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LATEINAMERIKA/2159: Hungerrevolte auf Guadeloupe und Martinique (SB)


Massenprotest gegen Teuerung und Machteliten eskaliert


Auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe und Martinique droht eine Hungerrevolte. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und wesentlich höherer Preise für Nahrungsmittel oder Benzin als im Mutterland mobilisieren die Gewerkschaften zum Protest gegen Unternehmen und Geschäftsleute. Der Unmut der Bevölkerung richtet sich dabei auch gegen die Machtverteilung, da die Eliten zumeist Nachkommen früherer Sklavenhändler oder Einwanderer aus Festland-Frankreich sind. Die Protestbewegung weitet sich zusehends aus: Auf Martinique gingen Anfang der Woche rund 10.000 Menschen gegen die Teuerung auf die Straße und der wochenlange Generalstreik auf Guadeloupe eskaliert mittlerweile in schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Im Zuge nächtlicher Auseinandersetzungen errichteten Demonstranten Barrikaden auf wichtigen Straßenverbindungen und steckten sie in Brand, während die näherrückende Polizei mit Steinen beworfen wurde, die ihrerseits Tränengas einsetzte. Nach Angaben der linksgerichteten Partei NPA wurden mehrere Streikende verletzt, darunter auch der Gewerkschaftsführer Alex Lollia. Die Behörden sprachen von 50 Festnahmen. Die Protestbewegung erschöpfe sich keineswegs, sondern weite sich aus, erklärte die Dachorganisation LKP, die den Generalstreik anführt. Offenbar wolle Frankreich Einwohner der Insel töten, hieß es angesichts der Verstärkung der Polizei durch Einsatzkräfte aus dem europäischen Mutterland.

"Wir stehen am Rande des Aufruhrs", warnte der Präsident des Regionalrates von Guadeloupe, Victorin Lurel, im Sender France Info. "Wir haben eine politische und institutionelle Krise, es droht eine Radikalisierung des Konflikts." In der Tat sind bislang alle Vermittlungsbemühungen der französischen Regierung zwischen der überwiegend schwarzen Bevölkerung und den vorwiegend weißen Unternehmern gescheitert. Staatspräsident Nicolas Sarkozy berief Vertreter des Überseedepartements zu einem Krisentreffen in den Elysée-Palast.

Während die Demonstranten deutlich höhere Löhne fordern, lehnen dies die Unternehmer ab, wobei auch die Regierung in Paris jede finanzielle Unterstützung verweigert. Der Staatssekretär für die Überseegebiete, Yves Jégo, plädiert nach wie vor für Verhandlungen unter den Sozialpartnern, wobei er wegen seines bislang gescheiterten Krisenmanagements bereits von Sarkozy gerügt wurde.

Seit vier Wochen sind in Guadeloupe Geschäfte, Tankstellen und Schulen geschlossen. Das öffentliche Leben steht weitgehend still, da sich die Einwohner dem Protest in großer Zahl anschließen. Inzwischen wurde auch der Verkehr am Flughafen Point-à-Pitre eingestellt. Angesichts der angespannten Lage haben etwa 10.000 Touristen ihre Ferienbuchungen auf beiden Inseln storniert, womit deren wichtigste Einnahmequelle ausfällt. Etliche Hotels teilten inzwischen mit, sie könnten wegen des Ausstands keine Gäste mehr aufnehmen. Die Regierung versucht unterdessen, sich mit Reiseveranstaltern und Fluggesellschaften dahingehend abzusprechen, daß Touristen ihre Reisen auf einen späteren Zeitpunkt umbuchen können. Der Hotelverband bezeichnete die Lage als katastrophal, da die um diese Zeit für gewöhnlich nahezu ausgebuchten Hotels gegenwärtig bis zu 80 Prozent leerstünden. Wie der französische Staatssekretär für Tourismus, Hervé Novelli, mitteilte, werde der Verlust für die Reisebranche mehr als zehn Millionen Euro betragen.

Ein Ende des Konflikts ist derzeit nicht abzusehen, da die Dachorganisation LKP auf Guadeloupe gegenwärtig überhaupt keine Verhandlungen führt und die Gespräche auf der Nachbarinsel ergebnislos abgebrochen wurden. Während die Mehrheit der Bevölkerung kaum noch weiß, wie sie angesichts steigender Kosten über die Runden kommen soll, hat die Gegenseite bislang nichts geboten als Ausflüchte und Verzögerungsmanöver. Nun steht zu befürchten, daß die Regierung in Paris auf eine gewaltsame Niederschlagung des Protests setzt.

Die Inselgruppe Guadeloupe gehört ebenso wie die Schwesterinsel Martinique zu den Antillen, deren ursprüngliche Bewohner im Zuge der spanischen Kolonisierung vollständig ausgerottet wurden. Heute lebt dort eine ethnisch gemischte Bevölkerung aus Nachfahren der aus Afrika verschleppten Sklaven sowie Weißen und Indern, die als Arbeitskräfte geholt wurden. Neben dem Tourismus ist der Anbau von Bananen und Zuckerrohr der wichtigste Wirtschaftszweig. Guadeloupe gehört seit 1635 zu Frankreich und wurde 1946 ebenso wie Martinique zu einem französischen Überseedepartement mit gleichen Rechten für die Bürger wie im europäischen Mutterland. Wie die anderen Überseegebiete Frankreichs sind die karibischen Inseln Teil der Europäischen Union und der Euro-Zone.

18. Februar 2009