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LATEINAMERIKA/2317: Brasilien vertieft Zusammenarbeit mit dem Iran (SB)


Offensive gegen das Sanktionsregime der westlichen Mächte


Brasiliens Traum vom Aufstieg zur Weltmacht, der längst über den Status einer Führungsrolle in Lateinamerika hinausgreift, setzt auf eine Stärke, die den konsequenten Schulterschluß mit den jeweils schwächeren Konfliktparteien ausschließt. Mithin mündet der Anspruch auf eine gewichtige Funktion in den internationalen Beziehungen nicht in eine entschiedene Parteinahme für die Palästinenser unter dem israelischen Besatzungsregime oder die rückhaltlose Verteidigung des Irans gegen die akute Bedrohung durch die USA, Israel und deren Verbündete. In energischer Verfolgung des vorerst noch fernen Ziels bringt Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Politik seines Landes jedoch auf einen Kurs, der es tendentiell der Hegemonie der Vereinigten Staaten entzieht und eine diversifizierte Bündnispolitik favorisiert. Dies ist unabdingbar, da Vasallen imperialistischer Mächte unmöglich einen Platz an der Tafel ihrer Herrn einnehmen können, die zu versorgen ihre unausweichliche Pflicht bleibt. Wer eines Tages am gedeckten Tisch zu Lasten anderer mitessen will, muß zuvor gewichtige Bündnisse schmieden, damit man ihn beim Anklopfen nicht länger von der Tür weisen kann.

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat im Atomstreit der westlichen Mächte mit dem Iran Eigenständigkeit bewiesen. Nach einem Gespräch mit dem iranischen Staatschef Mahmud Ahmadinejad in Brasília sprach er sich für eine "gerechte und ausgewogene Lösung" aus. Im Bemühen um Frieden im Nahen Osten müsse die internationale Gemeinschaft mit Teheran in Kontakt bleiben, statt das Land zu isolieren. Er mahnte einen neuen Umgangston mit Teheran an und verteidigte dessen Recht auf die zivile Nutzung der Atomkraft. Brasilien, das gute Beziehungen zu den USA, Europa und Israel, aber auch dem Iran unterhält, engagiert sich in zunehmendem Maße in der internationalen Diplomatie und strebt eine Vermittlerrolle im Nahostkonflikt unter Einbeziehung Teherans an. [1]

Die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas, die über die siebtgrößten Uranvorkommen der Welt verfügt und den Stoff für sein eigenes Atomprogramm anreichert, hat einen Verkauf angereicherten Urans an den Iran oder andere Länder ausgeschlossen. Die brasilianische Regierung unterstreicht das Recht, die Nukleartechnologie für zivile Zwecke zu nutzen, und spricht den reichen Nationen das Privileg ab, allein davon Gebrauch zu machen und andere Länder daran zu hindern, denselben Stand zu erreichen. Mit dem Staatsbesuch Ahmadinejads und dem Ausbau der Zusammenarbeit mit dem Iran setzt Brasília das deutliche Signal einer diversifizierten Bündnispolitik, die sich nicht dem Diktat Washingtons und der anderen westlichen Regierungen unterwirft.

Präsident da Silva sieht ein großes Potential, die Beziehungen zum Iran deutlich auszuweiten, und kündigt an, daß man bis April 2010 beiderseits Wege für eine verstärkte Kooperation prüfen wolle. Ahmadinejad bezeichnete seinen Gastgeber als "guten Freund" und signalisierte Unterstützung für den Wunsch Brasiliens nach einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat. Zugleich bekräftigte er das grundsätzliche Recht seines Landes auf die Entwicklung eines Atomprogramms, das man nicht aufgeben werde. [2]

Während US-Präsident Barack Obama lediglich angekündigt hat, er wolle ohne Vorbedingungen auf den Iran zugehen, aber von dieser Position längst wieder zugunsten eines Sanktionsregimes abgerückt ist, nimmt Luiz Inácio Lula da Silva wörtlich, wozu ihn die westlichen Regierungen aufgefordert haben. Er nutzt das Gewicht seines Landes in den internationalen Beziehungen und engagiert sich im Nahostkonflikt, doch ohne sich an der Einkesselung Teherans zu beteiligen. Während Obama auf seiner Asienreise der iranischen Führung Konsequenzen angedroht hat, öffnet da Silva die Tür und trägt dazu bei, die Isolation des Irans aufzubrechen. Teheran hofft, das Handelsvolumen mit Brasilien von derzeit zwei Milliarden Dollar im Jahr auf 15 Milliarden zu steigern, wobei Energie, Petrochemie, Landwirtschaft, Medizin, Biotechnologie und Nanotechnologie im Gespräch sind. [3]

Die US-Regierung beobachtet mit Argwohn die wachsende Zusammenarbeit Teherans mit Regierungen in Lateinamerika, das sich zumindest in Teilen von der Dominanz der Hegemonialmacht zu emanzipieren trachtet. Seit der Wahl Ahmadinejads im Jahr 2005 hat der Iran neue Botschaften in Kolumbien, Nicaragua, Chile, Uruguay, Ecuador und Bolivien eröffnet wie auch seine diplomatische Repräsentation in Kuba, Brasilien, Argentinien und Mexiko ausgebaut. Brasilien steht also keineswegs allein mit seiner modifizierten Ausrichtung, die der iranische Staatschef in die Worte faßte, die Welt bedürfe einer neuen Wirtschaftsordnung. Der Iran und Brasilien seien Vertreter unabhängiger Positionen in den internationalen Beziehungen und könnten bei der Schaffung einer Neuordnung zusammenarbeiten.

Luiz Inácio Lula da Silva, der vor wenigen Tagen mit Shimon Peres erstmals seit 40 Jahren wieder ein israelisches Staatsoberhaupt in Brasilien willkommen hieß und andererseits auch Mahmoud Abbas zu Gesprächen empfing, komplettiert mit dem ersten Staatsbesuch Mahmud Ahmadinejads in Brasilien die symbolische Einbeziehung aller drei maßgeblichen Fraktionen im Nahostkonflikt. Der Zeitpunkt dürfte nicht zufällig gewählt worden sein, da er dem Iran angesichts zugespitzten Drucks und wachsender Kriegsgefahr Entlastung signalisiert. Mit Peres erörterte da Silva den Ausbau der wirtschaftlichen und militärtechnologischen Zusammenarbeit. Abbas unterstützte er in der Forderung, daß der Expansion israelischer Siedlungen in den Palästinensergebieten unverzüglich Einhalt geboten werden müsse. Mit Ahmadinejad befürwortete er ausdrücklich das ungeteilte Recht auf die Entwicklung eines zivilen Atomprogramms.

Unterdessen ist der iranische Staatschef nach Venezuela weitergereist, das ebenso wie Bolivien schon seit geraumer Zeit gute Beziehungen zu Teheran unterhält und sich im Konflikt mit den westlichen Führungsmächten auf dessen Seite gestellt hat. In Caracas werden Kooperationsabkommen zum Bau eines Kraftwerks, zur Errichtung einer Zementfabrik sowie für den Bergbau unterzeichnet. Zudem sollen während des Besuchs der Delegation aus Teheran ein Büro der staatlichen iranischen Ölgesellschaft, ein Krankenhaus und eine Molkerei eröffnet werden. Weitere Vereinbarungen betreffen unter anderem die Landwirtschaft, die Börse, die Infrastruktur, den Energiesektor und den Kulturbereich.

Präsident Ahmadinejad und sein Gastgeber Hugo Chávez wollen einige Werke wie insbesondere eine Autofabrik, die im Rahmen von Joint Ventures von iranischen Experten betreut werden, einweihen. In Zusammenarbeit der beiden Staatschefs wurde seit 2005 bereits eine ganze Reihe bilateraler Abkommen vor allem bei der Förderung und Verarbeitung von Erdöl wie auch im Fahrzeugbau geschlossen. Inzwischen existieren Projekte in zahlreichen Sektoren wie etwa die Montage von Traktoren, die Fertigung von Autos für den lateinamerikanischen Markt, eine gemeinsame Bank, die Erschließung von Mineralien, die Agrarforschung, der Bau von Raffinerien für Öl und Gas oder die technologische Zusammenarbeit auf zahlreichen weiteren Gebieten. [4]

Für die iranische Regierung stehen diese Tage im Zeichen einer bedeutenden Offensive gegen die Wirtschaftssanktionen des Westens. Am Wochenende empfing Präsident Mahmoud Ahmadinejad den türkischen Außenminister Ahmad Davutoglu, mit dem er über die bilateralen Beziehungen sprach. Zuvor war ein Abkommen über die gemeinsame Erschließung des größten iranischen Gasfeldes South Pars unterzeichnet worden. Während Davutoglu die wachsende Bedeutung dieser Partnerschaft unterstrich, betonte Ahmadinejad, daß der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Region, vor allem zwischen Iran und der Türkei, gerade in der Anfangsphase des Untergangs der hegemonialen Gewaltmächte unverzichtbar sei.

Am Sonntag brach Ahmadinejad in Begleitung einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation zu einer Reihe von Auslandsbesuchen auf, die ihn in zwei afrikanische und drei südamerikanische Länder führen. In den Beziehungen zu Gambia, dem Senegal, Brasilien, Venezuela und Bolivien werde es in den Bereichen Energie, Investment, Handel sowie wissenschaftliche und industrielle Zusammenarbeit sehr große Fortschritte geben, hatte der iranische Staatschef im Vorfeld mitgeteilt. Nachdem auf den ersten beiden Stationen in Afrika Verträge über verschiedene bilaterale Projekte geschlossen worden waren, führte die Reise über den Atlantik nach Südamerika, wo Ahmadinejad in Brasilien, Venezuela und Bolivien Station macht. [5]

Anmerkungen:

[1] Brasilien fordert neuen Umgangston mit Iran (23.11.09)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/iran-brasilien-fordert- neuen-umgangston-mit-iran_aid_456845.html

[2] Brasilien: Iran hat das Recht auf ein Atomprogramm (23.11.09)
http://www.greenpeace- magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews%5Btt_news%5D=67060&tx_ttnews%5BbackPid%5D=23&cHash=75cb11105a

[3] Why Iran's Ahmadinejad is warmly welcomed in Brazil (22.11.09)
http://features.csmonitor.com/globalnews/2009/11/23/why-iran's- ahmadinejad-is-warmly-welcomed-in-brazil/

[4] Iran to increase technical services in Latin America (23.11.09)
http://www.tehrantimes.com/index_View.asp?code=208624

[5] Irans Präsident schließt Abkommen in Asien, Afrika und Südamerika. Ahmadinejad umgeht Wirtschaftssanktionen (23.11.09)
http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3856&Alias=Wzo&cob=452250

24. November 2009