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LATEINAMERIKA/2448: Diplomatisches Armdrücken - Washington provoziert Caracas (SB)


USA entziehen venezolanischem Botschafter das Visum


Mag auch die hegemoniale Faustformel, Lateinamerika sei der Hinterhof der USA, inzwischen nicht mehr salonfähig sein, so haben die Vereinigten Staaten doch ihren Anspruch auf die Ressourcen des Kontinents nie aufgegeben. Wie für jedermann zugänglich in der Militärdoktrin nachzulesen steht, stuft man in Washington den ungehinderten Zugriff auf Bodenschätze, Agrarflächen, landwirtschaftliche Produkte, Wasser und Artenvielfalt als Frage der nationalen Sicherheit ein, die im Zweifelsfall mit Waffengewalt zu gewährleisten sei. Dies impliziert um so mehr die Verfügung über die dort lebenden Menschen, die als Arbeitskräfte ausgebeutet oder als überflüssige Last ausgegrenzt und nicht selten auch mit repressivsten Mitteln drangsaliert werden, sofern sie ihrer Verwertung Widerstand entgegensetzen.

Die Hegemonialmacht bedient sich der einheimischen Eliten, deren Existenzweise zu Lasten einer im Elend lebenden Bevölkerungsmehrheit der sicherste Garant für eine effektive Statthalterschaft ist. Begehrt eine Regierung gegen diese Abhängigkeit auf und weist die Vorherrschaft der USA zurück, um die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern, regionalen Bündnissen den Vorzug zu geben und die Handelsbeziehungen zu diversifizieren, droht ihr der Putsch, an dem die USA unmittelbar oder in verdeckter Form beteiligt sind. Venezuela, Haiti und Honduras stehen für die jüngsten, doch gewiß nicht die letzten Umsturzversuche oder gelungenen Staatsstreiche, bei denen Washington Regie führte.

Dem gescheiterten Putsch gegen Präsident Hugo Chávez im April 2002 ging eine massive Einflußnahme voraus, die mittels Propaganda, Finanzierung der Opposition und Förderung von Unruhen die Lage im Land zu destabilisieren trachtete. Ohne diese Maßnahmen aufzugeben, setzt man seither verstärkt auf die Bezichtigung, die Regierung in Caracas arbeite heimlich mit der Guerilla im Nachbarland Kolumbien wie auch der baskischen ETA zusammen. Da die FARC von den USA wie auch der Europäischen Union als "terroristische Organisation" eingestuft wird und die ETA in Europa demselben Verdikt unterliegt, versucht man über diese Konstruktion den Strick zu drehen, Venezuela fördere den "internationalen Terrorismus".

Zweifellos strebt man in Washington die Verhängung von Sanktionen gegen Venezuela an, der dann ein legalisierter Angriffskrieg folgen könnte. Wenngleich diese Entwicklung derzeit unwahrscheinlich erscheinen mag, liegt der strategische Bogen fortgesetzter Bezichtigung so klar auf der Hand, daß man diese Gefahr keinesfalls ausschließen und aus dem Blick verlieren sollte. Zwar sind die Streitkräfte der USA gegenwärtig an anderen Kriegsschauplätzen gebunden, doch sprechen die US-Stützpunkte in Kolumbien, die Reaktivierung der 4. US-Flotte oder die Merida-Initiative in Mexiko eine deutliche Sprache: Auch im geostrategischen Nebenlauf sind die USA willens und in der Lage, ihren Zugriff auf die Länder Lateinamerikas fortzusetzen.

Vor diesem Hintergrund läßt sich die aktuelle Kontroverse zwischen Washington und Caracas um die Besetzung des Botschafterpostens in der venezolanischen Hauptstadt angemessen bewerten. Bereits im August lehnte Präsident Chávez den designierten US-Botschafter Larry Palmer ab. Dieser hatte im Rahmen seines Nominierungsverfahrens bei einer Befragung vor dem US-Senat dem venezolanischen Militär eine "niedrige Moral" attestiert und einen angeblich zunehmenden Einfluß Kubas auf die Streitkräfte kritisiert. Auch die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Privateigentum sah er in Gefahr. Überdies warf Palmer Venezuela vor, die kolumbianische FARC-Guerilla zu unterstützen. Venezolanische Regierungsvertreter und Parlamentarier kritisierten diese Äußerungen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihres Landes. [1]

Es waren nicht nur abfällige Äußerungen über das künftige Gastland, die einem Chefdiplomaten grundsätzlich schlecht zu Gesicht stehen, sondern offensive Bezichtigungen auf den sattsam bekannten Schienen. Präsident Chávez erklärte daraufhin in seiner wöchentlichen Fernseh- und Radioshow "Aló Presidente", Palmer könne unmöglich als Botschafter nach Venezuela kommen, und forderte US-Präsident Barack Obama auf, "sich nach einem anderen Kandidaten umzusehen". Nach Protesten des Außenministeriums in Caracas erklärte die US-Regierung jedoch, sie teile Palmers Auffassung.

Als sei nicht das Geringste vorgefallen, kündigte die US-Regierung im Dezember an, sie werde Palmer in Kürze nach Caracas schicken. Darauf erklärte das venezolanische Außenministerium, das Festhalten an der Nominierung sei eine Provokation. Der designierte US-Botschafter habe Venezuelas Politik in der Vergangenheit hart angegriffen und seine Institutionen beleidigt. Präsident Chávez fügte dem hinzu: "Falls er wirklich in Venezuela landen sollte, so haltet ihn am Flughafen fest, überreicht ihm einen Kaffee von mir und sagt dem Herrn Palmer gleichzeitig 'bye, bye'".

Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen faßte die venezolanische Regierung noch einmal ihre Kritik zusammen. Der stellvertretende Außenminister Temir Porras übergab der US-Botschaft in Caracas eine Protestnote, in der andauernde Angriffe aus den USA gegen die Staatsführung des südamerikanischen Landes beanstandet wurden. In dem Dokument wurde auch die Akkreditierung Palmers erneut abgelehnt.

Vor wenigen Tagen bekräftigte Präsident Chávez in einer Fernsehansprache, daß er den designierten US-Botschafter Larry Palmer in Caracas nicht akzeptieren werde. Dafür nehme er eine mögliche Ausweisung des venezolanischen Botschafters in Washington oder den Abbruch der diplomatischen Beziehungen in Kauf. "Nun, laßt sie machen, was immer sie wollen. Aber dieser Mann wird nicht kommen", sagte Chávez. In Reaktion auf diese Äußerung teilte das US-Außenministerium mit, man wolle an Palmer festhalten, der allerdings noch nicht vom US-Senat bestätigt ist. [2]

Wie der stellvertretende Außenminister Venezuelas nun mitgeteilt hat, haben die USA dem venezolanischen Botschafter in Washington, Bernardo Alvarez, das Visum entzogen. Diese Angaben wurden vom Informationsministerium in Caracas bestätigt. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Mark Toner, gab dazu in Washington folgende Erklärung ab: "Ja, wir haben gesagt, daß es Konsequenzen geben würde, wenn die venezolanische Regierung die Vereinbarung hinsichtlich unseres Nominierten Larry Palmer außer Kraft setzt." Toner bezeichnete die Reaktion der USA als "angemessen, verhältnismäßig und auf Gegenseitigkeit beruhend". Durch den Entzug des Visums kann Alvarez, der derzeit in seinem Heimatland Urlaub macht, vorerst nicht wieder in die USA einreisen. Die Maßnahme läßt sich allerdings schnell rückgängig machen. [3]

Da die USA aus dem südamerikanischen Land knapp eine Million Barrel Öl pro Tag beziehen, würde Washington lieber heute als morgen eine willfährige Regierung in Caracas sehen. Ein Armdrücken auf diplomatischer Ebene ist mithin nicht neu in den angespannten Beziehungen zwischen den USA und Venezuela. So waren wegen der Kontroverse um die US-Militärstützpunkte in Kolumbien zwischen September 2008 und Juni 2009 die Botschafter im jeweils anderen Land abgezogen. [4]

"Unsere Position ist weiter die, daß wir glauben, daß es in unserem nationalen Interesse liegt, die diplomatischen Beziehungen zu Venezuela aufrechtzuerhalten", versuchte Außenamtssprecher Toner den Eindruck zu erwecken, der US-Regierung sei nicht im mindesten an diesem Streit gelegen. Chávez der unbegründeten Aggression gegen die USA zu bezichtigen, gehört zum Standardrepertoire der Provokation gegen die venezolanische Regierung.

Anmerkung:

[1] USA ignorieren Ablehnung von Botschafter (19.12.10)
http://amerika21.de/meldung/2010/12/18251/chavez-palmer

[2] USA sperrt venezolanisches Botschafter-Visum: Diplomaten-Streit spitzt sich zu (30.12.10)
http://www.stern.de/panorama/usa-sperrt-venezolanisches-botschafter-visum-diplomaten-streit-spitzt-sich-zu-1638556.html

[3] Streit um Botschafter. Chávez und Obama liefern sich Diplomaten- Krieg (30.12.10)
http://www.welt.de/politik/ausland/article11892964/Chavez-und-Obama-liefern-sich-Diplomaten-Krieg.html

[4] Diplomatische Scharmützel zwischen den USA und Venezuela. Botschafter sind im jeweils anderen Land nicht erwünscht (30.12.10)
http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/usa_venezuela_streit_botschafter_1.8936281.html

30. Dezember 2010