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ASIEN/945: Afghanistan - Verhandlungstisch für alle ... (SB)


Afghanistan - Verhandlungstisch für alle ...


Das Ende des Afghanistankrieges ist allmählich in Sicht. Am 11. Februar meldete die New York Times, US-Präsident Donald Trump hätte für den Friedensfahrplan, auf den sich sein Afghanistan-Sonderbeauftragter Zalmay Khalilzad in monatelangen Verhandlungen im katarischen Doha mit den Taliban verständigt hatte, grünes Licht gegeben. Offenbar herrscht nicht nur in Afghanistan selbst, sondern auch in den USA große Kriegsmüdigkeit.

Der Konflikt am Hindukusch erscheint immer mehr Politikern im US-Kongreß ein vollkommen sinnloses Abenteuer zu sein. Als ebenfalls am 11. Februar John Sopco, der Sondergeneralinspekteur des Wiederaufbauprogramms der USA für Afghanistan, in Washington vor den Senatsausschuß für Heimatschutz und Regierungsangelegenheiten trat, sollte er die Studie seiner Behörde erläutern, die bei der Veröffentlichung in der Washington Post im vergangenen Dezember für mediale Aufregung gesorgt hatte und derzufolge die Regierungen George W. Bushs, Barack Obamas und Donald Trumps in den letzten 19 Jahren am Hindukusch 64 Milliarden Dollar für nichts und wieder nichts ausgegeben hätten. Die versammelten Politiker verloren endgültig die Geduld, als Sopco auf die Frage Rand Pauls, des Senators aus Kentucky und wie Trump ein Kritiker des amerikanischen Kriegseinsatzes in Afghanistan, wie die Kriterien zur Bemessung von Erfolg oder Mißerfolg der Mission zur Schaffung einer schlagkräftigen, überlebensfähigen afghanischen Armee und Polizei aussehen, eine verblüffende Antwort präsentierte. Er könne dazu keine Aussage machen, denn die etwaigen Kriterien und die entsprechenden Ergebnisse befänden sich ausschließlich im Besitz der afghanischen Sicherheitsbehörden, die sie ihrerseits aus "Sicherheitsgründen" nicht preisgäben, so Sopco.

Folglich war es keine große Überraschung, als die New York Times am 15. Februar berichtete, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz von nicht namentlich genannten "ranghohen" Vertretern der Trump-Administration erfahren zu haben, daß Washington und die Taliban-Führung eine einwöchige Feuerpause in Afghanistan vereinbart hätten, auf die, sollte sie eine Woche nicht von nennenswerten Zwischenfällen unterbrochen werden, der formelle Abschluß eines Friedensvertrags erfolgen sollte. Als mögliche Gelegenheit für eine solche Zeremonie nannte die New York Times den für März geplanten Staatsbesuch Trumps in Indien; entweder auf dem Weg zum Subkontinent oder auf der Heimreise könnte der US-Präsident eine Zwischenlandung auf dem gutgesicherten US-Militärflughafen Bagram bei Kabul machen und dort zusammen mit den Vertretern der Taliban die entsprechenden Dokumente unterzeichnen.

US-Außenminister Mike Pompeo und US-Verteidigungsminister Mark Esper wollten auf der Sicherheitskonferenz in München keine öffentliche Stellungnahme zu dem neuen Friedensfahrplan für Afghanistan abgeben. Dessen ungeachtet trafen sie am Veranstaltungsort im Bayrischen Hof in kleiner Runde mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani zusammen, um mit diesem über das weitere Vorgehen zu beraten. Bis eine Verständigung mit den USA steht, lehnen die Taliban Verhandlungen mit der aus ihrer Sicht "Marionettenregierung" Washingtons in Kabul ab. Seinerseits weigert sich Ghani, in Friedensgespräche mit den Taliban zu treten, bis diese in einen landesweiten Waffenstillstand einwilligen. Sollte jedoch die einwöchige Feuerpause von allen Seiten eingehalten werden, dann könnten bald Ghanis Leute und die Taliban-Führung miteinander in Kontakt treten und über die Wiedereinbindung der einstigen Koran-Schüler in das politische System Afghanistans beraten.

Den Informationen der New York Times zufolge will die Trump-Regierung bis Ende Juni die Zahl der in Afghanistan stationierten amerikanischen Streitkräfte von derzeit 13.000 auf 8.600 Mann reduzieren. Gelingt es im Zuge des neuen Friedensfahrplans eine Beilegung der Kämpfe herbeizuführen, dann steht ein weiterer Truppenabzug bevor. Im Bericht der New York Times heißt es, die Vereinbarung zwischen US-Chefunterhändler Khalilzad und den Taliban sehe einen kompletten Truppenabzug innerhalb von drei bis fünf Jahren vor, wenngleich unklar sei, worin der komplette Truppenabzug bestehe.

Unter Hinweise auf entsprechende Stellungnahmen der demokratischen Kandidaten für die Präsidentenwahl im November, von denen die meisten letzte Woche auf Anfrage der New York Times für den Erhalt eines Restkontingents an Soldaten und Geheimdienstleuten in Afghanistan zwecks "Antiterrorkampf" plädierten, heißt es im Bericht, die republikanische Trump-Regierung verfolge genau diesen Kurs. Wenig überraschend stößt man deshalb auf den Satz im NYT-Artikel: "Doch die Regierungsvertreter wollten nicht über mögliche Nebenvereinbarungen mit den Taliban, die eine solche Präsenz, einschließlich eine der CIA, ermöglichen könnten, diskutieren." Inwieweit sich die Taliban auf diese Forderung Washingtons einlassen werden, läßt sich aktuell nicht sagen. Seit der amerikanischen Invasion im Oktober 2001 steht der Abzug sämtlicher fremdländischer Truppen aus Afghanistan als oberstes Kriegsziel der Taliban fest. In dieser Frage Zugeständnisse zu machen könnte zu einer Spaltung der Organisation führen und wäre deshalb für die Taliban-Führung möglicherweise nicht machbar.

So oder so rücken die USA unter der Führung des Geschäftsmanns Trump vom Kriegseinsatz in Afghanistan als Mittel der Einflußnahme in Süd- und Zentralasien ab. Seit Jahren beklagen einige Geostrategen in Washington die Ineffektivität der militärischen Anstrengungen des Pentagons in Afghanistan und vergleichen sie in negativer Hinsicht mit der Neuen Seitenstraße Chinas, mit der die Volksrepublik die ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan immer enger an sich bindet. Auch in Afghanistan haben sich die Chinesen, ohne sich dort militärisch zu betätigen, den Abbau der größten Kupfervorkommen vertraglich gesichert und bereits mit den Minenarbeiten begonnen. Das Gegenkonzept Washingtons zur Neuen Seidenstraße Pekings lautet "Strategy For Central Asia 2019-2025", für die Pompeo Ende letzten Jahres bei einer Rundreise durch die Nachbarländer Afghanistans geworben hatte. Um diese Strategie, die verschiedene Infrastrukturprojekte besonders im Energiebereich vorsieht, umsetzen zu können, muß Afghanistan zur Ruhe kommen. Man darf gespannt sein, ob die USA bereit sind, den Preis der Taliban, die in Afghanistan inzwischen militärisch die Oberhand haben, zu bezahlen.

18. Februar 2020


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