Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2167: El Salvador wählt einen neuen Präsidenten (SB)


Vorsprung des Kandidaten der FMLN offenbar geschrumpft


Am Sonntag wird in El Salvador ein neuer Präsident gewählt. Nachdem der Kandidat der früheren Guerillapartei Front Farabundo Martí für die Nationale Befreiung (FMLN), Mauricio Funes, in Umfragen lange klar in Führung gelegen hatte, zeichnet sich nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem früheren Polizeichef Rodrigo Avila ab, der für die regierende Nationale Republikanische Allianz (ARENA) die Kontinuität des Machterhalts sicherstellen soll. Um den erdrutschartigen Verlust ihrer unangefochtenen Dominanz zu bremsen, hat der politische Arm der fest verankerten reaktionären Eliten des Landes wie stets in der Vergangenheit auf Hetzkampagnen in den Medien zurückgegriffen, um seine Gegner zu diffamieren.

Mitte Januar erzielte die FMLN bei den Parlaments- und Kommunalwahlen einen klaren Sieg und brachte damit die von Anhängern der früheren Militärdiktatur gegründete ARENA ins Wanken, die El Salvador seit Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1992 durchgängig regiert hatte. Während die FMLN auf Landesebene rund 43 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte, entfielen auf ARENA nur 38 Prozent. Auch aus den Kommunalwahlen ging die Linke als Siegerin hervor, wobei sie jedoch entgegen dem landesweiten Trend das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt San Salvador knapp an den ARENA-Kandidaten Norman Quijano verlor, der Violeta Mejía ablöste, die diesen Posten seit 1997 bekleidet hatte.

Nach diesem deutlichen Linksruck erwartet man die bevorstehende Präsidentschaftswahl mit besonderer Spannung, da sie als noch deutlicheres Signal der aktuellen Mehrheitsmeinung gewertet wird. Seit Beendigung des zwölfjährigen blutigen Bürgerkriegs durch das Friedensabkommen von 1992 zwischen der Regierung und der Guerilla haben stets Präsidenten der ARENA-Partei das Land regiert, wobei Amtsinhaber Elías Antonio Saca gemäß der Verfassung nicht noch einmal kandidieren darf. Wird der 49 Jahre alte populäre Fernsehjournalist Mauricio Funes sein Nachfolger, welcher der FMLN erst ein gutes halbes Jahr angehört und den sozialdemokratischen Flügel der FMLN repräsentiert? Oder kann Rodrigo Avila dank der massiven Propaganda im Wahlkampf den Rückstand am Ende noch wettmachen und verhindern, daß El Salvador dem politischen Trend der meisten Länder Lateinamerikas folgt?

Auch dieser erbittert geführte Wahlkampf ließ Erinnerungen an den Bürgerkrieg wachwerden, bei dem Schätzungen zufolge in den Auseinandersetzungen zwischen der von Washington unterstützten Regierung und den linksgerichteten Rebellen zwischen 1980 und 1992 etwa 75.000 Menschen getötet und eineinhalb Millionen zu Flüchtlingen wurden. Während ARENA seinerzeit nicht nur die regulären Streitkräfte gegen die Guerilla ins Feld schickte, sondern auch mit den Mordtaten der Todesschwadrone in Verbindung stand, kämpfte die FMLN für eine politische und soziale Umwälzung in dem mittelamerikanischen Land. Nach dem Friedensabkommen von 1992 wurde die FMLN eine legale politische Partei, die heute im Kongreß die größte Fraktion stellt.

Die Rivalität dieser beiden parteipolitischen Lager spiegelt eine tief gespaltene Gesellschaft wider, in der die in Armut lebende Bevölkerungsmehrheit samt allen Bewegungen und Organisationen, die sich soziale Veränderungen zugunsten dieser Menschen auf ihre Fahnen geschrieben haben, von den traditionellen Eliten damals wie heute in die Schranken gewiesen werden. Wenngleich keine Seite den Bürgerkrieg eindeutig zu ihren Gunsten entscheiden konnte, kam der Friedensschluß letztlich einer Niederlage der Rebellen gleich.

Nach wie vor sitzen Oligarchen, Unternehmer, Bankiers und Militärs fest im Sattel, tyrannisieren paramilitärisch organisierte Trupps politische Gegner bis hin zu Folter, Entführung und Mord. Etwa ein Drittel der Einwohner El Salvadors hat im Schnitt nicht mehr als einen Dollar am Tag zum Leben, wobei insbesondere der Verfall der Kaffeepreise auf dem Weltmarkt zahllose kleinbäuerliche Existenzen vernichtet hat. Hunderttausende haben im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte das Land auf der Flucht vor bitterer Armut und gewaltsamen Auseinandersetzungen verlassen.

Schon bei früheren Präsidentschaftswahlen konzentrierte sich die Verleumdungskampagne gegen die FMLN auf jeweils aktuelle Reizthemen. So warf man der ehemaligen Guerillapartei vor, sie werde in El Salvador eine "kommunistische Diktatur" errichten und sich die USA zum Feind machen. Ihre Kandidaten seien "Entführer und Terroristen" und sie finanziere kriminelle Jugendbanden. Letzteres war eine besonders schwere Bezichtigung, da diese Banden in Ländern wie Honduras und El Salvador zeitweise zur größten Bedrohung der nationalen Sicherheit erklärt und mit Sondergesetzen bekämpft wurden. So verabschiedete man unter Präsident Francisco Flores im Oktober 2003 ein Gesetz, das Bandenmitgliedern bis zu fünf Jahre Gefängnis androht, wobei die bloße Mitgliedschaft unabhängig von einem Nachweis verübter Straftaten zur Verurteilung ausreicht. Der "Plan der harten Hand" führte zu Massenverhaftungen mutmaßlicher Bandenmitglieder, bei denen binnen weniger Monate fast 10.000 Menschen festgenommen wurden. Eine Folge dieser Verhaftungswelle waren verheerende Verhältnisse in den ohnehin dramatisch überfüllten Gefängnissen des Landes. Dort kam es immer wieder zu Ausbruchsversuchen, Revolten oder blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Fraktionen unter den Häftlingen, wobei es sich in einigen Fällen offenbar um von den Behörden geplante oder geförderte Massaker an Mitgliedern der Jugendbanden handelte.

Wes Geistes Kind das politische Regime bislang war, läßt sich auch daran ablesen, daß El Salvador Anfang 2005 als einziges Land Lateinamerikas Truppen der US-geführten Koalition im besetzten Irak stationiert hatte. Neben diesen mehr als 300 Soldaten war mindestens die doppelte Personenzahl für private Sicherheitsfirmen im Einsatz und verrichtete diverse Dienstleistungen in Service, Wachdienst und Personenschutz. Kontraktunternehmen von Pentagon und US-Außenministerium rekrutierten ihr Personal gern unter den zahllosen ausgebildeten ehemaligen Kämpfern Mittel- und Südamerikas, die ungleich billiger als Experten aus Europa und den USA waren.

Nun will das Establishment des kleinen mittelamerikanischen Landes ein weiteres Mal einen Machtwechsel verhindern und bedient sich dabei erprobter Methoden wie Lügenkampagnen und Verleumdungen. Allerdings ist diesmal eine gewisse Vorsicht geboten, da der ehemalige Talkmaster Mauricio Funes sehr populär ist und man leicht ein Eigentor schießen kann, wenn man ihn persönlich angreift. Daher verlegte sich der Wahlkampf der ARENA-Partei darauf, die FMLN als Steigbügelhalter der Linken in Lateinamerika darzustellen und insbesondere den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez in fast jedem Werbespot zu verteufeln.

Wüßte man es nicht besser, könnte man den Eindruck gewinnen, Chávez sei der wichtigste Kandidat beim bevorstehenden Urnengang. Natürlich portraitierte man den Staatschef Venezuelas nicht als einen politischen Führer, der in vorderster Front eine gesellschaftliche Umgestaltung zugunsten der armen Leute vorantreibt und zur Solidarität der Völker Lateinamerikas aufruft. Man zeigte Chávez vielmehr in Verbindung mit chaotischen Szenen auf den Straßen oder Soldaten in Kampfanzügen, um den Wählern El Salvadors zu suggerieren, ihnen drohe ein von Caracas unterstützter Umsturz, wenn sie die FMLN wählten.

Diese Kampagne in allen Medien des Landes hat Wirkung gezeigt und den zunächst zweistelligen Vorsprung des Fernsehjournalisten Funes schrumpfen lassen, obwohl die FMLN mit ihm erstmals einen moderaten Kandidaten aufgeboten hat, der am allerwenigsten wie ein ehemaliger Guerillakommandant wirkt. Als Funes seine Felle wegschwimmen sah, bemühte er sich verstärkt um Kontakte zur bürgerlichen Mitte und Brücken zur konservativen Wirtschaftselite, indem er sich an Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva orientierte und dessen Beispiel häufig ins Spiel brachte.

Die Regierungspartei konnte jedoch wesentlich mehr Geld in ihren Wahlkampf investieren und hat von diesen Vorteil unter Nutzung der Massenmedien ausgiebig Gebrauch gemacht. Diesen Eindruck haben auch Wahlbeobachter der EU gewonnen, die zwar von einem relativ störungsfreien Verlauf des Wahlkampfs sprechen, eine Waffengleichheit der Kandidaten jedoch in Abrede stellen. Die FMLN geht noch wesentlich weiter und hat vor einem drohenden Wahlbetrug gewarnt, da die Regierungspartei Busladungen von Menschen aus den Nachbarländern mit gefälschten Wahlkarten herankarren wolle.

Rodrigo Avila hat den zutreffenden Eindruck, mit ihm strebe ein weiterer ausgesprochener Reaktionär und Hardliner den Sessel des Präsidenten an, abzumildern versucht, indem er im Wahlkampf großzügige Geschenke wie Häuser und Sozialstationen machte oder mit Arbeitslosen für Gruppenbilder posierte. Nüchtern betrachtet hat die Regierungspartei eine magere Bilanz vorzuweisen, was für die in Armut lebende Bevölkerungsmehrheit ohnehin, jedoch auch für die von der politischen Führung hofierte Wirtschaft des Landes gilt. Seit 1999 liegt das jährliche Wirtschaftswachstum im Schnitt unter drei Prozent, womit El Salvador hinter den meisten anderen Ländern der Region zurückbleibt. Im Jahr 2001 wurde der US-Dollar als Landeswährung eingeführt, was dem vorherrschenden Klientelkapitalismus zunächst eine gewisse Stabilität verlieh, doch kontraproduktiv hinsichtlich der Produktionsleistung und Schaffung von Arbeitsplätzen war.

Heute lebt ein Viertel aller Staatsbürger El Salvadors in den USA und unterstützt die zu Hause gebliebenen Angehörigen mit überwiesenen Geldern, die für 18 Prozent des Bruttosozialprodukts zu Buche stehen. Das Elend nimmt zu und die Verbrechensrate steigt, wobei die Weltwirtschaftskrise die Zukunftsaussichten um so mehr verdüstert. Unter diesen Umständen haben die Wahlbürger des Landes wenig Grund, dem Kandidaten der Regierungspartei und damit der garantierten Talfahrt ihrer Lebensverhältnise die Stimme zu geben.

13. März 2009