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LATEINAMERIKA/2336: Lugos Gegner betreiben Sturz des Präsidenten (SB)


Muster des Putsches von Honduras zeichnet sich auch in Paraguay ab


Das an Argentinien, Brasilien und Bolivien grenzende Binnenland Paraguay mit seinen nur 6,6 Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten Nationen Südamerikas. In seiner extrem polarisierten Gesellschaft leben mindestens 33 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, und mehr als eine Million Paraguayer versuchen im Ausland besser über die Runden zu kommen. Unter Verelendung leidet insbesondere die Landbevölkerung, was unmittelbar darauf zurückzuführen ist, daß ein Prozent der Bevölkerung rund 77 Prozent des Bodens besitzt. Eine mächtige Oligarchie weniger Familien mehrt vor allem durch den Export von Rindfleisch und Soja ihren Reichtum und sorgt mit Hilfe ihrer politischen Werkzeuge dafür, daß ihr Einfluß ungebrochen bleibt.

Instrument der herrschenden Klasse war seit Jahrzehnten die Colorado-Partei, die sich von 1947 bis 2008 und damit länger als jede andere politische Gruppierung weltweit durchgängig an der Macht gehalten hatte. Von 1954 bis 1989 regierte der deutschstämmige General Alfredo Stroessner als Diktator von erlesener Brutalität das Land, worauf die Elite auch nach der Rückkehr zur formalen Demokratie und der Durchführung freier Wahlen weiterhin fest im Sattel saß.

Garant der Langlebigkeit dieses Regimes waren insbesondere die Vereinigten Staaten, die sich in dem politischen Establishment Paraguays einen willfährigen Vasallen hielten. Washington bezahlte für seine Präsenz, die von enormer strategischer Bedeutung ist, beträchtliche Summen zur Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse. Zentrale Operationsbasis der USA im Herzen Südamerikas ist ein großer Stützpunkt, auf dem sich die militärischen und geheimdienstlichen Aktivitäten konzentrieren.

Als im April 2008 mit Fernando Lugo Méndez ein ehemaliger "Bischof der Armen" mit deutlicher Mehrheit ins Präsidentenamt gewählt wurde, zeugte dieser Bruch mit der Colorado-Partei davon, daß wachsende Teile der Bevölkerung bis hinein in die Mittelschichten des elitären und abgeschlossenen Regimes müde waren. Lugo, der für das breite Bündnis der "Patriotischen Allianz für den Wechsel" kandidiert hatte, das von Parteien des linken Flügels, über Fraktionen des Zentrums bis hin zur größten Oppositionspartei reichte, die rechts der Mitte anzusiedeln ist, verkörperte die Hoffnung vieler auf ein Ende der Macht und Bereicherung weniger.

Zwangsläufig war die Interessenlage seiner Anhänger so breit gestreut wie das Bündnis. Während die armen Indianer und Landarbeiter nach existenzsichernden Lebensverhältnissen strebten und die Gewerkschaften auf eine tendentielle Umverteilung mittels höherer Löhne drängten, ging es den Mittelschichten vor allem um die Eindämmung der Korruption, einen breiteren Zugang zu Aufstieg und Partizipation am Reichtum sowie eine Modernisierung der verkrusteten Strukturen. Feindselig und voller Argwohn belauerten unterdessen die Eliten des Landes und ihre US-amerikanischen Verbündeten, welchen Kurs der neue Präsident einschlagen würde, um Lugo auszubremsen oder womöglich sogar zu entmachten.

Da der traditionelle Machtapparat keineswegs gebrochen und Lugo bei seinen Reformvorhaben auf Koalitionen im Parlament angewiesen war, reduzierten sich seine Möglichkeiten auf das Bestreben, Pfosten in den trügerischen Grund zu rammen, die seinen zunächst recht allgemein gehaltenen Entwürfen ein Fundament geben. Soziale Projekte, höhere Abgaben auf den Export landwirtschaftlicher Produkte, eine Landreform und die Bekämpfung der Korruption, wie er sie bei seinem Amtsantritt im August 2008 in Aussicht gestellt hatte, bedurften erst einer inhaltlichen Konkretisierung und Ausgestaltung, bevor sie Kontur annahmen und in ihrer Reichweite einzuschätzen waren.

Nachdem man in Lugo nicht zuletzt einen Vertreter der Befreiungstheologie sah, der in Konflikt mit dem katholischen Klerus durch seinen Einsatz für die Armen und persönliche Integrität zu überzeugen verstand, nahm sein Ruf durch die Vaterschaftsklagen schweren Schaden. Als er einräumen mußte, als Bischof mindestens ein Kind gezeugt zu haben, entfesselten seine Gegner eine Kampagne, die auf seinen Rücktritt abzielte. Angetreten, um Ethik und Moral in die Politik zu bringen, kehrte sich der hohe Anspruch nun gegen ihn und seine Regierung. [1]

Da Lugo weder über einen dezidierten Entwurf der Gesellschaftsveränderung, noch die politische Erfahrung und kampferprobte Anhängerschaft zur Durchsetzung seiner Agenda verfügte, blieben seine guten Absichten nicht selten profilarme Versprechen, die es seinen einflußreichen Feinden leichtmachten, seine Fortschritte zu torpedieren. Wenngleich die Euphorie überhöhter Erwartungen einer Enttäuschung über die von vielen als zu langsam empfundenen Schritte der Veränderung wich, gelang es Lugo doch, einige beachtliche Erfolge zu verbuchen. Die brasilianische Regierung willigte nach jahrzehntelangem Streit ein, den Vertrag über das gemeinsam genutzte Wasserkraftwerk Itaipu neu zu verhandeln und Paraguay günstigere Konditionen einzuräumen, die dessen Einkünfte verdreifachten, was für den weitaus kleineren Partner dieses Abkommens von beträchtlicher Bedeutung war und nicht zuletzt auch seinem Nationalstolz guttat.

Zu nennen ist auch eine Reform, die allen Bürgern kostenlosen Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen gewährt und damit eine enorme Verbesserung für die ärmeren Bevölkerungsteile gebracht hat. Das Bildungswesen ist ebenfalls kostenfrei, die Sozialversicherung für Hausangestellte wurde ausgeweitet, ein Programm für sozialen Wohnungsbau aufgelegt sowie eine Agrarreform zumindest angekündigt.

Allerdings blieb die Landreform bislang weitgehend auf der Strecke, und die in Aussicht gestellte Schaffung neuer Arbeitsplätze wurde von der Weltwirtschaftskrise regelrecht zermalmt, so daß sich in Meinungsumfragen zunehmend die Auffassung durchsetzte, Lugos Präsidentschaft sei von Stagnation geprägt.

Außenpolitisch löste sich Lugo in vorsichtigen Schritten vom Einfluß der USA und sagte das Militärmanöver "Neue Horizonte" ab. Dies veranlaßte US-Botschafterin Liliana Ayalde zu der Äußerung, es handle sich um "eine bedauernswerte Entscheidung". Sie hoffe, daß dies nicht der Auftakt dazu sei, US-amerikanische Programme generell abzulehnen. [2] Die Hilfsprogramme Washingtons sind ein Werkzeug politischer Einflußnahme bis hin zur Infiltration, weshalb ihnen Länder wie Venezuela oder Bolivien eine Absage erteilt haben. Da Lugo die Aufnahme Paraguays in das antiimperialistische Handelsbündnis "Bolivarianische Alternative für die Völker unseres Amerikas" (ALBA) anstrebt, ist für seine Gegner die Grenze erreicht, die nicht überschritten werden darf.

Als sich Anfang November 2009 Gerüchte über einen bevorstehenden Staatsstreich verdichteten, kam der Präsident einem möglichen Putsch mit der Entlassung der Befehlshaber des Heeres, der Marine und der Luftwaffe sowie der Ernennung von General Juan Oscar Velásquez zum Oberkommandierenden der Streitkräfte zuvor. [3] Dank dieser Maßnahme sank die Putschgefahr, was jedoch einen Umsturz wie in Honduras keineswegs dauerhaft ausschließt, über den bereits in den Medien Paraguays spekuliert wurde.

Zu den gefährlichsten Gegnern Lugos gehört der chilenischstämmige Unternehmer Eduardo Avilés, der zur Bildung "antikommunistischer" Paramilitärs aufrief und Gleichgesinnte zum Waffenkauf aufforderte. Für Lugo und dessen Leute sei "die Party endgültig vorbei". Die "Zerstörung unseres Paraguays wie Chile unter Allende" sei zu verhindern, indem man "alle Kommunisten verfolgt, faßt und physisch liquidiert". [4]

Als Regierungsgegner profiliert hat sich auch Vizepräsident Frederico Franco von der neoliberalen "Radikalen Authentischen Liberalen Partei" (PLRA), der eigenen Angaben zufolge zur Nachfolge bereitsteht. Franco betreibt die Entmachtung Lugos, indem er mit der Colorado-Partei über die Mehrheit für ein Mißtrauensvotum gegen den Staatschef verhandelt.

PLRA-Senator Alfred Luis Jaeggli wirft dem Präsidenten Inkompetenz vor und wirbt für dessen Abwahl. Der Staatschef sei ein Hindernis für "Modernität" und "Auslandsinvestitionen". Der Senator ist Mitglied der "Fundación Libertad", die von der Friedrich-Naumann-Stiftung gesponsert wird, welche der FDP nahesteht. Kräfte der Liberalen Internationale unterstützten Ende 2008 die sezessionistische Umsturzbewegung in Bolivien und im Sommer 2009 den Putsch in Honduras, während sie in Nicaragua zur Entmachtung von Präsident Ortega aufriefen.

Das Muster des Staatsstreichs gegen Präsident Manuel Zelaya in Honduras zeichnet sich auch in Paraguay ab. Nachdem Lugo angekündigt hatte, er werde sein Land in die ALBA führen, beschuldigten ihn Politiker der PLRA des Verrats. Da diese Partei der wichtigste Koalitionspartner in der Allianz ist, sabotiert ihr Konfrontationskurs die Vorhaben der Regierung. Mit ihren Stimmen verhinderte das Parlament mit dem "Gesetz zur Unersetzbarkeit der Demokratie" die Wahl eines Verfassungskonvents, die um jeden Preis zu verhindern auch eines der vordringlichen Ziele der Putschisten in Honduras war.

Anmerkungen:

[1] Beyond scandal, Paraguay's president faces deeper challenges (02.08.09)
http://www.csmonitor.com/2009/0806/p06s14-woam.html

[2] Der Gegner heißt Lugo (04.01.10)

junge Welt

[3] Neuer Kommandeur in Paraguay (09.11.09)

junge Welt

[4] Paraguay vor unruhigen Zeiten. Reaktion betreibt Sturz von Präsident Lugo (30.12.09)
Neues Deutschland

8. Januar 2010