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LATEINAMERIKA/2334: Mexiko fügt sich ins Joch hegemonialer Suprematie (SB)


Pufferfunktion im Dienst US-amerikanischer Grenzsicherung


Da die Südgrenze der Vereinigten Staaten als Scheidelinie zwischen dem Reichtum des Nordens und der Armut des Südens angesichts ihrer ungeheuren Länge und trotz aller Abschottungsmaßnahmen nach wie vor tendentiellen Durchlässigkeit aus Perspektive der Weltmacht ein eklatantes Sicherheitsrisiko darstellt, instrumentalisiert man das Nachbarland Mexiko als Puffer. Dessen Mitgliedschaft in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) ist nicht nur ökonomischen, sondern auch strategischen Erwägungen geschuldet, da es die traditionellen Ressentiments der Mexikaner, denen die aufstrebenden USA im Zuge ihrer Expansion die Hälfte ihres vormaligen Staatsgebiets geraubt haben, zu brechen galt. Security and Prosperity Partnership (SPP) formulierte die Erweiterung der NAFTA zu einem Sicherheitsbündnis, das die Merida-Initiative, die von den Präsidenten George W. Bush und Felipe Calderón im Oktober 2007 vereinbart wurde, ausgestaltet. Unter dem Vorwand gemeinsamer Anstrengungen im sogenannten Antidrogenkampf erhält Mexiko eine zunächst auf drei Jahre begrenzte Militärhilfe in Milliardenhöhe, während sich die US-Sicherheitsbehörden enger denn je mit den entsprechenden mexikanischen Diensten verzahnen.

Mexiko wird unter diesem Regime zu einem Vasallenstaat der USA degradiert, dessen Grenze es im konkreten wie übertragenen Sinn schützen und unter Umständen bereits weit im Vorfeld sichern soll. Unter dem wachsenden Druck der aus Verelendung geborenen Konflikte, die sich auf mexikanischem Territorium aufstauen und verdichten, entstand eine explosive Gemengelage, die von der Regierung Calderón mit der Eröffnung des Feldzugs gegen die Drogenkartelle zur Zündung gebracht wurde. Dieser Krieg, dem jährlich mehr Menschen zum Opfer fallen als den Besatzungsregimes in Afghanistan und dem Irak, verwandelt das Land in eine brutalisierte und militarisierte Gesellschaft, die eine repressive Innenpolitik geradezu einfordert und der US-amerikanischen Intervention Tür und Tor öffnet.

Die zunehmend prekäre Sicherheitslage und vielerorts chaotischen Verhältnisse sind Ausdruck und Produkt der Zurichtung Mexikos zu einem Kriegsgebiet, in dem die Schlacht gegen die Hungerrevolte geschlagen wird. Durchaus vergleichbar mit der Auslagerung der strategischen Grenzsicherung der Europäischen Union nach Nordafrika sichert auch die Metropolenregionen USA ihre Peripherie weiträumig ab, um sich die Last der Verteidigung ihrer Pfründe auf Kosten der "Verdammten dieser Erde" und das daraus resultierende Blutvergießen vom Leib zu halten.

Die wegen ihrer Parallelen zum Plan Colombia häufig als Plan Mexico bezeichnete Merida-Initiative umfaßt 1,4 Milliarden Dollar, die der Bekämpfung von Drogenhandel und Terrorismus sowie der Grenzsicherung gewidmet sind. Präsident Felipe Calderón setzt inzwischen mehr als 36.000 Soldaten und 9.000 Bundespolizisten im Inland ein, wo sie lokale Polizeifunktionen ausüben und mitunter den gesamten Polizeiapparat vor Ort übernehmen. Die Obama-Administration unterstützt diese Vorgehensweise und hat im Kongreß zusätzliche Mittel beantragt und erhalten, um die Eskalation zu munitionieren, die absurderweise als gutes Zeichen bezeichnet wird, da die Kartelle kräftig unter Druck gesetzt würden. Durchaus vergleichbar den Feldzügen im Mittleren Osten existieren keine verbindlichen Vorgaben oder konkreten Ziele hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung oder Erfolgsmaßstäbe der Kampagne. Wie der sogenannte Antiterrorkrieg auf unabsehbare Zeit angelegt ist, sieht auch dessen lateinamerikanische Vorstufe und aktuelle Variante in Gestalt des Antidrogenkampfs eine unbefristete Intervention vor. [1]

Die Bush-Regierung unterstützte die rechtsgerichtete Präsidentschaft Calderóns, dessen hauchdünner Wahlsieg im Jahr 2006 von heftigen Betrugsvorwürfen begleitet war. Während die US-Administration in dem mexikanischen Staatschef einen engen Bündnispartner fand, konnte sie zugleich die militärische, polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit massiv ausbauen, was auf einen erweiterten Zugriff ihrer Apparate hinauslief, der keineswegs auch in umgekehrter Richtung galt. Die Lieferung von Rüstungsgütern wie Hubschraubern, die Ausbildung durch US-Experten oder die Ausstattung mit Hard- und Software verschaffte nicht nur nordamerikanischen Unternehmen neue Absatzmöglichkeiten, sondern schuf auch Abhängigkeiten und öffnete Einfallstore, die über die offiziell vereinbarten Aspekte der Kooperation hinaus tief in die Grauzone heimlicher Absprachen, privater Sicherheitsdienstleister und vermutlich auch installierter Trojaner reicht. Inzwischen dürften die mexikanischen Behörden und Geheimdienste ein mehr oder minder offenes Buch für ihre US-amerikanischen Gegenstücke sein.

Die Unterwanderung mexikanischer Polizeikräfte durch die Drogenkartelle bringt Extreme hervor, die der Einführung innovativer Überwachungstechniken Vorschub leisten. So erhalten die Polizisten der Industriestadt Querétaro Uniformen, in die ein Chip integriert ist. Per Satellit sollen die Bewegungen der 1.100 Stadtpolizisten überwacht werden, damit diese ihre Uniformen nicht mißbrauchen, sie an niemandem ausleihen und keine Straftaten in Uniform begehen, wie der konservative Stadtpräsident Domínguez die kostspielige technologische Aufrüstung begründete. Zugleich werden die Verdienstmöglichkeiten auf das Doppelte eines Lehrergehalts verbessert, um die Korruption einzudämmen. [2]

Die rund 170.000 kommunalen Polizisten des Landes können ohne Bestechungsgelder kaum überleben, was sie überaus anfällig für Drohungen oder Angebote des organisierten Verbrechens macht. Immer wieder machen die schlecht ausgebildeten und gering bezahlten Lokalpolizisten Schlagzeilen mit schweren Straftaten bis hin zu Entführung und Mord, was dazu führt, daß sich Soldaten und Polizisten nicht selten mit entsicherten Waffen gegenüberstehen. Zahlreiche Ordnungshüter sitzen wegen Zusammenarbeit mit den Kartellen hinter Gittern.

Als weniger anfällig für Korruption gelten die Bundespolizisten und am wenigsten die Soldaten, was nach Einschätzung von Kritikern der Militarisierung jedoch vor allem von der Dauer der Präsenz vor Ort abhängt. Sind diese Sicherheitskräfte erst einmal länger stationiert oder gar sozial verflochten, werden sie demnach ebenso infiltriert wie die Ortspolizei. Bezeichnenderweise hält man die Marine für die am wenigsten korrupte Institution, was dazu beigetragen haben dürfte, daß unter ihrer Regie die spektakulärsten Schläge gegen die Drogenbanden gelangen.

Am 16. Dezember spürten Marinesoldaten in Cuernavaca den Drogenbaron Arturo Beltrán Leyva auf, der offenbar trotz eines auf seine Ergreifung ausgesetzten hohen Kopfgelds jahrelang unbehelligt in der Stadt gelebt hatte, und töteten ihn. In den folgenden Tagen verschwanden zahlreiche Stadtpolizisten spurlos und beteiligten sich vermutlich sogar an einem Racheakt des Kartells, bei dem kurz vor Weihnachten Familienangehörige eines Marinesoldaten umgebracht wurden, der im Feuergefecht mit dem Drogenboß gestorben war.

Wenige Wochen nach der Tötung Arturo Beltrán Leyvas verbuchten die Sicherheitskräfte mit der Festnahme Carlos Beltrán Leyvas einen weiteren aufsehenerregenden Erfolg. Die Verhaftung gelang offiziellen Angaben zufolge in Culiacán, der Hauptstadt des Bundesstaats Sinaloa, in dem die Brüder Beltrán Leyva ihr Regime aufgebaut haben. Ob der festgenommene Carlos Beltrán Leyva nach dem gewaltsamen Tod seines Bruders die Führung des Kartells übernommen hatte, steht zwar nicht fest, doch galt er seit Jahren als eine der Schlüsselfiguren der mächtigen Drogenbande. Der 40jährige wurde von Bundespolizisten gestellt, die falsche Papiere und Waffen bei ihm fanden. Ein dritter Bruder, Alfredo, wurde im Januar 2008 festgenommen, ein vierter, Mario, befindet sich auf freiem Fuß und zählt zu den meistgesuchten Drogenhändlern des Landes. [3]

Als der Führer des Golfkartells, Osiel Cárdenas, 2003 verhaftet wurde, setzte jener Spaltungs- und Diversifizierungsprozeß ein, wie man ihn bereits aus Kolumbien kannte, nachdem dort das Machtgefüge der großen Kartelle durch die Ausschaltung ihrer Anführer erschüttert worden war. In blutigen Kämpfen um die Nachfolge und Neuordnung der Einflußsphären bildete sich nach und nach eine Vielzahl kleinerer Banden und damit noch undurchsichtigerer Verläufe heraus. Davon profitierten die mexikanischen Kartelle, welche die Vorherrschaft übernahmen. Deren durch Gebietsabsprachen und Korruption gesicherte Koexistenz endete, als staatliche Sicherheitskräfte wichtige Bosse verhafteten und damit auch hier die Nachfolgekriege in Gang setzten.

Die Brüder Beltrán Leyva gingen zunächst Seite an Seite mit Joaquín Guzmán, genannt El Chapo, dem Anführer des Sinaloa-Kartells, ihren Geschäften nach. Im Gefolge der Turbulenzen im Golfkartell überwarfen sich die Rivalen im Streit um die lukrativen Transportrouten in die USA und lösten damit einen für Mexiko beispiellosen Krieg der Kartelle aus, der von beiderseits angeheuerten Killerbanden mit schweren Waffen und nicht selten auf offener Straße geführt wurde. Diese erbitterten Kämpfe der Drogenbanden gegeneinander in mehreren grenznahen Städten veranlaßte Präsident Felipe Calderón, sich als Hardliner zu gerieren und seinerseits den Kartellen den Krieg zu erklären.

Daß sich der Komplex des Drogenproblems angefangen von der Produktion über den Schmuggel bis hin zu den Konsumenten mit militärischen Mitteln brechen ließe, ist insbesondere deswegen eine absurde Annahme, weil sie den Kontext von Unterdrückung und Verelendung im gesamten Verlauf dieses Prozesses ausblendet. Das gilt auch für Mexiko, dessen Regierung den Antidrogenkampf in den Dienst der Herrschaftssicherung stellt und sich in Verfolgung nationaler elitärer Interessen in das Joch hegemonialer Suprematie fügt.

Anmerkungen:

[1] Obama's Role in the Militarization of Mexico; An Interview with Laura Carlsen (24.12.09)
Global Research

[2] Mexikos Polizisten werden überwacht (03.01.10)

NZZ am Sonntag

[3] Mexico Captures Brother of Slain Cartel Boss (03.01.10)
New York Times

5. Januar 2010