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JUSTIZ/680: US-Anwältin bleibt wegen "Terrorhilfe" im Gefängnis (SB)


US-Anwältin bleibt wegen "Terrorhilfe" im Gefängnis

Lynne Stewarts Schicksal soll als abschreckendes Beispiel dienen



Am 28. Juni hat ein Bundesberufungsgericht in den USA die zehnjährige Freiheitsstrafe für die Menschenrechtsanwältin Lynne Stewart für rechtens befunden. 2005 war Stewart von einem Bundesgericht in New York für schuldig gesprochen worden, ihrem Mandanten, den verurteilten "Terroristen" Scheich Omar Abdel Rahman, dabei geholfen zu haben, mit seinen Anhängern in Ägypten zu kommunizieren. 2006 wurde sie vom zuständigen Richter John Koetl hierfür zu 28 Monate hinter Gitter verurteilt. Doch Justizministerium und Staatsanwaltschaft, die 30 Jahre verlangt hatten, gingen wegen des angeblich zu geringen Strafmaßes in die Revision. 2009 hat das Bundesberufungsgericht den Klägern Recht gegeben, Stewarts Kaution aufgehoben, sie ins Gefängnis stecken lassen und den Fall an das Bundesgericht in New York zurückverwiesen, damit ein höheres Strafmaß gefunden werden konnte. 2010 ist Koetl der Anweisung gefolgt und hat die Strafe von 28 auf 120 Monate erhöht. Für die fast 73jährige Stewart, die sich gerade von einer Krebserkrankung erholt, kommt dies einem lebenslangen Freiheitsentzug gleich.

Wie nicht anders zu erwarten wäre, hat nun das Bundesberufungsgericht die geforderte Erhöhung des Strafmaßes nicht nur für unbedenklich erklärt, sondern in der Urteilsbegründung seine große Zufriedenheit mit der Entscheidung Koetls zum Ausdruck gebracht. Nach dem ersten Urteil hatte Stewart gegenüber den Medien erklärt, sie habe lediglich das Beste für ihren Mandanten tun wollen und würde dasselbe wieder tun. Über die zweijährige Freiheitsstrafe machte sie sich damals mit der Bemerkung lustig, die Zeit könnte sie sogar "auf dem Kopf stehend" absitzen. Deswegen argumentierten Stewarts Anwälte, die Erhöhung des Strafmaßes sei in Reaktion auf diese Äußerungen erfolgt und stelle einen unzulässigen Angriff auf die Meinungsfreiheit ihrer Mandantin dar, weshalb das Urteil aufgehoben werden müsse. Für die Einwände der Verteidigung hatten die für die drakonische Strafe verantwortlichen drei Richter des Bundesberufungsgerichts nicht das leiseste Verständnis.

In ihrem Urteil warfen die Richter Stewart Uneinsichtigkeit vor. "Ab dem Moment, als sie die Handlung vollbrachte, weswegen sie verurteilt wurde, während des Prozesses, der Urteilsverkündung und im Berufungsverfahren hat Stewart fortdauernd eine starke Unfähigkeit an den Tag gelegt, die Schwere ihrer Verbrechen zu verstehen", schrieb Richter Robert Sack. Er fügte hinzu, Stewart hätte bis heute "die Bandbreite und die Tiefe der Gefahr ihrer Taten", mit denen sie "das Leben und die Sicherheit unbekannter Unschuldiger aufs Spiel setzte, und das Ausmaß, mit dem sie das Vertrauen und die Privilegien eines Mitglieds der Anwaltschaft mißbrauchte", nicht begriffen.

In einem Artikel des Schattenblick vom 19. Juli 2010 wurden die Hintergründe des Stewart-Falls wie folgt erläutert:

1995 hatte Stewart gegen den Rat ihrer Freunde den Fall Abdel Rahman übernommen, der damals unter Anklage stand, mit Gleichgesinnten Bombenanschläge auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen, die George Washington Bridge sowie die Holland- und Lincoln-Tunnel in New York geplant zu haben. Wegen seiner Rolle bei dem Komplott wurde das Führungsmitglied der ägyptischen Moslembruderschaft, das in den achtziger Jahren der CIA bei der Rekrutierung jüngerer Araber für den Kampf der Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee in Afghanistan geholfen hatte und von ihr unter mysteriösen Umständen in die USA geholt worden war, zu lebenslanger Freiheitsstrafe plus 65 Jahre verurteilt. Seitdem sitzt der blinde Scheich in einem Hochsicherheitstrakt in Rochester, Minnesota, wo der Kontakt zwischen ihm und der Außenwelt drakonischen Restriktionen unterliegt.
Im Mai 2000 hat Stewart gegen diese Sonderregeln verstoßen, als sie nach einem Treffen mit Rahman einen Brief von ihm der Gama'a al-Islamijja (Islamische Gruppe) in Ägypten zukommen ließ. Einen Monat später hat sie einem Journalisten in Kairo telefonisch eine Botschaft Abdel Rahmans für die Gama'a al-Islamijja zukommen lassen. Darin zog der Scheich seine Unterstützung für den Waffenstillstand zurück, den Ägyptens militante Islamisten angesichts der weltweiten Empörung nach ihrem Massaker von 62 Touristen in Luxor im Jahre 1997 verkündet hatten. Trotz der Nachricht Omar Rahmans hält die Gama'a al-Islamijja bis heute ihren Waffenstillstand ein.
Obwohl die eigentliche Tat unter die Amtszeit Bill Clintons fiel, hielt dessen Regierung sie für zu geringfügig, als daß man daraus ein Riesending machen sollte. Doch wie wir wissen, weil George Bush jun. niemals müde wurde, es uns zu erzählen, haben die Anschläge auf das Pentagon und die WTC-Zwillingstürme "alles verändert". Acht Monate nach den schockierenden und weltbewegenden Ereignissen von New York, Arlington und Shanksville, Pennsylvania, wurde Stewart die erste Anwältin, die nach den neuen Antiterrorgesetzen - auch USA-PATRIOT Act genannt - angeklagt wurde. Vor Gericht räumte Stewart ein, einzelne Mitteilungen Abdel Rahmans an die Außenwelt weitergeleitet zu haben, und begründete ihr Handeln mit dem Wunsch, die öffentliche Diskussion in Ägypten zwischen den Islamisten und der Regierung Hosni Mubaraks beleben zu wollen, damit ihr politischer Streit friedlich beigelegt werden könne. Für Stewart war ihr Einsatz für ihren Mandanten und der Versuch, ihm Öffentlichkeit zu verschaffen, ein selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit als Menschenrechtsanwältin. Anwälte, die einen solchen Berufsethos hochhalten, sind offenbar nicht mehr gewünscht.

In einem Interview, das am 21. November in Berlin geführt und am 8. Dezember desselben Jahres online veröffentlicht wurde, [1] hatte der Schattenblick Michael Ratner, den Vorsitzenden des New Yorker Center for Constitutional Rights (CCR), um seine Einschätzung der Bedeutung der gerichtlichen Verfolgung seiner Freundin Stewart, die er aus gemeinsamer Tagen bei der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre in den USA kennt, gebeten. Er antwortete wie folgt:

Ich weiß noch, wie ich damals, als Lynne 2006 verurteilt wurde, sagte, daß dies Anwälte abschrecken könnte, die ansonsten bereit wären, die unpopulärsten Fälle in den USA zu übernehmen. Und jetzt, da Lynne ihre Berufung verloren hat und tatsächlich ins Gefängnis muß, bewahrheiten sich meine Befürchtungen. Anwälte, die dazu verpflichtet sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, über ihre Mandanten zu sprechen, sie mit allem, was sie haben, zu verteidigen, werden jetzt durch das, was mit Lynne geschehen ist, eingeschüchtert. ... Sie ist eine Frau von siebzig Jahren, im besten Sinne eine Anwältin des Volkes, wie ich meine, nicht nur in Fällen von Bedeutung wie dem von Scheich Abdel Rahman. Über die Jahre sind Hunderte armer Leute von Lynne Stewart vertreten worden, und das Verfahren gegen sie als irgendeine Art Terrorhelferin spricht der Gerechtigkeit Hohn.
Besonders empörend an diesem Fall ist die Tatsache, daß sich der Vorfall, aufgrund dessen man sie angeklagt und verurteilt hat - also daß sie das, was man als Special Administrative Measures bezeichnet, im Umgang mit ihrem Mandanten verletzt hat -, bereits im Jahr 2000 ereignet hat. Zu der Zeit hat Präsident Bill Clintons Justizministerin Janet Reno dieses Vergehen als nicht schwerwiegend genug für eine Strafverfolgung bewertet. Auf Seiten von Lynne hat es nie die Befürchtung gegeben, daß man sie für die Weitergabe von Botschaften ihres Mandanten an die Außenwelt anklagen könnte. Sie ist so weit gegangen, wie engagierte Anwälte es immer tun, wenn sie nicht von einer selbstherrlichen Regierung vollständig geknebelt werden wollen. Ich denke, das Schlimmste, was sie erwartet hat, war, daß man ihr vielleicht verbietet, ihren Mandanten zu besuchen. Kein Anwalt, den ich kenne, hätte für das, was da geschehen ist, eine Anklage erwartet.
Nach dem 11. September haben jedoch Bush und sein damaliger Außenminister, John Ashcroft, zwei Dinge beschlossen: erstens zu versuchen den Eindruck zu erwecken, daß es Terroristen in den USA gibt, zweitens Anwälten das Leben schwer zu machen, welche die Frechheit besitzen, jemanden, der unter Terrorverdacht steht oder deswegen verurteilt wurde, juristisch zu vertreten. Das hat dazu geführt, daß Lynne für etwas angeklagt worden ist, das über zwei Jahre zuvor stattgefunden hatte. Es ist also ein hochpolitischer Fall. Das wurde dadurch demonstriert, daß Ashcroft eigens nach New York flog, um die Anklage gegen Lynne Stewart wegen "Beihilfe zum Terrorismus" zu verkünden und am selben Abend in der David-Letterman-Show aufzutreten und der amerikanischen Öffentlichkeit zu erzählen, was für eine großartige Arbeit er und Bush zum Schutz der Heimat leisteten.

Interessanterweise hat vor wenigen Tagen Ägyptens neuer Präsident Mohamed Morsi von der Moslembruderschaft den Fall Abdel Rahmans aufgegriffen. Am Vorabend seiner Amtseinführung hat Morsi bei einem Auftritt auf dem Tahrirplatz in Kairo vor Hunderttausenden jubelnder Anhänger versprochen, sich für diejenigen ägyptischen Oppositionellen einzusetzen, die während der Militärdiktatur Hosni Mubaraks weggesperrt wurden und immer noch im Kerker darben. Im Rahmen der im ägyptischen Fernsehen live übertragenen, historischen Rede erklärte Morsi von der Bühne aus wörtlich: "Ich sehe Transparenten für die Familie von Omar Abdel Rahmans und für die Gefangenen, die von Militärgerichten verurteilt wurden, sowie für die Inhaftierten aus den Anfangstagen der Revolution. Es ist meine Pflicht und ich werde mir gleich ab morgen alle Mühe geben, sie freizubekommen, unter ihnen Abdel Rahman."

Der rhetorische Einsatz des neuen ägyptischen Staatsoberhaupts für den verurteilten "Topterroristen" ist in den USA sehr negativ aufgenommen worden. In einem Bericht der New York Times vom 30. Juni wurde ein Sprecher der ägyptischen Moslembruderchaft dahingehend zitiert, Morsi habe Abdel Rahman weder zu einem politischen Gefangenen erklärt, noch die Aufhebung des Urteils gegen ihn gefordert. Morsi wolle sich lediglich bei der Regierung in Washington um die Überstellung des blinden, inzwischen 79 Jahre alten Scheichs nach Ägypten aus humanitären Gründen bemühen, damit er in seinem Heimatland seine Reststrafe absitzen könne. Gegenüber der New York Times erklärte ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Regierung Barack Obama die Äußerung Morsis für "leeres Gerede" und machte klar, es gebe "null Chancen", daß sich Washington auf eine entsprechende Bitte aus Kairo einlassen werde. Ebenso gering sind die Chancen einzustufen, daß Lynne Stewart, sollten sich ihre Anwälte für einen Gang vor dem Obersten Gerichtshof entscheiden, Gnade erfährt.

Fußnote:

1. http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0031.html

3. Juli 2012