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LATEINAMERIKA/2190: Wer steckt hinter den Attentatsplänen in Bolivien? (SB)


Evo Morales konfrontiert Barack Obama mit naheliegendem Verdacht


Boliviens Präsident Evo Morales hatte auf dem 5. Amerikagipfel der Organisation Amerikanischer Staaten in Trinidad und Tobago ein spezielles Problem mit seinem US-Amtskollegen Barack Obama zu erörtern, war doch nur wenige Tage zuvor ein mutmaßlicher Mordanschlag auf ihn vereitelt worden. Da der bolivianische Staatschef von einer Verwicklung US-amerikanischer Hintermänner in diese Attentatspläne ausgehen mußte, konfrontierte er Obama im Rahmen einer Zusammenkunft mit diesem Verdacht. Bei einem Treffen von zwölf südamerikanischen Staatschefs, zu dem auch Obama eingeladen worden war, informierte Morales die Runde über die bislang vorliegenden Erkenntnisse zu Operationen ausländischer Söldner in seinem Land.

Am Tag darauf nahm Barack Obama in einer öffentlichen Erklärung dazu Stellung und versicherte, er verurteile uneingeschränkt jeden Versuch, demokratisch gewählte Regierungen gewaltsam zu stürzen. Nun ist das natürlich eine Erklärung, die noch jeder US-Präsident ungeachtet seiner tatsächlichen Handlungsweise abgegeben hat. Der neue Chef im Weißen Haus war daher sichtlich bemüht, jede Verantwortung für frühere Ereignisse von sich zu weisen, und erklärte, er sei nicht gekommen, um über die Vergangenheit zu diskutieren. Die Vereinigten Staaten hätten viel getan, um Frieden und Wohlstand in der Region zu fördern, sich manchmal herausgehalten und manchmal versucht, ihre Vorstellungen zu diktieren. Er verspreche allen Anwesenden, daß seine Regierung eine gleichberechtigte Partnerschaft wünsche.

Lateinamerika blickt auf Jahrhunderte kolonialer und imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung zurück, an denen die Vereinigten Staaten maßgeblichen Anteil hatten. In welcher Verfassung die Länder und Völker des Südens heute sind, ist ein unmittelbares Resultat dieser Zurichtung wie auch des Versuchs, sich aus dieser Fessel zu befreien. Kurzerhand einen Schlußstrich unter diese Vorgeschichte zu ziehen, die Obama zudem bis zur Unkenntlichkeit verharmlost, und einen hoffnungsvollen Neuanfang in Aussicht zu stellen, kann nur als Leugnung oder Rechtfertigung der Vergangenheit aufgefaßt werden.

Erst vor wenigen Monaten war Washington in den Versuch verwickelt, die bolivianische Regierung mit Hilfe sezessionistischer Bestrebungen einiger Provinzen zu stürzen. Im September 2008 verwies man US-Botschafter Philip S. Goldberg des Landes und kündigte wenig später die Zusammenarbeit mit der United States Drug Enforcement Administration (DEA) auf, der man geheimdienstliche Tätigkeit in Bolivien zur Last legte. Auch schloß man die Dependancen der United States Agency for International Development (USAID), der man Unterstützung des Aufruhrs in den oppositionellen Ostprovinzen Beni, Pando, Santa Cruz und Tarija vorwarf. Seit ihrer Gründung im Jahr 1961 hat diese Organisation unter dem Deckmantel, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe in aller Welt zu leisten, immer wieder als Instrument zu Schwächung und Sturz unerwünschter Regierungen fungiert. Wenngleich Washington natürlich sämtliche Vorwürfe bestritt, ist es doch seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis, daß US-amerikanische Dienste oder Stiftungen, die anderen Ländern Demokratie, Entwicklungshilfe oder Mithilfe bei der Bekämpfung von Insurgenz und Verbrechen in Aussicht stellen, zugleich Träger der politischen Einflußnahme und Spionagetätigkeit sind.

Anfang März 2009 verwies Bolivien einen US-Diplomaten des Landes, dem konspirative Beziehungen zu oppositionellen Gruppen und Machenschaften gegen bolivianische Interessen zur Last gelegt werden. Francisco Martinez koordinierte nach Angaben der Regierung die Aktivitäten eines einheimischen Polizisten, der die staatliche Ölgesellschaft im Auftrag der CIA infiltriert haben soll. Nachdem die Gas- und Erdölgesellschaft YPFB mit einem Korruptionsskandal und Mißmanagement für beträchtlichen Unmut in der Bevölkerung gesorgt hatte, hegte die Regierung den Verdacht, daß äußere Interessen Einfluß genommen hatten, um dem 2006 verstaatlichten Unternehmen Schaden zuzufügen. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf einen in Großbritannien und den USA ausgebildeten ehemaligen Polizisten einer bolivianischen Eliteeinheit namens Rodrigo Carrasco, der sich Regierungsangaben zufolge mit Hilfe gefälschter Papiere den Posten des Vertriebsleiters der YPFB erschlichen hatte, um das Unternehmen zu unterwandern und zu korrumpieren. Er arbeitete zuletzt als Sicherheitsfachmann unter anderem für US-Firmen im Irak und Kuweit sowie für Unternehmen aus dem ostbolivianischen Tiefland.

Evo Morales brachte die nun erfolgte Aufdeckung erneuter Anschlagspläne in Verbindung mit seinem kürzlich durchgeführten Hungerstreik für die Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes im Senat und die aus dessen Billigung resultierende Möglichkeit seiner Wiederwahl im Dezember. Geplante Attentate waren in der Vergangenheit schon mehrfach vereitelt worden. "Sie haben versucht, mich durch Wahlen zu besiegen, und sind gescheitert. Sie wollten mich durch einen bürgerlich-präfekturalen Staatsstreich beseitigen und sind gescheitert. Jetzt haben sie Söldner auf mich angesetzt und sind gescheitert. Hoffentlich scheitern sie für immer", kommentierte er die Abfolge mißlungener Versuche seiner Gegner, sein politisches Wirken zu sabotieren.

Nach bolivianischen Regierungsangaben lagen aktuelle Erkenntnisse über geplante Anschläge gegen den Präsidenten und andere hochrangige Politiker vor. Nachdem man Morales davon unterrichtet hatte, gab er auf dem ALBA-Gipfel in Venezuela, bei dem er sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, den Angriffsbefehl. Daraufhin wurden Spezialkräfte der Polizei aus der Hauptstadt La Paz in die etwa 900 Kilometer entfernte Tieflandmetropole Santa Cruz de la Sierra entsandt. Die Verdächtigen hatten sich im Hotel "Las Americas" verschanzt und widersetzten sich der Verhaftung, worauf es zu einem 20 Minuten währendem Feuergefecht kam, in dessen Verlauf der Rumäne Magyarosi Arpád, der Ire Duayer Michel Martin und der Bolivianer Rozca Flores getötet wurden und die Explosion einer Granate das vierte Stockwerk des Gebäudes verwüstete. Zwei überlebende Verdächtige, bei denen es sich um einen Ungarn und einen zweiten Bolivianer handeln soll, wurden festgenommen und nach La Paz gebracht. Soweit inzwischen bekannt, hielt sich der getötete Ire offenbar im Auftrag eines Sicherheitsunternehmens im Land auf.

Nach Angaben der Polizei wurden zahlreiche Waffen sowie Bomben, Zielfernrohre und Schalldämpfer gefunden. Wie Vizepräsident Alvaro García Linera bekanntgab, belegten im Hotel gefundene Dokumente Vorbereitungen zum Mord am Präsidenten und Vizepräsidenten der Republik. Auf der Todesliste hätten neben führenden Repräsentanten der Staates auch der Präfekt von Santa Cruz, Rubén Costas, sowie der höchste Vertreter der katholischen Kirche, Kardinal Julio Terrazas, gestanden, beide erklärte Gegner der Regierung. Wenige Tage zuvor war ein Sprengstoffanschlag gegen das Haus des Klerikers verübt worden. Daß nach einer Serie von Anschlägen gegen Einrichtungen der Regierung nun auch bekannte Oppositionelle und deren Institutionen Ziele von geplanten oder ausgeführten Anschlägen werden, spricht für die Strategie, ein allgemeines Klima der Verunsicherung zu schaffen und insbesondere Regierungskreise zu bezichtigen, sie gingen gewaltsam gegen Oppositionelle vor.

Der Vizepräsident wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß einer der Festgenommen Anfang der 1990er Jahre für die Unabhängigkeit Kroatiens gekämpft habe. Viele führende Repräsentanten des Unternehmerverbands Cainco und des Bürgerkomitees von Santa Cruz sind Nachkommen kroatischer Einwanderer, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wegen ihrer Kollaboration mit dem deutschen Faschismus nach Südamerika geflohen waren. Ihre offene Gegnerschaft zu Präsident Morales und der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) wird mit unverhohlenem Rassismus vorgetragen, der die indígene Bevölkerungsmehrheit auf übelste Weise diffamiert.

Als einflußreichster und gefährlichster Gegenspieler der Regierung gilt Branko Marinkovic, der Vorsitzende des Bürgerkomitees von Santa Cruz. Er besitzt die kroatische und bolivianische Staatsbürgerschaft, gehört zu den reichsten Männern des Landes und lenkt ein Wirtschaftsimperium aus Großgrundbesitz, Rinderzucht, Speiseölproduktion, Bankbeteiligungen und weiteren Sparten, das sich zu einem geringeren Teil in Kroatien und zum überwiegenden in Bolivien verzweigt. Einer Dokumentation zufolge, die landesweit im Fernsehen gesendet wurde, gehörte sein Vater der faschistischen Bewegung an, die Kroatien bis zur Niederlage in ihrer Gewalt hatte. Silvio Marinkovic habe Beziehungen zu kroatischen Faschisten unterhalten, die sich zusammen mit ihren hochrangigen nationalsozialistischen Schutzherrn nach Südamerika abgesetzt haben. Der Reichtum der Familie entstammt nach Auffassung der Regierung nicht zuletzt aus illegaler Inbesitznahme von Land, das man dem Volk der Guarayo geraubt hat. Wenn Branko Marinkovic heute die Autonomie im Munde führe, schwebe ihm eine Abspaltung der reichen Provinzen nach dem Muster Kroatiens bei der Zerschlagung Jugoslawiens vor.

Korrespondenten kroatischer Medien berichteten anerkennend über seine Sprachkenntnisse, seinen Landbesitz in beiden Ländern und seine hohe soziale Stellung in der hellhäutigen Oberschicht des bolivianischen Tieflands. Sie gingen aber auch Vorwürfen nach, Marinkovic habe versucht, Söldner in Montenegro, der Heimat seiner Mutter, anzuwerben, was er natürlich vehement bestreitet.

Er ist die Führerfigur der Jugendunion von Santa Cruz, einer rechtsradikalen Schlägertruppe, die als militanter Arm des Bürgerkomitees Gewaltakte in den Armenvierteln und gegen Bauern verübt. Fast immer ist sie beteiligt, wenn arme Leute auf offener Straße gequält und gedemütigt werden, wenn man Regierungseinrichtungen besetzt oder zerstört, wenn Unruhe geschürt und Destabilisierung provoziert wird.

Wie Marinkovic nicht müde wird zu behaupten, sei er nur deswegen in die Politik gegangen, weil er den Abstieg zu Intoleranz und Haß gegen hellhäutige Bolivianer wie ihn selbst abwenden wolle. In Interviews und bei offiziellen Anlässen stets spanisch sprechend, um als waschechter Bolivianer wahrgenommen zu werden, ist er so dreist zu erklären, er favorisiere eine Politik, die indígenen Völkern des Tieflands wie den Guaraní und Guarayo zugute komme, wobei er den gewaltsamen Widerstand der Großgrundbesitzer gegen jegliche Landreform und die zahllosen Drangsalierungen von Kleinbauern und Landlosen geflissentlich verschweigt.

Als prominente Person des öffentlichen Lebens sei er zur Zielscheibe einer bösartigen Schmutzkampagne der Regierung geworden, die eine gezielte Desinformation der Öffentlichkeit betreibe. Wer ihm solche Vorwürfe mache, sei Lügen und Verdrehungen der Regierung auf den Leim gegangen, die sich den ehrlich verdienten Besitz der Weißen unter den Nagel reißen und ihre Indianerfreunde zu den Herren des Landes machen wolle. Soweit bekannt, ist Marinkovic mehrfach mit dem später des Landes verwiesenen US-Botschafter Goldberg zu Beratungen zusammengetroffen. Man darf wohl annehmen, daß dies nicht sein einziger Kontakt zu ausländischen Hintermännern und Kumpanen war.

Präsident Morales sprach im aktuellen Kontext von Anschlagsplänen europäischer Söldner, denen Bolivianer zur Seite stünden. Die Ermittlungen konzentrierten sich nun auf die Organisation und Finanzierung dieser Gruppe, wobei es zweifelhaft sei, daß es sich dabei ausschließlich um ein Werkzeug einheimischer Geschäftsleute und Oligarchen handle. Wenn er damit den naheliegenden Verdacht äußert, daß US-amerikanische Interessen im Spiel seien, ist das weder eine voreilige Bezichtigung, noch ein inszenierter Täuschungsversuch von Regierungsseite, sondern eine schlichte Lehre aus jener Vergangenheit, die Barack Obama so gern vergessen machen möchte, um ungehindert daran anknüpfen zu können.

21. April 2009