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LATEINAMERIKA/2397: Hochrangige Offiziere aus den Händen der FARC befreit (SB)


Erfolgreiche Operation ebnet Juan Manuel Santos den Weg


Die kolumbianischen Guerillaorganisationen führen seit Jahrzehnten einen Kampf, dessen gesellschaftspolitische Ziele wie insbesondere eine weitreichende Landreform systematisch diskreditiert, in Abrede gestellt und schließlich vollständig ausgeblendet wurden. Allen voran die Regierung in Bogotá samt den Fraktionen der einheimischen Eliten und die US-Administration, deren engster Verbündeter und Brückenkopf in Südamerika das Land unter seiner derzeitigen Führung ist, betrieben die Diffamierung der Rebellen zunächst unter der Stigmatisierung "Narco-Guerilla" und schließlich "Narco-Terroristen", um ihnen nicht nur jegliches akzeptable Anliegen abzusprechen, sondern sie zum Freiwild zu erklären, das auszurotten die Sicherheitskräfte jedes Recht haben. Dieser Auffassung haben sich auch die europäischen Regierungen und die EU angeschlossen, in deren Terrorliste die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) aufgeführt werden, während der Mainstream der hiesigen Medien das Mantra wiederkäut, dieser Bande von Entführern und Drogenhändlern müsse endlich das Handwerk gelegt werden.

Warum das den Vereinigten Staaten und der in den letzten zehn Jahren mit nahezu sieben Milliarden Dollar Militärhilfe subventionierten kolumbianischen Führung trotz absoluter Übermacht der Waffen, vollständiger Kontrolle des Luftraums und nicht zuletzt umfassender elektronischer Überwachung noch immer nicht gelungen ist, wird aus dieser Perspektive unter Verweis auf Drogengelder, die unzugängliche Weite des Dschungels und heimliche ausländische Unterstützer weniger erklärt, als vielmehr verschleiert. Dabei werden die Rebellen wahlweise zu gefährlichen Monstern hochstilisiert, deren "terroristisches Netzwerk" angeblich bis nach Europa reicht, oder umgekehrt für entscheidend geschwächt, zerfallend und so gut wie erledigt erklärt.

Dem scheidenden Präsidenten Alvaro Uribe zollt man in Washington, Brüssel und Berlin hohes Lob, wobei man ihm unter Verweis auf die Menschenrechte eher symbolisch als ernsthaft auf die Finger klopft, wenn wieder einmal die unvermeidlichen Späne gefallen sind, weil er den Hobel angesetzt hat. Natürlich wünscht man sich weniger lästige Kollateralschäden im "Antiterrorkrieg", doch haben die Okkupationsregimes in Afghanistan und dem Irak die Maßstäbe längst so weit verschoben und die Gemüter derart abgestumpft, daß ein paar kolumbianische Bauernopfer nicht weiter ins Gewicht fallen. Die eigentliche Leistung Uribes bleibt dabei unerwähnt, hat er es doch geschafft, durch seine umfassende Absage an Gespräche, Vermittlungsbemühungen oder den Austausch von Gefangenen alle Vorstufen eines Friedensprozesses zu blockieren. Mit "Terroristen" verhandelt man nicht, sie müssen militärisch besiegt und vernichtet werden, lautet seine Doktrin, wenn er mit der Eliminierung der bewaffneten Guerilla zugleich die Gründe ihres Kampfs vollständig zu entsorgen und damit die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu zementieren trachtet.

Wenn es am 20. Juni zur Stichwahl um das kolumbianische Präsidentenamt kommt, hat Alvaro Uribe alles in seiner Macht Stehende getan, um seinem Wunschnachfolger Juan Manuel Santos den Weg zu ebnen. Macht der frühere Verteidigungsminister das Rennen, worauf alle Prognosen hindeuten, kommt es zu einer ungebrochenen Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses. Uribe könnte unbeeinträchtigt hinter den Kulissen die Fäden ziehen und fände ein gemachtes Bett vor, wenn er in vier Jahren erneut für das höchste Staatsamt kandidieren darf.

Wie der aktuelle Verteidigungsminister Gabriel Silva Luján Medienvertretern in Bogotá eröffnete, sei es einem 300 Mann starken Spezialkommando der Streitkräfte gelungen, drei von der FARC gefangengehaltene Offiziere zu befreien. Man habe General Luis Herlindo Mendieta Ovalle und Oberstleutnant Enrique Murillo Sánchez sowie den Polizeioffizier Arbey Delgado Argote aus der Gewalt der Guerilla befreit. Die Militäroperation sei ein weiterer Beleg dafür, daß die Politik der "Demokratischen Sicherheit" und der harten Haltung gegenüber den Rebellen der richtige Weg sei, um allen Kolumbianern die Ruhe zurückzugeben. [1]

Ein weiterer Polizeioberst namens William Donato Gómez, dem bei der Befreiungsaktion im dünn besiedelten südlichen Departement Guaviare die Flucht gelang, wurde von den Soldaten erst am folgenden Morgen im Urwald gefunden. Nach Angaben des Armeechefs Freddy Padilla kam bei der Operation, jedoch nicht am Ort der Befreiung, ein Unteroffizier ums Leben. [2]

Beide Präsidentschaftskandidaten beglückwünschten die Armee zu ihrem Erfolg, wobei Santos als Vertreter des Regierungslagers die Steilvorlage aufnahm, um erneut einen humanitären Gefangenenaustausch auszuschließen und für den Fall seines Wahlsiegs weitere gewaltsame Befreiungen von Gefangenen anzukündigen. Der Bewerber der Grünen Partei, Antanas Mockus, der Verhandlungen mit den Rebellen ebenfalls ablehnt, ließ die Soldaten wissen, daß er ihre Aufgabe für "bewundernswert" halte. Die FARC halten noch mindestens 19 Polizisten und Armeeangehörige fest, die sie gegen etwa 500 inhaftierte Rebellen austauschen möchten. Uribe, Santos und Mockus lehnen das einhellig ab.

Einwände erhob die liberale Senatorin Piedad Córdoba, die in der Vergangenheit gemeinsam mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez bei der schließlich von Uribe torpedierten Vermittlung eines Gefangenenaustausches tätig war. Das Erbe der militarisierten Politik in Kolumbien habe Santos einen Sieg mitten im Wahlkampf beschert, doch könne das Land auf diesem Weg nicht gewinnen. Sie sprach sich entschieden dafür aus, auf friedlichem Weg die Freilassung aller Gefangenen zu erreichen, ohne das Leben der Beteiligten in Operationen zu gefährden, und darüber hinaus eine Verhandlungslösung des Konflikts zu befördern.

Während die Rebellen zunächst keine Stellungnahme abgaben, erklärte die ihr nahestehende alternative Nachrichtenagentur ANNCOL, die einen kämen raus, die andern rein. Das sei die tatsächliche Konsequenz eines bewaffneten Konflikts, der mit aller Deutlichkeit ein humanitäres Abkommen oder einen Gefangenenaustausch erfordere. Der kolumbianische Staat dürfe nicht weiter mit dem Leben seiner Uniformierten in der Gewalt der FARC Roulette spielen.

Alle vier befreiten Gefangenen hatten sich seit mehr als elf Jahren in der Gewalt der Guerilla befunden. Zwei von ihnen waren im August 1998 bei einem Überfall auf einen Stützpunkt zur Drogenbekämpfung im Departement Guaviare im Südosten des Landes gefangengenommen worden, die beiden anderen fielen den Rebellen im November 1998 bei einem Angriff auf Mitú, die Hauptstadt des Nachbardepartements Vaupés, in die Hände. Bei dem 51 Jahre alten Brigadegeneral Luis Mendieta, der im vergangenen Jahr in Abwesenheit in diesen Rang befördert worden war, handelte es sich um den ranghöchsten Uniformierten unter den Gefangenen in der Gewalt der FARC. Er hatte als damaliger Oberstleutnant das Kommando über die Polizeikräfte der Stadt, als der Ort von starken Rebelleneinheiten überrannt wurde.

Verteidigungsminister Gabriel Silva rühmte den nun erfolgten Angriff der 300 Soldaten auf das von etwa 40 Rebellen bewachte Lager als eine "chirurgische" Aktion. Die "Operación Camaleón" sei seit sechs Monaten mit Hilfe von Informationen vorbereitet worden, die Überläufer der FARC gegeben hätten, und ohne die Hilfe der US-Streitkräfte durchgeführt worden. Entscheidende Hinweise über den genauen Aufenthaltsort der Gefangenen erhielt man angeblich von einem im März festgenommenen Mitglied der Guerilla. Der bei einem Kampf mit der Armee verletzte Marcos Parrilla habe sich nach seiner Verhaftung von der FARC losgesagt und mit den Militärs zusammengearbeitet.

Umgehend verwies man auf angebliche Parallelen zum spektakulären Einsatz "Jaque" (Schach), bei dem die Streitkräfte mit einem perfiden Täuschungsmanöver unter Mißbrauch der Symbole des Roten Kreuzes 2008 die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, drei US-Amerikaner, sieben Militärs und vier Polizisten befreit hatten. Da diese Operation unter Leitung des damaligen Verteidigungsministers Santos gestanden hatte, war klar, zu welchem Zweck der aktuelle Vergleich bemüht wurde. [3]

Es steht zu befürchten, daß sich Kolumbien mit Juan Manuel Santos auch ohne den derzeitigen Amtsinhaber auf vier weitere "Uribe-Jahre" einstellen muß. Der scheidende Staatschef, dessen Regierungszeit im August 2002 begann und sich 2006 auf Grundlage einer Verfassungsänderung um weitere vier Jahre verlängerte, durfte kein drittes Mal antreten, da sein Versuch, ein entsprechendes Verfassungsverbot durch ein Referendum zu kippen, diesmal vor dem Verfassungsgericht gescheitert war. Was zunächst als überraschende Niederlage Alvaro Uribes und mitunter sogar als Ende seiner Ära interpretiert worden war, erweist sich in zunehmende Maße als bloße Zwischenstation in Gestalt eines neuen Präsidenten, der wie eine Kopie des alten amtiert und dessen späterer Rückkehr den Weg bereitet.

Anmerkungen:

[1] Pünktlicher Schlag. Eine Woche vor der Präsidentschaftswahl befreit Kolumbiens Armee drei Offiziere aus der Gewalt der Guerilla (15.06.10)
junge Welt

[2] Geiselbefreiung in Kolumbien. Seit 1998 in den Händen der Rebellen (14.06.10)
NZZ Online

[3] Kolumbien. Vier FARC-Geiseln befreit. (14.06.10)
http://www.20min.ch/news/ausland/story/Vier-FARC-Geiseln-befreit-13257229

16. Juni 2010