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ASIEN/931: Afghanistan - enttarnte Scheindiplomatie der USA ... (SB)


Afghanistan - enttarnte Scheindiplomatie der USA ...


Ungeachtet der jüngsten Friedensdschirga in Kabul, an der Ende April, Anfang Mai 2500 Vertreter diverser gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien - nur nicht der Taliban - teilnahmen, ist kein Ende des Konflikts am Hindukusch in Sicht. Auch die sechste Verhandlungsrunde zwischen dem Sondergesandten von US-Präsident Donald Trump, Zalmay Khalilzad, und den Taliban in Doha hat keinen Fortschritt gebracht. Im Gegenteil, gingen doch die jüngsten Friedensgespräche in der Hauptstadt Katars nach nur acht Tagen ergebnislos zu Ende; alle früheren hatten um die drei Wochen gedauert.

Im April haben die Taliban ihre diesjährige Frühjahrsoffensive begonnen und seitdem zahlreiche Anschläge und Überfälle durchgeführt. Das Angebot von Präsident Ashraf Ghani für eine Feuerpause zwischen Taliban und den afghanischen Streitkräften während des Fastenmonats Ramadan von Anfang Mai bis Anfang Juni haben die früheren Koran-Schüler um Mullah Mohammed Omar ausgeschlagen. Für die Entscheidung gibt es zwei wesentliche Gründe. Erstens sind die Taliban auf dem Vormarsch. Bei den winterlichen Kämpfen zur Jahreswende 2018/2019 lag die Zahl der monatlichen Taliban-Angriffe 20 Prozent höher als im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor, die der Verluste bei den afghanischen Streitkräften um 30 Prozent höher. Nicht umsonst hat Ende letzten Jahres das US-Militär die Bekanntgabe der Verluste bei der afghanischen Armee und Polizei eingestellt und vor wenigen Wochen alle Angaben darüber, wie viele Bezirke unter der Kontrolle der Regierungstruppen stehen, zur Verschlußsache erklärt. Zuletzt hieß es, die afghanischen Streitkräfte hätten seit 2014 40.000 Mann verloren. Seit Monaten nehmen die Berichte über schlechte Kampfmoral und Desertationen bei der afghanischen Armee zu. Angeblich kontrolliert sie nur noch 54 Prozent des staatlichen Territoriums - Tendenz abnehmend.

Zum zweiten bestehen erhebliche Zweifel ob der Ernsthaftigkeit von Khalilzads in Doha wiederholt bekundetem Willen, Washington zum Abzug aller 14.000 US-Soldaten aus Afghanistan zu bewegen. Zwar möchte Präsident Trump lieber früher als später den Militäreinsatz in Afghanistan beenden, der seit 2001 dem amerikanischen Steuerzahler rund eine Milliarde Dollar gekostet hat und statt eines funktionierenden Staates im herkömmlichen Sinne lediglich ein Marionettenregime in Kabul installieren konnte. Doch gegen die Abzugsabsichten des Isolationisten Trump setzt sich der mächtige Sicherheitsapparat der USA, den spätestens seit 1963 kein US-Präsident mehr hat bändigen können, zur Wehr.

Hätten Pentagon und CIA nach dem 11. September 2001 wirklich das Al-Kaida-"Netzwerk" ausschalten wollen, wie stets von offizieller Seite behauptet wird, hätte die damalige Regierung von George W. Bush das Angebot der Taliban - Aushändigung Osama Bin Ladens an ein unabhängiges Gericht bei Vorlage juristisch verwertbarer Hinweise für eine Verwicklung des saudischen Exilanten und Schwagers Mullah Omars in die schrecklichen Flugzeuganschläge von New York und Arlington - angenommen. Tatsächlich aber ging es darum, das strategisch wichtige Land Afghanistan im Herzen Zentralasiens an der Westgrenze des Irans und der Nordgrenze Pakistans sowie in Reichweite von Rußland und China zu besetzen und dort eine Reihe größerer Militärstützpunkte samt Start- und Landesbahnen einzurichten.

An diesem geopolitischen Interesse hat sich bis heute nichts verändert. Deswegen meinte Amerikas ranghöchster Militär, General Joseph Dunford, sich einen Akt indirekter Insubordination leisten zu können, als er am 8. Mai bei einer Anhörung des Verteidigungsausschusses des Senats in Washington sämtlichen Abzugsüberlegungen für Afghanistan und damit der erklärten Politik des eigenen Vorgesetzten, Präsident Trump, der laut US-Verfassung Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, praktisch eine Absage erteilte. Einerseits erklärte der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, "niemand" würde lieber "die US-Streitkräfte aus Afghanistan und dem erweiterten Mittleren Osten abziehen" als er. Andererseits stellte er unmißverständlich fest, die USA würden Bodentruppen in Afghanistan behalten müssen, "solange der Aufstand anhält". Um die Begründung für den Verbleib am Hindukusch zu unterstreichen, behauptete Dunford, in Afghanistan wären neben den Taliban weitere 19 "extremistische Gruppen" tätig.

Am selben Tag erhielt Dunford für diese Position starke Rückendeckung von Herbert McMaster, der von Februar 2017 bis April 2018 im Weißen Haus Nationaler Sicherheitsberater Trumps gewesen ist. McMaster, ein Veteran des ersten Golfkriegs 1991, der auch Ende der Nullerjahre als Berater von General David Petraeus im Irak tätig gewesen ist und wesentlich zum Erfolg von dessen Aufstockungsstrategie beigetragen haben soll, gilt als intellektuelle Lichtgestalt in den höheren Militärkreisen der USA. Seine Doktorarbeit in Geschichtswissenschaft, die 1997 als Buch unter dem Titel "Dereliction of Duty" erschien, besteht im wesentlichen aus der Dolchstoßlegende, wonach Amerikas heldenhafte Soldaten im Felde den Vietnamkrieg gewonnen hätten, wären die Generäle damals mutig genug gewesen, sich gegen die wankelmütige politische Führung in Washington durchzusetzen. In der Schrift beklagt der mehrfach ausgezeichnete Generalleutnant a. D. "die Lügen", die zur Niederlage der USA im Vietnamkrieg geführt haben sollen. Wenig überraschend steht "Dereliction of Duty" seit einigen Jahren auf dem Lehrplan in West Point sowie an den meisten anderen Offiziersschmieden in den USA.

Heute ist McMaster Gastdozent für politische Wissenschaft an der Stanford Universität in Kalifornien und Vorsitzender des Center on Military and Political Power bei der Foundation for Defense of Democracies (FDD) in Washington, die dort neben dem American Enterprise Institute (AEI) zu den einflußreichsten neokonservativen Denkfabriken der USA zählt. Bei seiner aufschlußreichen und martialischen FDD-Rede zum Thema Afghanistan prangerte McMaster die negative Berichterstattung über die Lage am Hindukusch als "defätistisch" und "ungenau" an. Die Lage in Afghanistan sei zwar nicht fabelhaft, aber auch nicht so schlimm, wie in den Medien kolportiert, behauptete er. Die Kosten der US-Militärbesatzung hätten sich von jährlich 100 Millionen Dollar in 2010 auf 45 Millionen Dollar 2018 mehr als halbiert, lobte McMaster.

Die USA müßten ihre Truppen in Afghanistan als eine Art "Versicherungspolice" behalten, damit dort die "Terroristen" kein neues "Emirat" einrichten könnten, das später mit anderen solchen Gebilden in der Region zu einem regelrechten "Kalifat" zusammengelegt werden könnte, argumentierte er. Amerika dürfe wegen der neuen strategischen Ausrichtung des Pentagons auf die Großmachtsrivalität mit Rußland und China die Aufstandsbekämpfung nicht vernachlässigen, erklärte er zudem. Als Teil des Kampfes gegen den globalen "Terrorismus" müßten die USA in Afghanistan ihre "Gewinne konsolidieren", denn die Kosten des Einsatzes, auch an gefallenen Soldaten, wären tragbar, so McMaster. Bei dieser Rechnung sind die Kosten des Endloskrieges für die afghanische Zivilbevölkerung offenbar zweitrangig.

17. Mai 2019


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