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JUSTIZ/652: NSA-Lauschangriff weit umfangreicher als angenommen (SB)


NSA-Lauschangriff weit umfangreicher als angenommen

Bericht zum "Terrorist Surveillance Program" veröffentlicht


Seit die New York Times im Dezember 2005 die Existenz eines geheimen Programms der National Security Agency (NSA) zur Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs in den USA enthüllte, bemühen sich Volksvertreter und Staatsbedienstete um Schadensbegrenzung und Vertuschung. Der damalige US-Präsident George W. Bush, der das Programm 2001 ins Leben gerufen und damit ganz klar gegen das Gesetz - nämlich das 1978 in Reaktion auf die Watergate-Affäre verfaßte Foreign Intelligence Surveillance Act - und die Verfassung der USA verstoßen hatte, rechtfertigte die illegale Maßnahme mit dem Argument, nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September müßte das Land vor weiteren "terroristischen" Bedrohungen geschützt werden, von der NSA-Operationen wären lediglich vereinzelte Personen betroffen, die vom amerikanischen Boden aus mit mutmaßlichen islamistischen Extremisten im Ausland telefonierten oder E-Mail-Kontakt unterhielten.

Nach langem, erbitterten Streit ist der Kongreß im Sommer 2008 - damals auch mit der Stimme des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Barack Obama - auf die Linie des Weißen Hauses eingeschwenkt und hat ein Gesetz verabschiedet, das nicht nur Bushs illegale Handlungen nachträglich legitimierte, sondern auch noch den am NSA-Programm beteiligten Telekomunternehmen rechtliche Immunität vor Schadensersatzklagen ihrer Kunden gewährte. Obamas Votum für das fragliche Gesetz hat nicht wenige seiner frühen Anhänger tief enttäuscht. Denn mit den Schadensersatzklagen wollten Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU), Anwaltsvereinigungen und interessierte Einzelpersonen wie der Geheimdienstexperte James Bamford eine gerichtliche Untersuchung der NSA-Operation erzwingen, von der sie annahmen und wofür es auch starke Hinweise zum Beispiel in Form der eidesstattlichen Aussage des ehemaligen AT&T-Ingenieurs Mark Klein gibt, daß sie weitaus umfangreicher ist, als von Bush behauptet.

Die Bestätigung für diesen Verdacht liefert nun ein öffentlicher Bericht, mit dessen Erstellung der Kongreß im letzten Sommer parallel mit der Verabschiedung des FISA-Novellierungsgesetzes die Generalinspekteure der NSA, der CIA, des für fast alle anderen Nachrichtendienste zuständigen Verteidigungsministeriums, des für das FBI zuständigen Justizministeriums und des Amts des für die Koordinierung aller 16 Geheimdienste zuständigen Director of National Intelligence (DNI) beauftragt hatte. Am 10. Juli wurde der Bericht endlich veröffentlicht und hätte sicherlich für größere Schlagzeilen gesorgt, wäre nicht in den US-Medien das Thema Geheimdienstmachenschaften von den jüngsten Enthüllungen der Existenz eines ebenfalls 2001 von Vizepräsident Dick Cheney - in Absprache mit Bush jun. natürlich - ins Leben gerufene Liquidierungsprogramm der CIA zur Beseitigung ausländischer "Terrorchefs" belegt gewesen.

Wie die Kritiker der Bush-Regierung von Anfang an geahnt haben, ging die Spionage der NSA im Innern über das Abfangen der Kommunikationen vereinzelter Al-Kaida-Sympathisanten in den USA weit hinaus. Im 38seitigen Bericht der fünf Generalinspekteure ist von "noch niemals dagewesenen Sammelaktivitäten" im Rahmen des "Presidential Surveillance Program" (PSP) die Rede, die jahrelang ohne richterliche Genehmigung erfolgten und nach der Verabschiedung der entsprechenden Gesetzesnovellierung durch den Kongreß und seiner Unterzeichnung im letzten Sommer durch Präsident Bush unter der Aufsicht des FISA-Gerichtes weitergingen. Aus dem Bericht geht eindeutig hervor, daß das PSP vom Umfang her das, was Bush nach der Enthüllung des sogenannten "Terrorist Surveillance Program" (TSP) durch die New York Times Ende 2005 eingeräumt hatte, um ein vielfaches übertraf.

In Reaktion auf den Bericht hat der linksliberale Senator Russ Feingold, der im Geheimdienstausschuß des Senats sitzt, die NSA-Schnüffelei im Innern als "empörend" bezeichnet und die Freigabe weiterer Dokumente gefordert, damit die Kontrollgremien des Kongresses der ganzen Sache, von der das meiste bisher im Verborgenen geblieben ist, endlich auf den Grund gehen können. "Nach diesem Bericht steht es außer Zweifel, daß das Programm der Lauschangriffe ohne richterliche Genehmigung eklatant illegal war und eine nicht-verfassungskonforme Behauptung exekutiver Gewalt darstellte. Ich rufe die Obama-Administration und ihr Justizministerium dazu auf, die mangelhaften rechtlichen Memoranden zurückzuziehen, die das Programm rechtfertigten und die noch heute in Kraft sind", so der streitbare Demokrat aus Wisconsin. Gemeint sind jene hochumstrittenen Memoranden, welche im Oktober 2001 John Yoo als Anwalt im Office of Legal Counsel (OLC) Bush vorlegte und in denen er den Standpunkt vertrat, daß es praktisch nichts gibt, was ein US-Präsident im Kriegszeiten nicht machen oder anorden darf, um die nationale Sicherheit Amerikas zu gewährleisten.

Die Forderungen Feingolds dürften im Weißen Haus Barack Obamas und im Justizministerium Eric Holders auf taube Ohren stoßen. Gerade diese beiden Institutionen versuchen seit Monaten erbittert, die Klage von Wendell Belew und Asim Ghafoor, zwei früheren Anwälten der islamischen Wohltätigkeitsvereinigung Al Haramain, die zu Überwachungsobjekten der NSA wurden, zu Fall zu bringen. 2004 hatte das Finanzministerium die in Oregon ansässige Al Haramain zu einer Organisation erklärt, die den "Terrorismus" im Nahen Osten fördere, und ihre Konten gesperrt. Seitdem existiert die Einrichtung nicht mehr. In diesem Zusammenhang kamen Belew und Ghafoor durch eine behördliche Nachlässigkeit in den Besitz eines Dokumentes, das die Details der NSA-Überwachung ihrer Telefone belegte. Am 1. September wird Richter Vaughn Walker vom Bundesbezirksgericht in San Francisco die nächste Anhörung im Fall Al Haramain gegen die US-Regierung abhalten.

Interessanterweise haben am Tag vor der Veröffentlichung des gemeinsamen Berichts der fünf Generalinspekteure zum NSA-Programm Belews und Ghafoors Anwälte Richter Walker eine neue Expertise zum Fall zukommen lassen. Darin benutzen sie ein Zitat Barack Obamas von Dezember 2007. Damals hatte der junge Senator aus Illinois, der bekanntlich Jura an der Harvard-Universität studierte, folgendes festgestellt: "Die Überwachung amerikanischer Bürger ohne richterliche Genehmigung und damit unter Mißachtung des FISA ist ungesetzlich und verfassungswidrig." Wie der Reporter Bob Egelko am 10. Juli im San Francisco Chronicle berichtete, wollen die Anwälte der Kläger Richter Walker dazu bringen, in folgender "entscheidenden Frage" ein Urteil zu fällen: "Darf der Präsident der Vereinigten Staaten im Namen der nationalen Sicherheit das Gesetz brechen?" Leider steht zu befürchten, daß Walker die Frage mit einem Ja beantworten wird.

15. Juli 2009