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ASIEN/942: Taiwan - Stein jedweden Anstoßes ... (SB)


Taiwan - Stein jedweden Anstoßes ...


Mehrere Themen belasten das Verhältnis zwischen den USA und der Volksrepublik China: die Studentenproteste in Hongkong, die Lage der Uiguren in Xinjiang, der Handelskrieg und Taiwan - letzteres einschließlich des Dauerstreits um die Hoheitsansprüche Pekings im Südchinesischen Meer. Das eigentliche Kernproblem ist jedoch der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Chinas zur alten Größe - diplomatisch, militärisch, technologisch und wirtschaftlich -, den hinzunehmen die Supermacht USA offenbar nicht bereit ist. Deshalb gibt es nicht wenige Vertreter der außenpolitischen Elite in Washington wie den rechtsnationale Publizisten und ehemaligen Berater von Präsident Donald Trump, Steve Bannon, die eine kriegerische Auseinandersetzung mit China um die Weltherrschaft für unvermeidlich halten und diese lieber früher als später ausfechten wollen, damit die USA ihre Waffenüberlegenheit, solange sie sie noch haben, geltend machen können. In den letzten Monaten haben sowohl US-Vizepräsident Mike Pence als auch US-Außenminister Mike Pompeo in wichtigen Reden China zur größten Bedrohung Amerikas erklärt und damit dem Gedanken einer Partnerschaft auf Augenhöhe eine deutliche Absage erteilt.

Besonnere Kommentatoren dagegen raten von einem großen Showdown ab, weil dieser das Risiko eines Aus für das menschliche Leben auf der Erde mit sich brächte. Bei einem Auftritt am 14. November vor dem National Committee on US-China Relations in New York erklärte der Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger, ein Krieg zwischen den USA und China dürfe nicht in Erwägung gezogen werden, denn wegen der Atomwaffenarsenale auf beiden Seiten würde er in Sachen Zerstörung die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts bei weitem in den Schatten stellen. Die USA und China müßten einen Weg finden, miteinander zu leben, so Kissinger. Denselben Fehler wie einst das britische Empire und das deutsche Kaiserreich, sich gegenseitig zu einem militärischen Ringen um die Weltherrschaft hochzuschaukeln, dürften sich Peking und Washington nicht erlauben, denn ein solcher Kurs führte "in die Katastrophe", erklärte der Mann, der Anfang der siebziger Jahren als Außenminister Richard Nixons die Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China normalisierte und seitdem als Staatsmann mit Weitsicht gilt.

Doch so richtig auf die Ermahnungen des alternden Kissingers scheint niemand mehr zu hören. Auf einer Militärtagung in Bangkok kam es am 18. November zwischen dem amerikanischen und chinesischen Verteidigungsminister, Mark Esper und Wei Fenghe, zum Streit. Wei forderte von den USA, auf "Muskelspiele" und "Provokationen" im Südchinesischen Meer zu verzichten. Esper dagegen erwiderte, die USA würden nicht nur "überall dort, wo es das Völkerrecht erlaubt", ihre Schiffe und Flugzeuge operieren lassen, sondern auch "andere souveräne Staaten dazu ermutigen, dasselbe zu tun, und ihr Recht dazu schützen". Hinter der Formulierung steckt die Absicht Washingtons, die anderen Anrainerstaaten wie Vietnam und die Philippinen als Bauern auf dem Schachbrett des Südchinesischen Meers gegenüber der Volksrepublik in Stellung zu bringen. Nicht umsonst hat Esper während seiner Asienrunde der vietnamesichen Marine ein ausgemustertes Kriegsschiff des Pentagons überlassen.

Einen Tag vor der Begegnung Espers mit Wei in Thailand hat erstmals ein chinesischer Flugzeugträger die 180 Kilometer breite Taiwanstraße, welche die abtrünnige Insel vom chinesischen Festland trennt, passiert und zwar in südlicher Richtung. Der schwimmende Koloß befindet sich noch in der Testphase, hat daher keinen Namen und ist auch unbewaffnet. Nichtsdestotrotz wurde Chinas Flugzeugträger bei der Durchquerung der Taiwanstraße von amerikanischen und japanischen Kriegsschiffen beschattet. Als die USA nach der Begegnung zwischen Nixon und Mao Zedong damals diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik aufnahmen, haben sie sich gleichzeitig zum Ein-China-Prinzip, demzufolge Taiwan ein untrennbares Teil Chinas ist, bekannt. Im Gegenzug hat sich die Volksrepublik bereit erklärt, die Wiedervereinigung Chinas lediglich mit friedlichen Mitteln herbeizuführen.

Nach der Wahl zum US-Präsidenten 2016 hat Donald Trump wiederholt das Ein-China-Prinzip in Frage gestellt und mehr oder weniger offen mit dem Gedanken der Anerkennung der Unabhängigkeit Taiwans gespielt. Vor dem Hintergrund wiederholter Provokationen Washingtons hat im Januar Chinas Präsident Xi Jinping erstmals von der Möglichkeit einer nicht-friedlichen Wiedervereinigung gesprochen. Schließlich stellt die Einheit Chinas für Peking eine rote Linie dar, die niemals ernsthaft in Frage gestellt oder gefährdet werden darf. Deswegen war die chinesische Regierung im Sommer ziemlich aufgebracht, als die USA beschlossen, den Taiwanesen Rüstungsgüter im Wert von 2,6 Milliarden Dollar, darunter 66 hochmoderner Kampfjets vom Typ F-16 Viper, zukommen zu lassen.

In Taiwan selbst fühlen sich die Unabhängigkeitsbefürworter im Aufwind. Letzte Woche löste Taiwans Außenminister Joseph Wu bei den Volkschinesen einen Sturm der Entrüstung aus, als er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters behauptete, eine Schwächung der Wirtschaft auf dem Festland könnte die Führung in Peking veranlassen, die abtrünnige Insel "heim ins Reich" zu holen und der Demokratie dort ein Ende zu setzen. Ma Xiaoguang, Sprecher für Taiwan-Fragen im Pekinger Außenministerium, bezeichnete die Äußerung Wus als "völligen Unsinn und totalen Müll". Laut Ma entwickelten sich die wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen Taiwans zur Volksrepublik bestens, die in Taipeh regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) sei die eigentliche Gefahr für den Frieden in der Taiwanstraße.

Mit seiner Einschätzung liegt Ma nicht ganz falsch. Am 11. Januar findet auf Taiwan die Präsidentenwahl statt. Am 17. November hat Amtsinhaberin Tsai Ing-wen von der DPP den Parteikollegen und ehemaligen Premierminister William Lai, der wegen Mißerfolgs bei den Kommunalwahlen 2018 zurückgetreten war, zu ihrem Vizepräsidentschaftskandidaten ernannt. Lai gilt als radikaler Unabhängigkeitsbefürworter, der durch provozierende Äußerungen gezielt Spannungen mit Peking erzeugt. Die Kuomintang, die jahrzehntelang Taiwan quasi in Alleinherrschaft regierte und sich als chinesisch-nationalistische Partei versteht, hat Tsais Nominierung von Lai als durchsichtiges Manöver, die "extremistischen" Kräfte auf der Insel zu mobilisieren, bezeichnet. Für die Kuomintang geht Han Kuo-yu, der ehemalige Bürgermeister der Stadt Kaoschiung, der für eine vorsichtige Annäherung zwischen Taiwan und Volksrepublik eintritt, ins Rennen.

23. November 2019


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