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MEDIEN/429: Al Jazeera im Visier von McChrystals Info-Kriegern (SB)


Al Jazeera im Visier von McChrystals Info-Kriegern

Regime Hamid Karsais in Kabul nimmt zwei Journalisten als Geisel


Unschuldige Journalisten bei der pflichtmäßigen Ausübung ihres Berufs zu hindern und damit die Kontrolle staatlicher Behörden durch die "Vierte Gewalt" zu vereiteln, das geschieht nur in "Unrechtsregimen" wie Nordkorea, wo die beiden US-Reporter Laura Ling and Euna Lee vor wenigen Tagen wegen Grenzverletzung zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, oder dem Iran, wo die Amerikanerin Roxana Saberi wegen Spionage im April eine Freiheitsstrafe von acht Jahren erhielt. So in etwa dürfte das gängige Urteil bei uns in den westlichen Industriestaaten lauten, und das ungeachtet der Tatsache, daß unklar ist, warum Ling und Lee sich von der chinesischen auf die nordkoreanische Seite des Flusses Tumen begaben und damit den illegalen Grenzübertritt begingen, und daß sich Saberi nach Angaben ihres eigenen Anwaltes - siehe den Bericht der New York Times vom 14. Mai "Lawyer Says Reporter Had Iran Document" - im illegalen Besitz eines geheimen Berichts aus dem Büro des iranischen Präsidenten zum Thema der US-Invasion des Iraks 2003 befand. Dieser Umstand sowie die zahlreichen Reisen der NPR-Reporterin nach Israel lassen erkennen, daß die Behörden in Teheran sehr wohl haben Milde walten lassen, als sie am 11. Mai Saberis Urteil auf zwei Jahre auf Bewährung reduzierten und die Amerikanerin iranischer Abstammung zu ihrer Familie in den USA ausreisen ließen.

Bedenkt man den breiten Raum, der diesen beiden Fällen in den letzten Wochen und Monaten in den amerikanischen und internationalen Medien eingeräumt wurde, kann man angesichts des Desinteresses am Schicksal zweier in Afghanistan verhafteter Reporter des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera nur von Einseitigkeit und Scheinheiligkeit reden. Einerseits läuft das volle mediale Programm mit sympathieerweckenden Profilen der vermeintlich zu Unrecht verfolgten Verteidiger der Presse- und Meinungsfreiheit und das übliche diplomatische Brimborium an, andererseits herrscht völliges Schweigen vor. Wäre der Schattenblick auf der Website Information Clearinghouse nicht auf einen eigenen Bericht von Al Jazeera gestoßen, wüßte er auch nichts von der Inhaftierung der beiden Redakteure Qais Azimy und Hameedullah Shah. Offenbar sind Azimy und Shah von den afghanischen Behörden als Geisel genommen worden. Für ihre Freilassung fordert die afghanische Regierung von Präsident Hamid Karzai die Aushändigung jenes Bild- und Tonmaterials, das als Grundlage für einen Bericht, der am 11. Juni bei Al Jazeera English ausgestrahlt wurde und bei dem es um die zunehmenden Aktivitäten der Taliban in der bisher relativ ruhig gebliebenen Nordprovinz Kundus ging.

In einem Interview für den Bericht, das am Tag der Ausstrahlung geführt worden war, hatte Azimy mit einem nicht identifizierten und nicht zu erkennenden Taliban-Kommandeur gesprochen, der behauptete, ihm unterstünden Hunderte von Kämpfern und er habe bereits zwölf Selbstmordattentäter, die er jederzeit auf tödliche Mission losschicken könnte. Am Tag nach der Ausstrahlung wurde Azimy in das Hauptquartier des afghanischen Geheimdienstes bestellt. Während er der Anweisung folgte, wurde Shah, der eigentlich für Al Jazeera Arabic arbeitete, im Kabuler Büro des Nachrichtensenders von zwei Sicherheitsbeamten verhaftet. Seitdem sind beide Männer verschwunden. David Chater, der preisgekrönte englische Kriegskorrespondent, der derzeit Leiter des Al-Jazeera-Büros in Kabul ist, hat seit Tagen trotz seiner Appelle an Präsident Karsai nichts von den beiden Kollegen gehört. In dem auf den 16. Juni datierten Bericht auf der Website von Al Jazeera wurde Chater wie folgt zitiert:

Wir wissen nicht, welche Anklage man gegen sie erhebt. Wir wissen nicht, wann sie freigelassen werden könnten. Wir wissen absolut gar nichts.

Mitglieder der Geheimdienste, die unsere beiden Mitarbeiter gefangenhalten ... werfen uns vor, etwas, das einseitig war und keine Aussage eines Regierungsvertreters enthielt, produziert zu haben.

Das ist eindeutig nicht der Fall. Wir interviewten gleichzeitig den Kommandeur der deutschen Streitkräfte in Kundus, und er hat seinen Standpunkt deutlich erklärt. Es war ein ausgewogener Bericht.

Des weiteren werfen sie uns vor, gefälschtes Material gedreht und dabei inszenierte Aktivitäten der Taliban aufgenommen zu haben. Qaiz Azimy und ich kennen sehr wohl den Unterschied zwischen echten und inszenierten Nachrichtenbildern, und das haben wir nicht getan.

Es scheint, als sollten wir dafür büßen, unbequeme und bittere Wahrheiten mit unseren Berichten transportiert zu haben.

Das bedeutet, daß schon wieder irgend jemand, irgendwo in Kabul sowie in der Regierung den Überbringer der Botschaft abschießen will.

In den letzten Jahren haben die Mitarbeiter von Al Jazeera immer wieder den Unmut vor allem des amerikanischen Militärs über die vermeintlich allzukritische Berichterstattung des Senders zu spüren bekommen. Bei der Einnahme Bagdads wurde am 8. April 2003 das Al- Jazeera-Büro in der irakischen Hauptstadt von der US-Luftwaffe, die zuvor vom Sender in einem Akt des Selbstschutzes die Koordinaten des Gedäudes übermittelt hatte, mit mehreren Raketen angegriffen und der Reporter Tarek Ayoub getötet. Im November 2005 wurde bekannt, der damalige US-Präsident George W. Bush habe im Jahr zuvor im Gespräch mit dem damaligen britischen Premierminister Tony Blair angeregt, die Al-Jazeera-Zentrale in Katar in die Luft zu jagen und es aussehen zu lassen, als stecke hinter dem Anschlag Osama Bin Ladens Al Kaida.

Angesichts der Verschlechterung der militärischen Lage für die USA und ihre NATO-Verbündeten in Afghanistan muß man in nächster Zeit mit allerlei perfiden Propagandatricks dort rechnen. Gerade an dem Tag, an dem die beiden Al-Jazeera-Mitarbeiter Azimy und Shah in Kabul verhaftet bzw. verschleppt wurden, berichtete die in Dubai erscheinende, halbstaatliche, englischsprachige Khaleej Times unter Verweis auf die Nachrichtenagentur Agence France Presse, daß die USA und die NATO erheblich mehr Ressourcen in den "Informationskrieg" am Hindukusch investieren wollten, um die Taliban zu besiegen. Der Titel des Artikels lautete "US plans push for 'information war' in Afghanistan". Vor dem Hintergrund des Antrittsbesuchs des neuen Oberkommandierenden der ausländischen Streitkräfte in Afghanistan, Generalleutnant Stanley McChrystal, dem ein zweifelhafter Ruf als Leiter der US-Spezialstreitkräfte im Irak vorausseilt, in der NATO-Zentrale in Brüssel - eine Stippvisite während der Reise von den USA nach Zentralasien - hieß es im Bericht der Khaleej Times:

Regierungsvertreter der USA und der NATO betrachten public relations immer mehr als entscheidend, um gegenüber den Militanten, die ihre Botschaft per Radio, Internet und Mobiltelefon verbreiten, die Oberhand zu gewinnen.

In diesem Zusammenhang war die Rede von 45 Kommunikationsberatern - 11 für die Regierung in Kabul und 34 für die afghanischen Provinzen - deren Kosten - Sold, Mitarbeiter, Ausrüstung usw. - aus den Entwicklungsgeldern für Afghanistan beglichen werden sollen. In dem Bericht wurde zudem McChrystals unmittelbarer Vorgesetzter General David Petraeus, der einst US-Oberbefehlshaber im Irak war und seit einiger Zeit die Leitung des für den Nahen Osten und Zentralasien zuständigen CENTCOM innehat, dahin gehend zitiert, daß im Afghanistankrieg künftig die NATO und ihre PR-Spezialisten "die ersten mit der Wahrheit sein" müßten. Vielleicht waren David Chaters Al-Jazeera-Kollegen mit ihrem Bericht aus Kundus einfach zu schnell.

17. Juni 2009