Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

HISTORIE/319: Streit in Großbritannien um Irakkrieg dauert an (SB)


Streit in Großbritannien um Irakkrieg dauert an

Blair verbreitet weiterhin seine These vom Kampf der Kulturen



Rechtzeitig zum zehnten Jahrestag des angloamerikanischen Einmarsches in den Irak flammt der Streit in Großbritannien um das Für und Wider der militärischen Intervention zum Sturz Saddam Husseins wieder auf. Innerhalb der Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberaldemokraten ist ein Streit um einen internen Brief des Außenministeriums zu diesem Thema ausgebrochen. In dem Memorandum hatte Außenminister William Hague, wie Premierminister David Cameron von der Conservative Party, seine Kabinettskollegen darum gebeten, sich mit öffentlichen Äußerungen anläßlich des zehnten Jahrestags des Beginns des Irakkriegs zurückzuhalten. Zur Begründung verwies Hague auf die noch laufende Arbeit einer entsprechenden Untersuchungskommission unter der Leitung des Richters Sir John Chilcot und meinte, man sollte deren Ergebnis nicht vorwegnehmen.

Bei den Liberaldemokraten ist die Anregung Hagues ganz schlecht angekommen. Vor zehn Jahren haben sie im Parlament zusammen mit einigen Abweichlern aus der damals regierenden sozialdemokratischen Labour-Partei gegen eine entsprechende Kriegsermächtigung des Premierministers Tony Blair votiert. Die Abgeordneten der Tories, die dem britischen Offizierskorps nahestehen und stets für Strafexpeditionen gegen widerspenstige Geister in Übersee zu haben sind, haben ihrerseits in großer Zahl für den Einmarsch in das Zweistromland an der Seite der Streitkräfte der USA und Australiens gestimmt.

Nach fast drei Jahren in der Regierung liegen die Konservativen in allen Umfragen deutlich hinter Labour zurück. Dies hängt mit ihrer Weigerung, eine andere Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise zu geben als radikale Kürzungen staatlicher Ausgaben vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales zusammen. Wegen der Verdrossenheit vieler Briten über die Europäische Union verlieren die Konservativen zudem scharenweise Wähler an die United Kingdom Independence Party (UKIP). Bei einer Nachwahl am 28. Februar im südenglischen Bezirk Eastleigh landeten die Tories hinter den Liberaldemokraten, die den Unterhaussitz verteidigen konnten, und der UKIP auf dem dritten Platz. Inzwischen tobt bei den Konservativen eine Diskussion, ob man nicht den häufig arrogant wirkenden Cameron stürzen sollte, um mit einem anderen Spitzenkandidaten in die nächsten Parlamentswahlen zu ziehen. Als mögliche Alternative wird Boris Johnson, der sich stets volksnah gebende Bürgermeister von London, gehandelt.

Angesichts dieser Lage ist es kein Wunder, daß die Konservativen nicht öffentlich an ihre Rolle bei der Beteiligung Großbritanniens am Irakkrieg, die allgemein als das größte außenpolitische Fiasko seit der Suezkrise 1956 gehandelt wird, erinnert werden wollen. Anders sieht es bei den Liberaldemokraten aus. Sie haben damals mit ihren Zweifeln, was die Legalität der Militärintervention im Irak betrifft, und ihren Warnungen vor den katastrophalen Folgen Recht gehabt und sehen keinen Grund, warum sie rund um den zehnten Jahrestag damit hinter dem Berg halten sollten. Man geht davon aus, daß Vizepremierminister Nick Clegg, der Chef der Liberaldemokraten, ungeachtet des Briefes aus dem Außenministerium an seiner geplanten Rede am 19. März, dem Jahrestag der Irakinvasion, festhalten wird.

Das bevorstehende historische Datum hat auch die BBC veranlaßt, ein ausführliches Interview zum Irakkrieg mit Ex-Premierminister Blair zu führen. Die Sonderausgabe der renommierten Nachrichtensendung Newsnight von BBC 2 wurde am Abend des 26. Februar ausgestrahlt. Ungeachtet der Tatsache, daß Sir John Chilcot bereits vor einiger Zeit erklärt hatte, daß der damalige Standpunkt Londons, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, die beseitigt werden müßten, mit den Erkenntnissen des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 nicht in Einklang zu bringen sei, rechtfertigte Blair seinen Schulterschluß mit US-Präsident George W. Bush in der Irakfrage als die "richtige Entscheidung". Der Irakkrieg hat 179 britische Soldaten, 4487 ihrer amerikanischen Kameraden und rund eine Million Iraker das Leben gekostet. Nichtsdestotrotz hatte Blair die Unverfrorenheit zu behaupten, Saddam Hussein im Amt zu belassen wäre die schlechtere Wahl gewesen.

Unter Verweis auf den laufenden Bürgerkrieg in Syrien wartete der Ex-Labour-Parteivorsitzende, der heute als gut bezahlter Konzernberater und Sondervertreter des Nahost-Quartetts durch die Welt reist, mit dem Argument auf, Saddam Hussein sei "zwanzigmal schlimmer" als Baschar al Assad gewesen; es sei nicht auszumalen, welches Unheil das ehemalige irakische Staatsoberhaupt hätte anrichten können, wäre er heute noch in Bagdad an der Macht und versuchte, einen Volksaufstand im Zuge des "arabischen Frühlings" niederzuschlagen. Blair sprach vom Irakkrieg als Teil eines jahrzehntelangen Konflikts zwischen Barbarei/Terrorismus und Zivilisation. Hierzu zählte er auch den Bürgerkrieg in Syrien und ließ durchblicken, daß demnächst eine militärische Auseinandersetzung des Westens mit dem Iran - Stichwort "Atomstreit" - anstehen könnte.

2. März 2013