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ASIEN/924: Afghanistan - US-Lakaien vernachlässigt ... (SB)


Afghanistan - US-Lakaien vernachlässigt ...


Bei den Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban in Doha scheint man einander nähergekommen zu sein. Am 12. März ging die jüngste Runde nach rund zwei Wochen mit der Ankündigung zu Ende, der Entwurf eines Friedensvertrags liege vor; in den wichtigsten Fragen sei man sich im Prinzip einig. Gemeint ist ein Deal, wonach die ausländischen Streitkräfte abziehen, während die Taliban dafür sorgen, daß von afghanischem Boden keine "terroristischen" Anschläge ausgehen. Währenddessen verstärkt sich bei den bisherigen Verbündeten der USA am Hindukusch, der Regierung von Präsident Ashraf Ghani sowie der Armee und Polizei Afghanistans, der Eindruck, im Stich gelassen zu werden.

Die Angst ist berechtigt. Drei Jahre dauerte der Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan von 1989 bis 1992. In dieser Zeit ging der 1979 begonnene Krieg der von der CIA, Pakistan und Saudi-Arabien unterstützten Mudschaheddin gegen die Demokratische Republik Afghanistan weiter. Im April 1992 stürzte die sozialistische Regierung in Kabul. Präsident Nadschibullah Ahmadzai mußte zusammen mit seinem Bruder Zuflucht im Hauptquartier der Vereinten Nationen in der afghanischen Hauptstadt nehmen. Vier Jahre später brachen die Taliban nach ihrem Sieg im Bürgerkrieg gegen die Mudschaheddin dort ein, ergriffen die Nadschibullah-Brüder und folterten sie grausam zu Tode, um anschließend ihre Leichen von einer Verkehrsampel vor dem Präsidentenpalast hängend zur Schau zu stellen.

Auch wenn sich in Doha die Delegationen von US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad auf der einen und dem stellvertretenden Taliban-Chef Mullah Abdul Ghani Baradar auf der anderen Seite auf einen Ausweg aus der militärischen Pattsituation geeinigt haben, bleiben die Details schwammig und deren Umsetzung höchst ungewiß. Zwar sind die Taliban offenbar bereit, die Verpflichtung einzugehen, daß von afghanischem Territorium aus nie wieder "terroristische" Gruppen agieren, doch wirkt der Abzug der Amerikaner und ihrer NATO-Verbündeten wie ein Versprechen, das einzulösen Washington nicht wirklich gewillt ist. Gegen einen Abzug der 14.000 US-Soldaten aus Afghanistan sprach sich am 7. März bei einem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuß des Repräsentantenhauses deren Oberbefehlshaber, CENTCOM-Chef General Joseph Votel, mit der Behauptung aus, die Rahmenbedingungen ließen bis auf weiteres einen solchen Schritt nicht zu.

Bei den Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt sollen die Taliban auf einen Abzug aller ausländischen Streitkräfte innerhalb von sechs Monaten bzw. maximal eines Jahres gedrängt haben. Umgekehrt haben die Amerikaner alle möglichen logistischen Argumente vorgebracht, warum ein solcher Zeitplan unrealistisch wäre und weshalb sie für das angebliche Mammutunterfangen drei bis fünf Jahre bräuchten. Die Taktik von Khalilzad und seinen Beratern ist klar. Sie spielen auf Zeit, wollen den Abzug verschleppen und die Taliban zur Demobilisierung bzw. Integration in die afghanischen Streitkräfte bewegen, um sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Anstelle einer offiziellen Militärbesatzung werden sich später weiterhin Tausende US-Militärs als Ausbilder, Techniker, Antiterrorexperten und private Sicherheitsdienstleister in Afghanistan wegen der angeblichen Notwendigkeit tummeln, die einheimischen Streitkräfte zu trainieren, deren Kriegsgerät zu warten sowie ihnen im Kampf gegen "Terrormilizen" à la Islamischer Staat unter die Arme greifen zu können.

Jedenfalls haben die ersten öffentlichen Worte Baradars nach der Freilassung aus einem pakistanischen Gefängnis im vergangenen Oktober nicht unbedingt zur Beruhigung der Gemüter bei der Regierung in Kabul beigetragen. Der ehemalige Kampfgefährte des legendären Taliban-Gründers Mullah Mohammed Omar der ersten Stunde, der, obwohl gesundheitlich angeschlagen, seit Anfang 2019 an den Gesprächen in Doha teilnimmt, erklärte in einer am 12. März veröffentlichten Stellungnahme, er und seine Männer kämen in Frieden, wollten sich mit den Kriegsgegnern versöhnen und würden sich im neuen Afghanistan "in Demut" üben. Bisher weigern sich die Taliban, mit der afghanischen Regierung, deren Vertreter sie seit Jahren als Handlanger des Westens beschimpfen, direkt zu verhandeln. Noch bevor die Taliban wieder am politischen Prozeß teilnehmen dürfen, müssen sie sich von allen anderen aufständischen Gruppen lossagen; dies verlangte am 13. März Premierminister Abdullah Abdullah.

Wegen der aus Sicht Kabuls mangelnden Transparenz bei den Verhandlungen in Doha ist Präsident Ghanis Nationaler Sicherheitsberater Hamdullah Mohib Mitte März in die USA gereist, um sich darüber zu beschweren und um Aufklärung über den Gesprächsstand zu bitten. Mohib besteht auf den Standpunkt, daß die bisherigen Errungenschaften seit 2001 in Afghanistan wie demokratische Wahlen, Ausbau der Schulbildung für Mädchen, größere Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben und vieles andere mehr auch nach einem Friedensabkommen mit den Taliban erhalten bleiben müssen und daß es nicht zur Wiedererrichtung von Islamischen Emiraten kommen darf. Bedenkt man die Zehntausenden afghanischen Soldaten, die im Kampf gegen die "Terroristen" gefallen sind, so war es eine ziemliche Beleidigung für die pro-westlichen Afghanen im allgemeinen und Mohib im besonderen, daß dessen amerikanischer Amtskollege John Bolton "keine Zeit" für den Besucher aus Kabul hatte. Offenbar wollen die Amerikaner eine langfristige Präsenz als Vermittlungsinstanz zwischen Taliban und pro-westlicher Elite in Afghanistan etablieren.

18. März 2019


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