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ASIEN/929: Afghanistan - Friedensaktivisten treffen Taliban ... (SB)


Afghanistan - Friedensaktivisten treffen Taliban ...


Überschattet von schweren Kämpfen - Anfang April haben die Taliban ihre diesjährige Frühjahrsoffensive begonnen - laufen in und um Afghanistan die Friedensbemühungen auf Hochtouren. Doch der langersehnte Durchbruch läßt weiterhin auf sich warten. Im Februar gingen die monatelangen Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha zwischen der US-Regierung und den Taliban ohne konkrete Ergebnisse zu Ende. Dennoch läßt die afghanische Volksfriedensbewegung, die 2018 aus einem Friedensmarsch aufgebrachter Bürger der besonders vom Krieg gezeichneten Provinz Helmand in die Hauptstadt Kabul entstanden ist, nicht locker und fordert die Konfliktparteien zu größerem Entgegenkommen und das Ausland zu weniger Einmischung bei der Verfolgung eigener Interessen auf. Den Kriegsbeteiligten fällt es jedoch sichtlich schwer, ihre regelmäßigen Bekenntnisse zu einer gerechten Friedensordnung samt religiöser und ethnischer Versöhnung in die Tat umzusetzen.

Nichts verdeutlicht diesen traurigen Umstand besser als der Zirkus um ein Treffen von Vertretern der afghanischen Parteien im Kabuler Parlament sowie zivilgesellschaftlicher Gruppen mit den Taliban, das am 20. und 21. in Doha stattfinden sollte, jedoch quasi in letzter Minute geplatzt ist. Die Begegnung sollte auf den Erfolg zweier ähnlicher Treffen aufbauen, die seit Anfang des Jahres in Moskau mit der russischen Regierung als Gastgeberin stattgefunden hatten und nach Aussage aller Beteiligten recht gut gelaufen waren. In Moskau war die afghanische Regierung um Präsident Aschraf Ghani und Premierminister Abdullah Abdullah nicht vertreten. Einerseits lehnen die Taliban direkte Gespräche mit der aus ihrer Sicht "Marionettenregierung" der USA in Kabul ab, andererseits verweigern Ghani und Abdullah die Entsendung eigener Vertrauensleute ohne formelle Anerkennung durch die Gegenseite.

In Doha, wo die Taliban seit mehreren Jahren ein offizielles Verbindungsbüro unterhalten, sollte alles anders laufen - jedenfalls aus Sicht Kabuls. Man stellte eine Liste von 250 Delegierten zusammen, die am 18. April nach Doha fliegen sollten. Darunter waren zahlreiche Regierungsvertreter wie Abdul Salam Rahimi, der Stabschef von Präsident Ghani wie auch dessen Vizepräsidentskandidat bei der bevorstehenden Präsidentenwahl, und Amrullah Saleh, der zugleich ehemaliger Geheimdienstchef ist. Ghani hat die riesige Delegation am 17. April im Präsidentenpalast empfangen, um sie zu der bevorstehenden Mission zu beglückwünschen und gleichzeitig das ambitionierte Unterfangen für sich zu vereinnahmen. Hatten die Taliban im Vorfeld erklärt, Regierungsmitglieder könnten lediglich "als private Gäste" am Treffen teilnehmen, so hat Ghani beim Empfang in Kabul die ganze Delegation mehr oder weniger zum Vehikel der Administration in Kabul ernannt.

Damit hat der Präsident den Bogen völlig überspannt und die Hoffnungen im Vorfeld des Treffens, bei dem die Taliban erstmals mit eigenen weiblichen Delegationsmitgliedern auftreten wollten, um einen Sinneswandel in der Bildungs- und Frauenpolitik zu demonstrieren, zunichte gemacht. Am Vormittag des 19. April, wenige Stunden vor der Abreise der Besucher aus Kabul, zog der Gastgeber der Veranstaltung, das Zentrum für Konflikt- und humanitäre Studien in Doha, die Einladungen zurück und erklärte das Treffen bis auf weiteres für verschoben. In einer eigenen Stellungnahme kritisierten die Taliban Größe und Zusammensetzung der afghanischen Delegation und monierten, in Doha sei eine ernsthafte Gesprächsrunde und keine "Hochzeitsfeier im Luxushotel" geplant gewesen.

Statt dessen trafen die Taliban-Unterhändler am 20. April mit einer 20köpfigen Gruppe von Exil-Afghanen zusammen, darunter drei Frauen, die in Europa und Nordamerika leben und sich von dort aus für Frieden in ihrem Heimatland engagieren. In einem Bericht über die sechsstündige Unterredung, der am 22. April bei der Washington Post erschienen ist, wurden zwei Frauenrechtlerinnen zitiert. Masuda Sultan, Vertreterin der Nicht-Regierungsorganisation Women for Afghan Women, die Büros in Washington und Kabul unterhält, erklärte: "Die Taliban waren uns gegenüber warm und herzlich. Sie sagten, sie wollten Frieden und daß sie enttäuscht seien, daß es nicht zu den geplanten Verhandlungen gekommen war." Was die gesellschaftliche Stellung der Frau in Afghanistan betrifft, so meinte Sultan, die Taliban hätten frühere Fehler eingeräumt und seien für Vorschläge offen, Hauptsache der Islam werde dabei respektiert. Im Post-Bericht meinte Momand Khatol, die als Schullehrerin in Norwegen arbeitet, die Taliban hätten ihr gegenüber erklärt, sie hätten sich verändert und wollten, daß Frauen nicht nur eine "symbolische Präsenz" in der Politik, sondern "eine aktive Rolle in der Gesellschaft" spielten. Ob das tatsächlich der Fall ist, muß sich natürlich erst noch zeigen.

In Kabul hat man jedenfalls die verpatzte Chance von Doha einfach weggesteckt und bereitet nun eine große Friedensversammlung vor, die am 29. April in der afghanischen Hauptstadt stattfinden soll. An der sogenannten Friedensdschirga sollen 2500 Menschen aus allen Lebenslagen teilnehmen. 30 Prozent der Teilnehmenden sollen Frauen sein. So ist es jedenfalls geplant. Ob sich dabei eine einheitliche Linie herausbildet, die bei späteren Verhandlungen mit den Taliban vertreten werden kann, ist unklar, denn auch in Kabul und den anderen Teilen Afghanistans reißt das Ränkespiel um Macht und Einfluß niemals ab. Präsident Ghani und Premierminister Abdullah sind sich bis heute spinnefeind. Nachdem vor wenigen Tagen Ghani seine Amtszeit als Präsident aufgrund der Verschiebung der Wahl bis September verlängert hat und die umstrittene Entscheidung vom Obersten Gerichtshof absegnen ließ, hat Abdullah gleichgezogen und verkündet, so lange werde er als Regierungschef ebenfalls im Amt bleiben. Abdullah will die Friedensdschirga boykottieren, weil er darin "keine Hilfe zur Überwindung der Probleme des Landes" erkennen kann. Der Weg zum Frieden in Afghanistan bleibt offenbar steinig und voller Hindernisse.

25. April 2019


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