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JUSTIZ/684: Großbritannien richtet Geheimgerichte ein (SB)


Großbritannien richtet Geheimgerichte ein

Cameron und Clegg vollenden das Werk von Blair und Straw



In Großbritannien kehren mehrere prominente Mitglieder der Liberaldemokratischen Partei den Rücken. Der Grund dafür ist die Empörung über die Verabschiedung des umstrittenen Justice and Security Bill 2012-2013. Der Gesetzentwurf, der demnächst das Oberhaus passieren dürfte, sieht die Einberufung von Geheimgerichten in zivilrechtlichen Fällen vor, in denen die Regierung die "nationale Sicherheit" des Vereinigten Königreichs geltend macht. Bei der Abstimmung nach der dritten und letzten Lesung am 4. März im Unterhaus haben alle liberaldemokratischen Abgeordneten bis auf sieben für das Gesetzespaket gestimmt. Ihre Stimmen zusammen mit denjenigen ihrer konservativen Kollegen, mit denen sie seit 2010 eine Koalitionsregierung bilden, sowie einiger Abweichler der sozialdemokratischen Labour Party haben für die nötige Mehrheit gesorgt. Und das ungeachtet der Tatsache, daß die liberaldemokratischen Mitglieder bei einem Sonderparteitag im Frühjahr 2012 mit überwältigender Mehrheit gegen den Gesetzentwurf votiert hatten. Kritiker werfen der Führung um Parteichef und Vizepremierminister Nick Clegg nun vor, sich der Staatsräson und dem Willen der Konservativen um Premierminister David Cameron gebeugt und somit die wichtigsten Grundsätze der eigenen politischen Philosophie geopfert zu haben.

Hintergrund des neuen Gesetzes ist der anhaltende Skandal um die Verwicklung der britischen Regierung und ihrer Inlands- und Auslandsgeheimdienste MI5 und MI6 in die Verschleppung und Folterung von "Terrorverdächtigen" durch die CIA. Sechzehn britische Muslime, die in den ersten Jahren nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan, Pakistan und anderswo als mutmaßliche "Terroristen" verschleppt und entweder in dem Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba, irgendwelchen "black sites" der CIA außerhalb der USA oder den Kerkern damals Washingtonfreundlicher "Regime" im Nahen Osten, wie derjenigen Muammar Gaddhafis in Libyen oder Hosni Mubaraks in Ägypten, gelandet sind, haben nach ihrer Freilassung auf Schadensersatz geklagt und London in schwere Erklärungsnot gebracht. Die zuständigen Richter haben die massive Verletzung der Menschenrechte dieser Personen - prominentestes Beispiel Binyam Mohammed - anerkannt und sich den Anträgen der Behörden, die Klagen abzuweisen, widersetzt. Statt dessen haben sie von den verschiedenen Behörden und Ministerien alle betreffenden Unterlagen eingefordert und die Personen, die in diese Fälle verwickelt waren, als Zeugen vorgeladen.

Gegen die Haltung der Richter hat sich die Regierung Tony Blairs damals energisch, aber erfolglos gewehrt. Das Argument, man dürfe die fraglichen Unterlagen dem Gericht nicht offenlegen, weil dadurch die Vertraulichkeit geheimdienstlicher Erkenntnisse befreundeter Staaten - vornehmlich der USA - nicht gewahrt bliebe, ließen die Richter nicht gelten. Um die Angelegenheit so schnell wie möglich unter den Teppich zu kehren und langwierige Prozesse zu vermeiden, hat sich die Regierung mit den Betroffenen außergerichtlich geeinigt und hohe Schadensersatzsummen von jeweils rund eineinhalb Millionen Euro an sie gezahlt. Damit sich derartige Dinge künftig nicht wiederholen, hat Cameron nach dem Regierungswechsel keinen Geringeren als Kenneth Clarke, einst unter Margaret Thatcher Minister für Bildung und Gesundheit sowie unter John Major Finanzminister, zum Minister für besondere Aufgaben ernannt und ihn mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzes beauftragt. Das Ergebnis ist der Justice and Security Bill 2012-2013.

Die Befürworter des Gesetzesentwurfes rühmen sich damit, daß MI5 und MI6 künftig zur umfassenderen Auskunft gegenüber dem Geheimdienstausschuß des Unterhauses verpflichtet wären. Ob das Parlament dadurch tatsächlich einen größeren Einblick in die Aktivitäten der Geheimdienste erhält, wie es Sir Malcolm Rifkind, einst Außen- und Verteidigungsminister unter John Major und derzeit konservativer Vorsitzender des Intelligence and Security Committee (ISC), am 4. März in einem Gastbeitrag für die liberale Tageszeitung Guardian behauptete, steht zu bezweifeln. Eher ist damit zu rechnen, daß sich die Ausschußleitung und die verantwortlichen Regierungsbeamten gegenseitig die Bälle zuspielen werden, damit Unappetitliches nicht an die Öffentlichkeit gelangt.

In Großbritannien durfte vertrauliches Material der Geheimdienste bisher nur in komplizierten Einwanderungsfällen unter Ausschluß der Öffentlichkeit sowie der Anwälte der Verteidigung dem zuständigen Richter vorgelegt werden. Mit dem neuen Gesetz soll diese Praxis erheblich ausgeweitet werden. Menschenrechtsorganisationen wie Liberty und Amnesty International befürchten, daß die Einberufung von Geheimgerichten in Fällen mit Verdacht auf staatliche Willkür zur Standardpraxis wird. In einem am 9. März bei der World Socialist Web Site erschienenen Artikel machte Jean Shaoul unter Verweis auf die kritische Studie "Neither Just nor Secure" des konservativen Unterhausabgeordneten Andrew Tyrie und des Kronanwalts Anthony Peto darauf aufmerksam, daß in britischen Zivilverfahren künftig die Geheimhaltung angewandt werden könnte, um Nachfragen von Investigativjournalisten zu vereiteln, Proteste verbieten oder begrenzen zu lassen, Leute daran zu hindern, ihr nach dem Proceeds-of-Crime-Gesetz beschlagnahmtes Eigentum zurückzufordern und die Klagen im Dienst wegen mangelhafter Ausrüstung verletzter Militärangehöriger gegen das Londoner Verteidigungsministerium abzuweisen.

Die Cameron-Clegg-Regierung begründet das neue Gesetz auch damit, daß der britische Staat künftig Geld einsparen werde, wenn nicht mehr derart horrende Entschädigungszahlungen geleistet werden müßten wie im Fall der verschleppten Moslems. Kritiker führen dagegen die zu erwartenden hohen Kosten der Geheimgerichte ins Feld. Hinzu kommt, daß die Geschädigten in solchen Fällen in erster Linie nicht finanzielle, sondern moralische Wiedergutmachung fordern. So hat beispielsweise der libysche Politiker und ehemalige Guerillakämpfer Abdel Hakim Belhaj, der 2004 in Bangkok zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern festgenommen und anschließend von der CIA an die Folterschergen Gaddhafis ausgeliefert wurde, vor wenigen Tagen angeboten, seine Schadensersatzklage in Höhe von 2,2 Millionen Pfund, umgerechnet 3,8 Millionen Euro, gegen den britischen Staat fallenzulassen. Im Gegenzug verlangt Belhaj lediglich, daß sich die damals Verantwortlichen, Blairs Außenminister Jack Straw und Mark Allen, einst Leiter der Anti-Terror-Abteilung beim MI6, dafür förmlich bei ihm entschuldigen, daß sie und ihre Untergebenen bei seiner Verschleppung und Folterung in Libyen mitgewirkt hatten.

Auf eine Entschuldigung von Straw wird Belhaj vermutlich lange warten müssen. Der Labour-Politiker hat als einer der wenigen Abgeordneten seiner Partei für das neue Geheimhaltungsgesetz gestimmt. Das überrascht nicht sonderlich. Schließlich hatte Straw im Dezember 2005, als der Skandal über eine mögliche britische Beteiligung an den CIA- Folterflügen aufkam, die Öffentlichkeit mit gespielter Empörung in die Irre zu führen versucht. Bei einem Auftritt im Parlament wies er damals den Verdacht, daß er und andere Regierungsbeamte ihre britischen Mitbürger belügen würden, als "Verschwörungstheorie" weit von sich und behauptete, daß der Vorwurf, das Vereinigte Königreich sei in die Verschleppung von "Terrorverdächtigen" verwickelt gewesen, "jeder Grundlage" entbehre. Drei Jahre später mußte David Miliband, Straws Nachfolger als Außenminister in der Labour-Regierung, öffentlich die Unwahrheit jener Stellungnahme einräumen.

13. Februar 2013