosselt haben, um das "Regime" in Teheran in die Knie zu zwingen. In der Dauerkonfrontation zwischen den USA und dem Iran stehen aktuell die Zeichen auf einen heißen Krieg. Was liegt aus Sicht des Pentagons näher, als in Afghanistan für Ruhe zu sorgen? Kommt es zum militärischen Konflikt zwischen Teheran und Washington, wäre es für die USA sicherlich von großem Vorteil, wenn sie Luftangriffe nicht nur von Schiffen im Persischen Golf und der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean, sondern auch von ihren östlich des Iran gelegenen Stützpunkten in Afghanistan auf Ziele im Nachbarland durchführen könnten, ohne nebenbei größere Aktionen der Taliban befürchten zu müssen.

10. August 2018


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