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LATEINAMERIKA/2419: Fidel Castro feiert heute seinen 84. Geburtstag (SB)


Wiederkehr konsterniert Heerschar seiner Kritiker und Feinde


Der kubanische Revolutionsführer Fidel Alejandro Castro Ruz wird heute 84 Jahre alt. Von seinen zahllosen Feinden voreilig und mit unverhohlener Genugtuung für tot erklärt, feiert er eine nicht für möglich gehaltene Wiederauferstehung, die selbst seinen Gegnern eine bemerkenswerte Verhaltenheit, wenn nicht gar klammheimliche Anerkennung abnötigt. Ihr opportunistisches Kalkül vermag seinen unerhörten Lebenswillen ebensowenig zu begreifen wie die Dauerhaftigkeit des schon vor Jahrzehnten für gescheitert erklärten kubanischen Gesellschaftsentwurfs. Castro hat seit seinem Amtsantritt 1959 insgesamt zehn US-Präsidenten kommen und gehen sehen und nach eigenen Angaben 638 Attentate überlebt.

Vor vier Jahren hätte wohl kaum jemand damit gerechnet, daß der Comandante en Jefe diesen Tag noch erleben wird. Damals verschwand er am 31. Juli 2006 kurz vor seinem 80. Geburtstag von der internationalen Bühne, da er eine Darmblutung erlitten hatte, die eine komplizierte Operation erforderlich machte. In der Folge trat er zunächst vorläufig, Anfang 2008 dann endgültig von seinen politischen Ämtern zurück. Am 24. Februar wählte das Parlament seinen Bruder Raúl zum Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten. Die wenigen veröffentlichten Bilder zeigten den älteren Castro als abgemagerten, offenbar todkranken Mann, und im Januar 2009 sagte Fidel selbst, daß er das Ende der Amtszeit Barack Obamas im Jahr 2013 wahrscheinlich nicht mehr erleben werde. [1]

In jüngerer Zeit wirkte Castro jedoch auf den veröffentlichten Fotos zunehmend gesünder und am 7. Juli 2010 zeigte er sich bei einem Besuch des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNIC) erstmals seit seiner Erkrankung wieder in der Öffentlichkeit. Danach folgten zahlreiche öffentliche Auftritte, darunter auch eine Rede vor dem kubanischen Parlament, die der ehemalige Präsident offenbar bei guter Gesundheit bewältigte. Wenngleich über die Wiederkunft Castros vor allem im großen Lager seiner Gegner weiterhin gerätselt wird, ist man sich doch weithin einig, daß seine Rückkehr ins Rampenlicht angesichts der vielfältigen Probleme, mit denen sich Kuba konfrontiert sieht, zur rechten Zeit kommt und sein Bruder Raúl diese wertvolle Unterstützung gebrauchen kann.

Als Fidel Castro am Wochenende im Rahmen einer Sondersitzung den Plenarsaal betrat, brachen die 610 Abgeordneten minutenlang in stürmischen Beifall aus. Er ist nach wie vor Erster Sekretär der regierenden Kommunistischen Partei Kubas und hat unbestritten den Posten des Comandante en Jefe inne. Sein parlamentarischer Auftritt ist jedoch nicht mit einer Rückkehr in die Regierungspolitik gleichzusetzen. So äußerte er sich nicht zu den innenpolitischen Reformen in Wirtschaft und Administration, die sein fünf Jahre jüngerer Bruder Raúl wenige Tage zuvor bei einer regulären Parlamentssitzung angekündigt hatte. [2]

Stattdessen widmete er sich ausschließlich außenpolitischen Themen und warnte in der Nationalversammlung mit eindringlichen Worten vor einem atomaren Schlagabtausch, da es in diesem Fall keine Rettung für die Menschheit mehr gebe. Zugleich hob er die Verantwortung des US-Präsidenten hinsichtlich eines möglichen neuen Krieges hervor und unterstrich, daß sich Barack Obama dieser weitreichenden Verantwortung im Konflikt mit Nordkorea und dem Iran stellen müsse. Zudem sprach er auch den Fall der fünf Kubaner an, die seit zwölf Jahren in den USA gefangengehalten werden, weil sie erzreaktionäre Gruppierungen des kubanischen Exils in Florida unterwandert hatten. Er sei davon überzeugt, daß diese politischen Gefangenen in den kommenden Monaten in die Freiheit entlassen werden.

Nachdem die Rede des ehemaligen Staats- und Regierungschefs international ein enormes Medienecho nach sich gezogen hatte, gab Castro vier venezolanischen Pressevertretern ein Interview, das im kubanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin verlieh er seiner Erwartung Ausdruck, daß bis spätestens Dezember mit einer tiefgreifenden Wendung im Fall der "Cuban Five" zu rechnen sei. Auch warnte er in diesem Gespräch erneut vor der Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung auf Grund der aggressiven Politik Washingtons. Einer aktiven Rolle in der bilateralen Politik zwischen Kuba und den USA erteilte er jedoch mit den Worten eine Absage, das sei nicht seine Sache. Er spreche die Dinge nur aus.

Wenngleich außer Frage steht, daß Fidel Castros Stimme in Kuba nach wie vor großes Gewicht hat, und Raúl Castro stets unterstrich, daß er seinen Bruder in wichtigen Fragen konsultiert, scheint die neue Arbeitsaufteilung weiter Bestand zu haben. Fidel kündigte an, er werde am zweiten Teil seiner Memoiren arbeiten, nachdem der erste Band kürzlich in Havanna vorgestellt worden ist. Man kann dennoch davon ausgehen, daß die in jüngerer Zeit eingeleiteten Veränderungen der kubanischen Innenpolitik in enger Absprache der Brüder Castro erfolgt sind.

Bedrohliche Umstände und vermeintlich unüberwindbare Hindernisse haben Fidel Castro Zeit seines Lebens nicht davon abgehalten, seine Ziele mit größter Entschiedenheit zu verfolgen. Als er 1953 mit 112 Rebellen eine Kaserne angriff und damit im historischen Rückblick den offiziellen Beginn der kubanischen Revolution setzte, scheiterte der Überfall. Er überlebte jedoch und ging drei Jahre später mit 81 Genossen erneut in Kuba an Land, von denen er bereits in den ersten Tagen drei Viertel verlor. Mit nur 20 Mitstreitern nahm er den Kampf gegen Diktator Batista auf, der drei Jahre später kapitulierte. Obgleich Kuba von den Vereinigten Staaten mit Wirtschaftsblockade, Angriffen, Anschlägen und permanenter Propaganda bedroht wurde, unterstützte die Regierung in Havanna Freiheitsbewegungen in Afrika und Lateinamerika mit Worten und Waffen, Ärzten und Lehrern. Als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch der kubanische Entwurf verloren schien, bewältigte man die ungeheuren Widrigkeiten zum Leidwesen einer Heerschar feindlich gesonnener Kräfte auf bemerkenswerte Weise. [3]

In mehr als 47 Jahren an der Spitze Kubas war Fidel Castro nie ernsthaft krank, weshalb sein plötzlicher Rückzug aus der Öffentlichkeit, die er stets gesucht hatte, einen um so gravierenderen Einschnitt markierte, der weithin mit einem unmittelbar bevorstehenden Ende des bis dahin nicht preisgegebenen gesellschaftlichen Prozesses gleichgesetzt wurde. Das geflügelte Wort in US-Kreisen, die "Transformation" müsse eben bis zu Castros "Ausscheiden" warten, um danach fast automatisch zu greifen, erwies sich jedoch wie schon bei zahlreichen früheren Versuchen, das Finale im Streit der Systeme herbeizureden, als bloßes Wunschdenken.

Da man von kubanischer Seite Stillschweigen über alle Einzelheiten des Gesundheitszustands wahrte, stammen nun bekanntgewordene Informationen möglicherweise von einem spanischen Spezialisten, der zur Behandlung eingeflogen worden war. Die spanische Zeitung El País hat den Versuch unternommen, Castros Krankheit und Genesung zu rekonstruieren. Demnach litt er an einer Entzündung und Blutungen des Dickdarms. Er wurde in der Nacht zum 27. Juli 2006 operiert und brauchte in 72 Stunden acht Liter Blut. Dieser Version zufolge entfernten die Ärzte um seinen Leibchirurgen Eugenio Shelman ein Stück Darm. Komplikationen wie Fisteln und eine Bauchfellentzündung brachten ihn an den Rand des Todes, worauf er sieben Monate lang künstlich ernährt werden mußte. [4] Die spärlichen Fotos zeigten Castro als hageren Mann auf dem Krankenlager, später auch mit erkennbarer Mühe aufrechtstehend im Trainingsanzug. Als er später ausländische Besucher wie etwa den befreundeten venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez empfing, gaben auch diese nichts preis, was Castro und dem gemeinsamen politischen Anliegen zum Nachteil gereicht hätte. [5] Daß es Fidel Castro schließlich gelang, diese schwere Krankheit zu bezwingen, kommentierte der argentinische Soziologe Atilio Borón, der Gelegenheit hatte, ihn zu besuchen, mit den bewundernden Worten: "Sein Wille ist unbeugsam!"

Voller Argwohn verfolgte die internationale bürgerliche Presse, wie Fidel Castro in diesem Sommer Schritt für Schritt in die Öffentlichkeit zurückkehrte. Nach seinem Besuch des Nationalen Forschungszentrum CNIC nahm er an einer Talkshow des kubanischen Fernsehens teil, zeigte sich dann im Zentrum für Weltwirtschaftsstudien, im Nationale Ozeanarium und schließlich im Außenministerium, worauf er sich mit jungen kubanischen Kommunisten, dem Außenminister Chinas und venezolanischen Journalisten traf. Den vorläufigen Höhepunkt stellte schließlich seine Rede auf der außerordentlichen Tagung des kubanischen Parlaments dar, die auf seine Bitte einberufen wurde. [6]

Angesichts seiner Rückkehr schießen einmal mehr Spekulationen ins Kraut, bricht sich Häme angesichts der ökonomischen Probleme Kubas Bahn, feiern Vorwürfe und Spaltungsversuche Urstände. Nachdem man Fidel Castro ein halbes Jahrhundert lang des Personenkults bezichtigt hat, kann man einfach nicht anders, als den kubanischen Gesellschaftsentwurf zu seiner privaten Obsession zu erklären, die er mit wenigen alternden Kampfgefährten teilt. Daß Kuba trotz seiner schweren Krankheit und langen Abwesenheit vom tagespolitischen Geschehen keineswegs zusammengebrochen ist, übersieht man geflissentlich. Die Kritiker scheinen derart in ihren Stereotypien gefangen zu sein, daß sie in dem karibischen Inselstaat nur eine Diktatur erkennen können, die ihrer eigenen Definition zufolge freilich gar nicht mehr existieren dürfte.

An dieser Stelle bietet sich eine aktuelle Äußerung Fidel Castros als geeignete Antwort an. Bei seinem Treffen mit den venezolanischen Journalisten verwies er darauf, daß seine Aufgabe darin bestehe, "zu analysieren und Ratschläge zu machen". "Den Genossen (im kubanischen Parlament) brauche ich nicht mit dem Finger zu zeigen, was sie zu tun haben."

Anmerkungen:

[1] Fidel Castro: Nie war er so wertvoll wie heute (13.08.10)
http://latina-press.com/news/39927-fidel-castro-nie-war-er-so-wertvoll-wie-heute/

[2] Fidel Castro meldet sich im Rampenlicht zurück (11.08.10)
http://www.neues-deutschland.de/artikel/177185.fidel-castro-meldet-sich-im-rampenlicht-zurueck.html

[3] Castro wird 84. Das große Fest des Maximo (12.08.10)
http://www.ksta.de/html/artikel/1281431608682.shtml

[4] Kuba: Fidel Castro. Der Chefkommandant ist zurück (13.08.10)
http://www.sueddeutsche.de/politik/kuba-fidel-castro-der-chefkommandant-ist-zurueck-1.987732

[5] Fidel Castro. 84 Jahre und ein bisschen leise (13.08.10)
http://www.fr-online.de/politik/84-jahre-und-ein-bisschen-leise/-/1472596/4552384/-/index.html

[6] Fidel wird 84: Der agile Greis "analysiert und gibt Ratschläge" (13.08.10)
http://german.ruvr.ru/2010/08/13/15582945.html

13. August 2010