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LATEINAMERIKA/2218: Zwei Freunde Kubas unter Spionageverdacht (SB)


Spione aus Überzeugung oder viel Rauch um nichts?


Wenngleich der Wortschwall der Debatte um einen diplomatischen Wetterwechsel zwischen den USA und Kuba das tatsächliche Ausmaß greifbarer Konzessionen seitens der neuen US-Administration bei weitem in den Schatten stellt, kann man doch nicht umhin anzuerkennen, daß Leben in die Bude gekommen ist, um es einmal salopp auszudrücken. Der Wechsel von Bush zu Obama ändert nichts an der Doktrin Washingtons, das Ärgernis des kubanischen Gesellschaftssystems müsse aus der Welt geschafft werden. Man darf jedoch gespannt sein, wie weit sich die neue Führung in der Wahl ihrer Mittel aus dem Fenster lehnt, um mit geschmeidigen Manövern am Ende doch noch zu bewerkstelligen, was Jahrzehnte brachialer Gewalt nicht vermocht haben. In die Bedrouille kommt die US-amerikanische Kubapolitik vor allem dadurch, daß Havanna zumindest in seinen grundsätzlichen Forderungen, die Blockade müsse beendet und die Souveränität des Landes uneingeschränkt anerkannt werden, breite Rückendeckung von den lateinamerikanischen Staaten erhält. Wenngleich beileibe nicht alle Regierungen der kubanischen Führung in Freundschaft verbunden sind, möchte sich doch niemand mehr nachsagen lassen, er sei ein Vasall der USA, der nach der Pfeife Washingtons tanzt.

Während substantielle Fortschritte also vor allem auf seiten vieler lateinamerikanischer Länder zu verzeichnen sind, versucht man in Washington unter großem Getöse den Eindruck zu erwecken, man kämpfe nicht um den verlorenen Einfluß, sondern stehe in vorderster Front menschheitsgeschichtlicher Emanzipation. Dieses Dilemma nicht nur zu verschleiern, sondern sogar als Aufbruch zu neuen Ufern zu verkaufen, ist Obama zweifellos eine glänzende Besetzung im Weißen Haus. Zu dieser verbalakrobatischen Simulation vorgeblicher Bewegung an allen Fronten gesellen sich diverse Wellenschläge im Umfeld des Präsidenten, die es nicht immer leicht machen zu unterscheiden, ob man sich dabei gegenseitig Bälle zuspielt oder eher Knüppel zwischen die Beine wirft.

In diese Kategorie der vorerst obskuren, weil noch nicht hinreichend durchleuchteten Phänomene dürfte auch die jüngste Spionageaffäre fallen - wenn es sich denn tatsächlich um eine solche handeln sollte. Wie das US-Justizministerium bekanntgegeben hat, sind ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des Außenministeriums sowie seine Frau in Washington wegen mutmaßlicher Spionage festgenommen worden. Walter Kendall Myers und Gwendolyn Steingraber-Myers wird vorgeworfen, fast 30 Jahre lang Informationen an Kuba geliefert zu haben. Der mittlerweile 72jährige Verdächtige hatte früher Zugang zu vertraulichsten Unterlagen. Auch seiner 71jährigen Frau wird Spionage für Kuba und damit Bedrohung der Sicherheit der Vereinigten Staaten zur Last gelegt. Das Ehepaar soll geheime Informationen mit einem Kurzwellensender wie auch mittels Supermarkt-Einkaufswagen an die Kubaner weitergegeben haben.

Von dem Sendegerät und der Erstattung einiger Reisekosten abgesehen erhielten die beiden offenbar keinerlei finanzielle Zuwendung von kubanischer Seite. Vielmehr seien die Myers' verbittert über den "amerikanischen Imperialismus" und verstünden sich als Freunde Kubas. Behördenangaben zufolge standen sie bereits seit drei Jahren unter Beobachtung, bis dann vor zwei Monaten auf eine Festnahme hingearbeitet wurde. Ein Ermittler des FBI, der sich als kubanischer Agent ausgab, nahm Kontakt zu dem Ehepaar auf. Es kam dann zu mehreren Treffen, bei denen die Myers' offenbar Bemerkungen fallenließen, die eine langjährige Spionagetätigkeit zu bestätigen schienen. (New York Times 06.06.09)

Walter Kendall Myers trat 1977 eine Tätigkeit als Ausbilder im Außenministerium an und stieg im Laufe der Zeit in die Position eines hochrangigen Analysten für europäische Angelegenheiten auf, in der er Zugang zu geheimen Informationen hatte. Im Jahr 2007 schied er aus diesem Dienstverhältnis aus. Das Justizministerium wirft Myers vor, 2006 und 2007 Einsicht in rund 200 Geheimdienstberichte genommen zu haben, die nicht in die Zuständigkeit seines Aufgabenbereichs fielen. Diese Informationen soll das Ehepaar nach Havanna weitergegeben haben, wobei bislang nicht bekannt ist, worum es sich dabei im einzelnen handelte und welcher Geheimhaltungsstufe das Material unterlag.

Angeblich wurden die Myers' während einer Studienreise nach Kuba im Jahr 1978 für eine Spionagetätigkeit angeworben. Ein Tagebucheintrag aus diesen Tagen soll die unverhohlene Begeisterung für die revolutionären Ziele Kubas ebenso belegen wie den Abscheu vor dem US-Imperialismus wie auch den Vorwurf an die USA, diesen seien die Gesundheitsversorgung der Armen und andere Grundbedürfnisse der Bevölkerung völlig gleichgültig. "Kuba ist so aufregend!", schrieb Myers demnach in sein Tagebuch. "Die Revolution hat ein enormes Potential freigesetzt und den kubanischen Geist befreit."

Nicht lange nach der Rückkehr in die Vereinigten Staaten habe das Ehepaar unter Verwendung des Morsecodes, verschlüsselter Nachrichten und eines Kurzwellensenders sensible diplomatische Informationen nach Havanna übermittelt. Sie sollen 1995 bei einer heimlichen Kubareise von Fidel Castro empfangen worden sein und im Laufe der Jahre bei diversen anderen Gelegenheiten kubanische Kontaktleute in Trinidad und Tobago, Argentinien, Brasilien, Ecuador und Jamaica getroffen haben.

Aufgrund von Hinweisen auf eine undichte Stelle im Außenministerium nahm die Gegenspionage Ermittlungen auf, die sich vor zwei oder drei Jahren auf Myers konzentrierten. Im April nahm ein verdeckt arbeitender Fahnder des FBI, der sich als kubanischer Agent ausgab, Kontakt mit Myers auf, der an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington lehrte. Der Ermittler gab vor, das veränderte diplomatische Klima zwischen Kuba und den USA lasse es geboten erscheinen, Zugang zu internen Informationen des Außenministeriums zu erlangen. Ob Myers dieser Aufforderung tatsächlich nachgekommen ist, obwohl er nicht mehr im Ministerium tätig war, geht aus den bislang bekannten Einzelheiten nicht hervor. Die Myers' sollen dem FBI-Ermittler zufolge jedoch im Verlauf mehrerer weiterer Treffen mitgeteilt haben, daß sie sich angesichts ihrer jahrelangen Spionagetätigkeit ausgebrannt fühlten, den Kubanern aber dennoch weiterhin helfen wollten. Das gelte für immer, soll Myers bei dieser Gelegenheit gesagt haben. Es sei wie mit Fidel, eben für immer. Eines Tages, so hofften beide, würden sie mit ihrem Segelboot Kuba ansteuern und endgültig "nach Hause" kommen.

Im kubanischen Internetportal www.cubadebate.cu nimmt Fidel Castro in seiner jüngsten Reflexion zu dem Spionagefall Stellung. Wie er unter dem Titel "Lächerliche Antwort auf eine Niederlage" schreibt, sei die Nachricht von der Festnahme der beiden über 70 Jahre alten Personen im Ruhestand von fast allen westlichen Nachrichtenagenturen verbreitet worden. Den Angaben zufolge war das Ehepaar 1995 nach Kuba gereist, wo es von ihm empfangen worden sei. Da er damals aus den unterschiedlichsten Gründen mit Tausenden von Nordamerikanern zusammengetroffen sei, könne er sich natürlich nicht mehr an Einzelheiten einer Begegnung mit zwei bestimmten Personen erinnern. Allerdings verstehe er jetzt, warum George W. Bush Studierenden verboten hat, weiterhin Kuba zu besuchen. (junge Welt 08.06.2009)

Dann weist Fidel Castro darauf hin, daß die beiden angeblichen Spione eigenen Angaben zufolge nie Geld von kubanischer Seite erhalten haben, und wirft die Frage auf, warum die Nachricht von der Festnahme nur 24 Stunden nach der Niederlage der US-Diplomatie in der Generalversammlung der OAS veröffentlicht wurde. Dabei bezieht sich Castro auf den vorangegangenen Beschluß der Organisation Amerikanischer Staaten, die 1962 erfolgte Suspendierung Kubas aufzuheben und gewissermaßen eine Einladung an Havanna auszusprechen, sich um eine Wiederaufnahme zu bemühen. Die kubanische Regierung hat mehrfach klargestellt, daß sie nicht in die OAS zurückkehren wird, die ein Werkzeug der USA sei. Dennoch wertet sie den Beschluß der Generalversammlung in Honduras als bedeutenden diplomatischen Erfolg, da es US-Außenministerin Hillary Clinton nicht gelang, diese Entscheidung zu verhindern. Die neue US-Regierung behauptet zwar, auch sie wünsche eine Rückkehr Kubas in die OAS, doch knüpft sie daran Vorbedingungen, die de facto auf die Preisgabe des kubanischen Gesellschaftssystems hinausliefen.

Wenn das Ehepaar Myers wie angegeben bereits seit längerem unter Beobachtung stand, mutet die Festnahme zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Tat nicht gerade wie ein bloßer Zufall an. Wie Castro fortfährt, habe die Schmutzkampagne gegen die Eheleute bereits begonnen. Ihnen drohe im Falle einer Verurteilung wegen Landesverrats eine Haftstrafe von bis zu 35 Jahren, was in ihrem Alter bedeute, daß sie den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen müßten. Die Angeklagten würden moralisch mit Anschuldigungen zermürbt, die das Verhalten der Geschworenen vorherbestimmten. Mit Sicherheit würden die beiden nicht die freundliche Behandlung erfahren "wie die Terroristen, die von der Regierung dieses Landes angeworben wurden, um ein Flugzeug der Cubana Air mit allen, die in ihm reisten, zu zerstören und schreckliche Verbrechen gegen unser Volk zu begehen, und die sogar die Gesetze der Vereinigten Staaten verletzten, indem sie zahlreiche kleinere Terrorakte auf ihrem eigenen Gebiet begingen".

Zudem zieht Fidel Castro einen weiteren möglichen Grund für die hochgespielte Spionageaffäre in Erwägung. Die seit Obamas Amtsantritt wieder aufgenommenen Kontakte zwischen beiden Ländern könnten dazu beigetragen haben, daß gewissen Kreisen an einem Affront gelegen war. Die Konfrontation mit den Vereinigten Staaten sei ideologisch und habe nichts mit der Sicherheit dieses Landes zu tun. "Erscheint euch allen diese Geschichte von der kubanischen Spionage nicht lächerlich?", fragt Fidel Castro abschließend.

9. Juni 2009