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LATEINAMERIKA/2402: Zum Jahrestag des Putsches in Honduras (SB)


Oligarchenherrschaft und Hegemonialmacht im Schulterschluß


Die honduranische Oligarchenherrschaft der zehn Familien repräsentiert im Verbund mit der ausgeprägten hegemonialen Präsenz politischer, ökonomischer und militärischer Verfügungsinteressen der USA auf geradezu klassische Weise den verhängnisvollen Schulterschluß nationaler Eliten mit der Übermacht Washingtons. Zwangsläufige Folge ist eine extreme Ausbeutung, Verelendung und Drangsalierung weiter Kreise der Bevölkerung. Honduras ist eines der ärmsten Länder der Hemisphäre, in dem fast 60 Prozent unter der Armutsgrenze und 36 Prozent in extremem Elend existieren müssen. Nach Angaben des nationalen Statistikinstituts sind 51 Prozent aller Menschen im erwerbsfähigen Alter arbeitslos, wobei insbesondere junge Leute weitgehend vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Regierung und Unternehmerschaft paktieren bei der erzwungenen Lohnsenkung, Erhöhung des Leistungsdrucks und Aushöhlung von Arbeitsgesetzen.

Die Regierung des im November 2009 in einer von den Putschisten inszenierten Wahlfarce zum Staatschef gekürten Porfirio Lobo Sosa hat drakonische Sparmaßnahmen auf den Weg gebracht, darunter eine Kürzung aller Ausgaben um 20 Prozent sowie eine Steuerreform, während die Mittel für die Streitkräfte sogar aufgestockt wurden. Auf diese Weise werden die Lasten der weltweiten kapitalistischen Systemkrise ebenso auf die breite Mehrheit der Honduraner umgelastet wie der ungebrochene Fortbestand elitärer Privilegien und zugleich der Ausbau des Repressionsapparats, der das Aufbegehren unterwerfen soll. [1]

Der Putsch vom 28. Juni 2009, der sich heute jährt, vereinte in seiner vermeintlichen Zwiespältigkeit das Zusammenwirken traditioneller Gewaltakte zur Durchsetzung einer reaktionären Restauration der angestammten Herrschaftsverhältnisse mit der perfiden Strategie Washingtons, die Beteiligung am Staatsstreich zu tarnen und ihn als nationale Erhebung auszuweisen. Was unter der Bush-Administration mit dem gescheiterten Umsturz in Venezuela begann und bei der Vertreibung Jean-Bertrand Aristides in Haiti gelang, fand seine Fortsetzung in der von der Obama-Regierung gebahnten Anerkennung der Putschfolgen in Honduras. Die herrschende Klasse des mittelamerikanischen Landes ist wirtschaftlich in so hohem Maße abhängig von den USA, daß ein Umsturz ohne grünes Licht aus Washington kaum vorstellbar ist. Das gilt um so mehr für die Streitkräfte, die von den USA bewaffnet, beraten und ausgebildet werden, die wiederum ihren größten Stützpunkt auf dem Boden Lateinamerikas in Palmerola unterhalten.

Die Todsünden des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya reichten von der Anhebung des Mindestlohns über das angestrebte Plebiszit zur Reform der 1982 von der scheidenden Militärdiktatur und der US-Botschaft diktierten Verfassung bis hin zur Annäherung an Venezuela und die ALBA. Sein Sturz sollte das Vordringen der tendentiellen Emanzipation von der Vorherrschaft der USA und den Ausbau eigenständiger Formen der Kooperation nach Mittelamerika bremsen und umkehren, wofür der grobe Klotz des Staatsstreichs erforderlich war, der mit dem Tarnnetz eines fingierten legitimen Anliegens zur Verhinderung einer autoritären Entwicklung versehen wurde.

Der Staatsstreich galt weniger den begrenzten Reformen, zu denen sich Zelaya bereits durchgerungen hatte, als vielmehr dem potentiell daraus resultierenden Bewegungsmoment, das seine Ansätze aufgreifen und über ihn hinaustragen könnte. Aus Sicht der alteingesessenen Machtkomplexe in Honduras und der Administration in Washington galt es, den Anfängen zu wehren und vollendete Tatsachen zu schaffen, die anschließend in das Kleid der Legitimität gehüllt werden konnten. Niemand hätte den Umsturz leichter verhindern oder nachträglich annullieren können als die USA, deren Kolonie Honduras de facto ist. Niemand konnte andererseits den Putsch rückgängig machen, solange Washington mit seinen milden Sanktionen und vorgetäuschten Verhandlungsinitiativen die Gegenwehr verschleppte, verzögerte und im Sande verlaufen ließ.

Unterdessen hatten die Putschisten freie Hand, oppositionelle Kräfte einzuschüchtern, zu verhaften und nicht selten auch umzubringen. Seither machen Todesschwadronen Jagd auf Aktivisten, Gewerkschafter und kritische Medienleute, wobei seit dem Putsch etwa 200 Menschen Mordanschlägen zum Opfer gefallen sind. Die meisten Morde an Putschgegnern wurden nach der Amtsübernahme durch Porfirio Lobo Ende Januar verübt, und da mehr als 90 Prozent der Medien von dem Regime kontrolliert werden, tritt diese Repression in der einheimischen Berichterstattung nicht in Erscheinung. [2]

Seit Lobo im Amt ist, wurden nicht weniger als neun Journalisten ermordet, womit Medienvertreter in kaum einem anderen Land der Welt derzeit so gefährlich leben wie in Honduras. Etliche sind aus Sicherheitsgründen vorerst ins Ausland gegangen, nachdem sie massive Todesdrohungen erhalten haben oder Anschlägen ausgesetzt waren. Sicherheitsminister Oscar Alvarez verbreitete in der Öffentlichkeit Durchhalteparolen und kündigte an, man werde alles tun, um die Mörder zu finden. Das blieb bislang ausnahmslos ein leeres Versprechen, wobei sein ausdrücklicher Verweis, es gebe bis heute keine Hinweise auf politische Beweggründe oder Verbindungen zu den Taten, Bände spricht. Präsident Lobo hat inzwischen eingeräumt, daß die eigenen Mittel nicht ausreichen, die Verbrechen aufzuklären, weshalb man auch internationale Hilfe in Anspruch nehmen werde. Die bulgarische Unesco-Generaldirektorin Irina Bokowa äußerte ihre "große Besorgnis über den hohen Preis", den die Journalisten in Honduras für ihre Arbeit bezahlen müßten, und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) will eine Untersuchungskommission nach Honduras zu schicken, um die Hintergründe der Morde zu klären. [3]

Die führenden Putschisten erfreuen sich nach wie vor absoluter Straffreiheit. Der politischer Führer des Umsturzregimes, Roberto Micheletti, wurde zum "Kongreßmitglied auf Lebenszeit" ernannt, um ihm dauerhafte Immunität zu verschaffen. Der militärischer Anführer des Staatsstreichs, General Romeo Vasquez, ist heute Chef der honduranischen Telefongesellschaft Hondutel. Menschenrechtsgruppen haben allein seit Amtsantritt Lobos vierzehn Morde an Oppositionellen bestätigt, doch in keinem einzigen Fall wurde ein Täter ermittelt und zur Rechenschaft gezogen. Hinzu kommen zahlreiche weitere Formen der Repression wie willkürliche Verhaftungen, Mißhandlungen bis hin zu Folter wie auch die Schließung oppositioneller Medieneinrichtungen.

Unterstützung erhält das Putschregime auch von Deutschland und der EU, die bestrebt sind, auf dem Wege einer "Normalisierung" der Beziehungen die Regierung Lobo anzuerkennen und damit den Putsch nachträglich zu legitimieren. Zwar lehnte auch die Bundesregierung dem internationalen Trend folgend den Umsturz in Honduras ab, doch unternahm sie keinerlei wirksame Schritte, um diesem Lippenbekenntnis Taten folgen zu lassen. Unterdessen gefiel sich die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in der Rolle des offenen Fürsprechers der Putschisten, wobei die liberale Internationale nicht nur Micheletti hofierte, sondern auch unter anderem in Nicaragua sondierte, ob man nicht Ortega und seine Sandinisten auf dieselbe Weise entsorgen könnte. Unter Guido Westerwelle hat sich diese Linie auch im Berliner Außenministerium durchgesetzt. So wurde der Namen des legitimen Botschafters und Putschgegners Roberto Martínez stillschweigend von der Länderseite genommen, auf der als Ansprechpartnerin mit Botschaftsrätin Vania Garcia nun eine Befürworterin des Umsturzes genannt wird. [4]

Der Putsch in Honduras unter verschleierter Beteiligung der USA war ein weiteres Signal fester Entschlossenheit der Hegemonialmacht, ihren Anspruch auf Lateinamerika auch künftig durchzusetzen. Der massive Ausbau militärischer Präsenz in Kolumbien, die Intervention nach dem Erdbeben in Haiti, die Unterstützung der mexikanischen Regierung im Krieg gegen die Kartelle und nicht zuletzt der Umsturz in Tegucigalpa dokumentieren die Vielfalt der Vorwandslagen und Vorgehensweisen, derer sich Washington inzwischen bedient, um in dieser Weltregion zu intervenieren. Wenn Barack Obama von einer Wende der US-amerikanischen Außenpolitik in Hinblick auf Lateinamerika gesprochen hat, dem er in "gegenseitigem Respekt" und friedlicher Kooperation begegnen will, konnte das Täuschungsmanöver kaum leutseliger vorgetragen sein.

Anmerkungen:

[1] One year since the Honduran coup (28.06.10)

World Socialist Web Site

[2] Honduras neu gründen (28.06.10)

junge welt

[3] Die Mörder kamen nach Sendeschluss (16.06.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/honduras-journalisten-morde

[4] Honduras feiert den Widerstand (28.06.10)

Neues Deutschland

28. Juni 2010