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LATEINAMERIKA/2332: Venezolanischer Ex-Präsident Caldera gestorben (SB)


Christlich-Konservativer in sozialdemokratischer Mission


Der ehemalige venezolanische Präsident Rafael Caldera Rodríguez ist am 24. Dezember im Alter von 93 Jahren gestorben. Caldera prägte jahrzehntelang die christlich-konservative Partei COPEI, deren Gründungsmitglied er war, und hatte maßgeblichen Anteil an der venezolanischen Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In den fünfziger Jahren spielte er eine Schlüsselrolle beim Übergang des südamerikanischen Landes von einer Diktatur zur Demokratie. Von 1969 bis 1974 sowie von 1994 bis 1999 hatte er das Amt des Staatspräsidenten inne.

Wie der Sohn des zweimaligen Präsidenten, Andres Caldera Pietri, erklärte, werde die Familie des Verstorbenen keine Ehrung durch die Regierung des aktuellen Staatschefs Hugo Chávez akzeptieren. Diese ungewöhnliche Zurückweisung der offiziellen Zeremonien zeugt von einem tiefgreifenden politischen Zerwürfnis zwischen Caldera und Chávez. Dieser war 1992 nach einem Putsch gegen Carlos Andrés Pérez verhaftet und von dessen Nachfolger Caldera 1994 durch eine Begnadigung aus dem Gefängnis entlassen worden. Zu den Wahlen von 1998, die Chávez gewann, trat der 82jährige Caldera aus Altersgründen nicht mehr an. Im Jahr 2003 warnte er jedoch in einem Zeitungsinterview vor Gewaltausbrüchen infolge der Politik des Staatschefs und stellte die Legitimität der neuen Verfassung in Frage. Daraufhin erwiderte Chávez, Calderas Äußerungen spiegelten die tiefe Verzweiflung seiner Gegner wider. Sein Vorgänger habe ein korruptes System geschaffen, das Millionen Venezolaner zur Armut verdammt hat.

Will die Familie Caldera nichts mit Hugo Chávez zu tun haben, so unterhält sie um so bessere Beziehungen zum katholischen Klerus. Die soziale Bilanz des früheren Präsidenten interessiert Papst Benedikt offenbar nicht einmal am Rande, der den Verstorbenen als Mann tiefen Glaubens und großer Liebe für die Kirche würdigte. In einem von Kardinal Staatssekretär Tarcisio Bertone unterzeichneten Beleidstelegramm versicherte der Papst den Angehörigen und Freunden Calderas sein Mitgefühl. Der Papst bete für den Verstorbenen, hieß es in der Note weiter, die der Erzbischof von Caracas, Kardinal Jorge Urosa, bei der Trauerfeier verlas. [1]

Calderas politisches Lebenswerk läßt sich in dem Bestreben zusammenfassen, das System kapitalistischer Verwertung in ausdrücklicher Gegnerschaft zur Diktatur, aber ebenso auch zu linksgerichteten Kräften zu bewahren und zu reformieren. Dies erklärt seine hohe Wertschätzung in bürgerlichen Kreisen wie auch seinen heftigen Streit mit Hugo Chávez. Caldera war einer der drei Unterzeichner des "Pakts von Punto Fijo", den die drei großen Parteien des Landes (AD, COPEI und URD) nach Ende der Diktatur des Pérez Jiménez am 31. Oktober 1958 schlossen, um die Verfassung zu verteidigen und eine erneute Diktatur zu verhindern. Sie kamen überein, daß die künftige Führung eine Regierung der nationalen Einheit sein sollte. Dieser Pakt schuf die Grundlage für die Machtteilung der beiden großen Volksparteien COPEI und AD, worauf Calderas Christlich-Konservative und Rómulo Betancourts Sozialdemokraten von 1958 bis 1993 wechselweise das Land regierten und die gesellschaftlichen Verhältnisse langfristig zementierten.

Während seiner ersten Amtszeit ab 1969 eliminierte Caldera die Restbestände der linksgerichteten Guerillabewegung, indem er ihren Mitgliedern eine Generalamnestie gewährte. Im folgenden Jahr ließ er die bis dahin verbotene kommunistische Partei zu. Zudem hob er die Betancourt-Doktrin auf, die diplomatische Beziehungen zu Ländern untersagte, deren Staatsoberhaupt nicht auf demokratischem Weg an die Macht gekommen ist. In der Folge wurden unter anderem Beziehungen zu Argentinien, Kuba, Panama und der Sowjetunion aufgenommen. [3]

Während der neoliberal geprägten zweiten Amtszeit von Carlos Andrés Pérez (1988 bis 1993) kam es angesichts der um sich greifenden Verelendung am 27. Februar 1989 zu einem Aufstand in der Hauptstadt Caracas, der seither als Caracazo bekannt ist. Als sich die Lage der Wirtschaft zunehmend verschlechterte und die Unzufriedenheit wuchs, wurden 1992 und 1993 mehrere Putschversuche unternommen, darunter auch jener des späteren Präsidenten Hugo Chávez. Nachdem Pérez im Mai 1993 wegen Korruption abgesetzt worden war und Ramón Velásquez die Staatsführung übergangsweise ausgeübt hatte, zog Caldera seinen Vorteil aus dieser Situation. Er kehrte der COPEI den Rücken, beendete damit den Zweiparteienpakt und gründete das Bündnis CD (Convergencia Democrática), bei dem es sich um einen Mitte-Links-Zusammenschluß aus kleineren Parteien unter Einbeziehung der kommunistische Partei PCV handelte. Mit diesem Bündnis gewann Caldera 1994 die Präsidentschaftswahl.

Zwar gelang es ihm in seiner zweiten Amtszeit, die vorangegangenen Unruhen einzudämmen und die politische Lage zu stabilisieren, doch wendete er dazu Maßnahmen an, die einen rasanten Abschwung der Wirtschaft hervorriefen und das Land in die Hände des internationalen Währungsfonds trieben. Caldera sah sich gedrängt, mit dem IWF zusammenzuarbeiten und erneut einen neoliberalen Kurs anzulegen, der dazu führte, daß Zehntausende kleine und mittlere Unternehmen bankrott gingen und ein großer Teil der Bevölkerung verarmte.

Seine Herkunft aus der Mittelschicht und das Studium der Rechtswissenschaften in Caracas wiesen Rafael Caldera Rodríguez als einen gesellschaftlichen Aufsteiger aus, wobei er bereits im Alter von 20 Jahren eine Studentenbewegung gründete, die gegen die Diktatur des damaligen Staatsoberhauptes Eleazar López Contreras aufbegehrte. Als Abgeordneter setzte er sich für die Rechte der Arbeiter ein und er gehörte der Kommission an, welche die 1947 verabschiedete neue Verfassung ausgearbeitet hatte, die damals als eine der fortschrittlichsten in ganz Lateinamerika galt. Mit der gesamten Fraktion seiner Partei zog sich Caldera aus dem Parlament zurück, da er nicht mit der Militärjunta unter Marcos Pérez Jiménez zusammenarbeiten wollte, die 1948 an die Macht kam. Drei Jahre später wurde er bei Unruhen verhaftet und saß einige Monate im Gefängnis.

Wie diese frühe Laufbahn zeigt, war Caldera keineswegs ein typisches Mitglied lateinamerikanischer Eliten und für einen christlich-konservativen Politiker sogar auffallend sozial eingestellt. Im Grunde wirkt seine Karriere wie ein geradezu klassischer sozialdemokratischer Werdegang, auch wenn er nie dieser Fraktion angehört hat. Seine Funktion in der Parteiarbeit und insbesondere im höchsten Staatsamt bestand denn auch nicht zuletzt darin, Linkskräfte einzubinden und zu neutralisieren, wie auch soziale Grausamkeiten unter den altbekannten sozialdemokratischen "Bauchschmerzen" durchzusetzen, ohne damit erneute Aufstände oder Putschversuche zu provozieren.

Als sein Nachfolger verkörperte Präsident Hugo Chávez insofern das Scheitern seines Lebenswerks, als dieser mit dem Bolivarismus und sodann mit dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts eben jene Verhältnisse und Werte in Frage stellte, die zu bewahren und zu verteidigen Rafael Caldera Rodríguez sich zur Aufgabe gemacht hatte.

Anmerkungen:

[1] Vatikan/Venezuela: Papst würdigt verstorbenen Ex-Präsidenten Caldera (27.12.09) http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=345218

[2] Rafael Caldera, Ex-President of Venezuela, Dies at 93 (24.12.09) New York Times

[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Rafael_Caldera

28. Dezember 2009