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JUSTIZ/678: Tony Blair wegen CIA-Folterflügen in der Bredouille (SB)


Tony Blair wegen CIA-Folterflügen in der Bredouille

Belhadschs gerichtliche Klage bringt London in Erklärungsnot



Seit dem Rücktritt nach zehn Jahren als britischer Premierminister im Juni 2007 ist Tony Blair ein vielgefragter Mann. Für seine 2010 erschienenen Memoiren bekam er vom Verlag Random House mehrere Millionen Pfund. Der frühere Parteichef der britischen Sozialdemokraten hält Vorträge in aller Welt und kassiert dafür horrende Summen. Häufig verbindet er seine Vortragsreisen mit seinem diplomatischen Amt als Sondergesandter des aus der Europäischen Union (EU), der Russischen Föderation, den Vereinten Nationen (UN) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) bestehenden Nahost-Quartetts. Vor dem Hintergrund des Stillstands im sogenannten Friedensprozeß zwischen Israelis und Palästinensern fällt Blair in letzter Zeit weniger durch Vermittlungen zwischen Ramallah und Tel Aviv als durch die Forderung nach einem konfrontativeren Umgang der westlichen Großmächte mit Syrien und dem Iran auf.

Vermutlich prescht Blair in Sachen Syrien und Iran deshalb ständig nach vorne, weil ihn die eigene Vergangenheit und seine Verantwortung für die Spannungen zwischen dem Westen und Teilen der islamischen Welt einzuholen droht. Er ist derjenige, der nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 die Meinung vertrat, die NATO müsse "die Welt neu ordnen" und dementsprechend britische Truppen im Oktober desselben Jahres nach Afghanistan entsandte, wo sie bis heute gegen die Taliban kämpfen. Seine Entscheidung für eine Teilnahme an der illegalen Irak-Invasion der USA im März 2003 ist bis heute hochumstritten und gilt bei den meisten Briten als größte außenpolitische Fehlentscheidung Londons seit der Suezkrise 1956. Im Gegenzug wird Blair jedoch von den kriegstreibenden Neokonservativen in den USA als größter britischer Staatsmann seit Winston Churchill gefeiert.

Dieser Tage sieht sich Blair mit einer unschönen Kontroverse um seine frühere Libyen-Politik konfrontiert, die für ihn und seinen damaligen Außenminister Jack Straw, wenn nicht unbedingt zu schweren rechtlichen Konsequenzen, so doch zumindest zu peinlichen Auftritten vor Gericht führen könnte. Dabei geht es um die Verschleppung und Folterung des libyschen Dissidenten Abdel Hakim Belhadsch im Jahr 2004. Dieser wurde angeblich nach einem Tip des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 in Malaysia von CIA-Agenten entführt und nach einem Zwischenstopp auf dem US-Militärstützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean nach Libyen überführt, wo ihn Vernehmungsspezialisten Muammar Gaddhafis in die Mangel genommen haben. Wegen der Rolle des MI6, der dem britischen Außenministerium unterstellt ist, an seinem jahrelangen Martyrium hat Belhadsch vor wenigen Wochen beim High Court in London Anzeige gegen Straw erstattet. Diesem droht nun eine Klage wegen Verstoßes gegen das Folterverbot der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtscharta. Straw weist alle Vorwürfe von sich, während Blair behauptet, keinerlei Erinnerung an die Angelegenheit zu haben, und damit suggeriert, daß das Ganze nicht in seiner Zuständigkeit gelegen hätte. Wegen der drohenden politischen Rufschädigung Großbritanniens strebt die konservativ-liberale Koalitionsregierung David Camerons eine außergerichtliche Einigung mit Belhadsch an. Falls er seine Anzeige zurücknimmt, hat ihm London ein Schmerzensgeld über eine Million Pfund angeboten. Bisher hat der Libyer nicht angebissen.

Mit dem Fall Belhadsch wird klar, warum in Verbindung mit der britischen Außenpolitik die "Perfidie Albions" bereits vor Jahrhunderten auf dem europäischen Festland zum geflügelten Wort geworden ist. 1996 hat der MI6 für 160.000 Dollar ein Attentat der Libyen Islamic Fighters Group (LIFG), zu der Belhadsch gehörte und die als Teil von Osama Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" galt, auf Muammar Gaddhafi finanziert. Doch der Überfall auf einen Autokonvoi Gaddhafis in seiner Heimatstadt Sirtre schlug fehl. Anstelle des libyschen Revolutionsführers kamen bei dem westlich initiierten "Terroranschlag" mehrere Leibwächter und Zivilisten ums Leben. Als der Ex-MI5-Agent David Shayler 1998 - da war Blair bereits seit einem Jahr Regierungschef - das Komplott und die Zusammenarbeit Londons mit Al Kaida enthüllte, war dies ein ungeheurer Skandal, den die britischen Behörden nur dank des offiziellen Geheimnisschutzgesetzes, das ein Verbot der Berichterstattung über sensible Staatsangelegenheiten vorsieht, einigermaßen unter den Teppich kehren konnten.

Ende 2003 entschied sich Gaddhafi - angesichts des gewaltsamen Sturzes Saddam Husseins durch die Angloamerikaner -, sich von seinem Atomprogramm und biologischen und chemischen Waffenarsenal zu trennen. 2004‍ ‍reiste Blair extra nach Libyen und besuchte Gaddhafi sogar in seinem Zelt in der Wüste, um die Rückkehr Libyens in die "internationale Gemeinschaft" demonstrativ zu unterstreichen. Während London und Tripolis größere Handelsabkommen schlossen, ließ der MI6 die früheren Hilfswilligen von der LIFG einfach fallen. Die libyschen Geheimdienste wurden als kenntnisreiche Mitstreiter im "globalen Antiterrorkrieg" willkommen geheißen. In jene Phase fiel die "außergewöhnliche Überstellung", will heißen der CIA-"Folterflug", Belhadschs von Malaysia nach Libyen. Erst 2009 nach der Absage an den bewaffneten Kampf wurden er und andere islamische Militante von Gaddhafi begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen.

Als es im Frühjahr 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings auch zu Protesten gegen die Regierung in Libyen kam, standen die Afghanistankriegsveteranen und die Ex-LIFG-Kämpfer wieder in der vordersten Reihe. Mithilfe ihrer früheren Freunde/Feinde vom MI6 und den britischen Spezialstreitkräften destabilisierten die Anti-Gaddhafi-Milizionäre Libyen derart, daß sich die NATO zum Eingreifen gezwungen sah. Nach monatelangen Kämpfen konnte im letzten Herbst der "Regimewechsel" in Tripolis vollzogen und Gaddhafi, der aufgrund seiner Widerspenstigkeit dem Westen mehr als vier Jahrzehnte lang ein Dorn im Auge war, eliminiert werden. Inzwischen soll eine unbekannte Anzahl von Belhadschs Männern in Syrien sein, wo sie angeblich zusammen mit britischen Militärberatern die Moslembruderschaft im Kampf gegen die Truppen Baschar Al Assads unterstützen - Selbstmordattentate und schwere Autobombenanschläge inbegriffen. So gesehen wäre es begrüßenswert, wenn die Klage Belhadschs gegen Straw vor einem britischen Schöffengericht verhandelt würde. Ob es jedoch zu einem aufschlußreichen Einblick in die Niederungen britischer bzw. westlicher Nahost-Politik kommt, ist derzeit unklar. Wahrscheinlich werden alle Beteiligten einen weiteren krummen Deal machen, um die Sache aus der Welt bzw. Öffentlichkeit zu schaffen.

24.‍ ‍April 2012