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ASIEN/953: Südkorea - eine sachte Wende ... (SB)


Südkorea - eine sachte Wende ...


Bei den südkoreanischen Parlamentswahlen am 15. April hat die linksliberale Demokratische Partei (Deobureo-minju-Partei) von Präsident Moon Jae-in den Sieg davongetragen. Von den 300 Sitzen in der Nationalversammlung hat die DP ihren Anteil von 120 auf 163 erhöhen können. Die mit ihr verbündete, Richtung grün tendierende Gemeinsame Partei des Miteinanders (Deobureo-shimin-Partei) hat 17 Mandate erhalten. In der nächsten vierjährigen Legislaturperiode verfügt also die DP mit ihrem kleinen Koalitionspartner zusammen über die größte Mehrheit, auf die sich eine südkoreanische Regierung seit mehr als drei Jahrzehnten hat stützen können. Weit abgeschlagen dagegen liegt die konservative Opposition aus der Mirae-tonghap-Partei (Freiheitspartei Koreas) und der Zukunftspartei Koreas (Mirae-hanguk-Partei), die gemeinsam lediglich 103 Sitze - 84 plus 19 - erringen konnten.

Die Wahl stand ganz im Zeichen der Corona-Virus-Pandemie. Die strikte Einhaltung hygienischer Vorschriften sowie aller Regeln der sozialen Distanzierung waren oberstes Gebot, um die Wahl durchführen und die Gesundheitsrisiken auf einem Minimum zu halten. Covid-19-Erkrankte sowie Personen in Selbstquarantäne durften sich per Brief aus dem Krankenhaus oder aus den eigenen vier Wänden heraus an dem Urnengang beteiligen. Trotz oder vielleicht sogar wegen der Corona-Krise wurde nach offiziellen Abschluß der Stimmenauszählung eine Wahlbeteiligung von 66,2 Prozent, die höchste seit 28 Jahren, gemeldet. Der überwältigende Sieg der Demokratischen Partei ist klar als Ausdruck der Zufriedenheit der südkoreanischen Bürger mit dem Krisenmanagement der Moon-Regierung zu bewerten.

Ende Januar stand Südkorea gleich hinter der Volksrepublik China an zweiter Stelle, was die Zahl der Covid-19-Infizierten sowie der Todesopfer betrifft. Die Lage drohte in der Tat außer Kontrolle zu geraten. Schnell aber hat die Moon-Administration mit den südkoreanischen Unternehmen zusammen ein gewaltiges Hochfahren der Produktion von Test-Kits, Schutzkleidern und vor allem Atemschutzmasken begonnen. Getestet wurde im großen Stil - 15.000 Mal am Tag. In jeder Apotheke waren staatlich subventionierte Atemschutzmasken billig zu kaufen. Mittels konsequentem Tracking unter Einsatz einer Smartphone-App konnten Corona-Virus-Erkrankte schnell identifiziert und isoliert werden. Praktisch innerhalb einer Woche ist es den Behörden in Südkorea gelungen, die Rate der Neuinfektionen zu halbieren. Seit Ende der ersten Februar-Wochen geht sie kontinuierlich nach unten. Im Gegensatz zu den Industriestaaten in Europa und Nordamerika hat Südkorea durch rasches Handeln das öffentliche Leben, die Wirtschaft und das Schulwesen nicht lahmlegen müssen. Statt dessen exportiert Südkorea Wissen und medizinische Ausrüstung, um anderen Ländern, deren Gesundheitssysteme vor dem Kollaps stehen, wie beispielsweise in den USA, zu helfen.

Telefonisch hat US-Präsident Donald Trump am 24. März Moon um medizinische Ausrüstung Made in South Korea gebeten. Südkoreas Präsident hat den amerikanischen Amtskollegen die "volle Unterstützung" versprochen. In Südkorea haben viele Menschen es deshalb als Zeichen großer Undankbarkeit empfunden, als genau eine Woche später das US-Militär auf seinen Stützpunkten die Hälfte der einheimischen Mitarbeiter in unbezahlten Urlaub schickte. Hintergrund der Aktion ist nicht die Corona-Pandemie, sondern ein Streit um Geld. Auf Anweisung Trumps versucht das Pentagon die finanzielle Beteiligung Südkoreas an den Kosten der US-Militärpräsenz dort drastisch zu erhöhen - von bisher 100 Millionen auf 500 Millionen Dollar im Jahr. Vor kurzem hat Seoul eine Aufstockung der Zuwendungen aus dem südkoreanischen Haushalt um jährlich 13 Prozent angeboten. US- Verteidigungsminister Mark Esper lehnte den Vorstoß als vollkommen unzureichend ab.

Der Wahlsieg und der Basenstreit mit den USA verschafft Präsident Moon nun im eigenen Land erheblichen politischen Raum, um seine Vision einer Annäherung mit Nordkorea über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu forcieren. Nach dem Scheitern des zweiten und bisher letzten Gipfeltreffens Trumps mit dem nordkoreanischen Staatsratsvorsitzenden Kim Jong-un im vergangenen Frühjahr in Hanoi herrscht zwischen Washington und Pjöngjang praktisch Funkstille. Nichtsdestotrotz verzichtet Nordkorea - von wiederholten Tests irgendwelcher Kurzstreckenraketen einmal abgesehen - auf schwere Provokationen im Bereich der strategischen Waffen. Statt dessen hat Nordkorea die Weltgemeinschaft um Hilfe bei der Verhinderung einer Ausbreitung der Covid-19-Seuche gebeten.

Im US-Kongreß sind deshalb Stimmen laut geworden, die eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea befürworten, erstens um die öffentliche Gesundheitsversorgung dort zu verbessern und zweitens, um Moons Ideen in Richtung Ausbau von Straßen- und Schienennetz über die De-Militarisierte Zone (DMZ) am 38. Breitengrad hinweg zu ermöglichen. Gegen solch versöhnliche Überlegungen regt sich bei der Kriegstreiberfraktion in Washington jedoch Widerstand. In einem Bericht, der am 15. April veröffentlicht wurde, warfen FBI, Außen-, Finanz- und sowie Heimatschutzministerium der USA Nordkorea vor, mittels ausgeklügelter Hackerangriffe sowie durch die Nutzung von Digitalwährungen wie Bitcoin im großen Stil Geld zu waschen und Firmen zu erpressen, um das internationale Wirtschaftsembargo zu umgehen und das eigene Atomwaffen- und Raketenprogramm finanzieren zu können.

Mit derlei aufgebauschten Behauptungen haben neokonservative Kreise innerhalb der Regierung George W. Bush bereits 2005 eine gelungene internationale Einigung zur Beilegung des Atomstreits mit Nordkorea torpediert. Später stellte sich bei genauerer Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) heraus, daß am spektakulären Vorwurf des Staatssekretärs im US-Finanzministerium, Stuart Levey, über die Banco Delta Asia in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Macau würden die Nordkoreaner gefälschte 100-US-Dollarnoten in Umlauf bringen, absolut nichts dran gewesen ist.

17. April 2020


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