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MEDIEN/437: US-Reporter wegen Berichts zu CIA-Blamage vorgeladen (SB)


US-Reporter wegen Berichts zu CIA-Blamage vorgeladen

James Risen soll seine Quellen zum Thema Operation Merlin preisgeben


Die alle fünf Jahre einberufene Überprüfungskonferenz zum Nicht-Proliferationsvertrag, die diesmal vom 3. bis zum 28. Mai im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York City stattfindet, steht ganz im Zeichen des "Atomstreits" zwischen den USA und dem Iran. Die Regierung von US-Präsident Barack Obama will nach eigenen Angaben die Gelegenheit nutzen, um Stimmung für ihren Plan zu machen, vom UN-Sicherheitsrat eine vierte Runde von diplomatischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran - diesmal sollen es "lähmende" sein - verhängt zu bekommen.

Deswegen sind die Amerikaner über die geplante Anreise Mahmud Ahmadinedschads unglücklich, weil der iranische Präsident bei seinem Auftritt am 3. Mai auf der Überprüfungskonferenz höchstpersönlich den Vorwurf, Teheran baue unter dem Deckmantel seines Kernenergieprogramms heimlich an der Atombombe, zurückweisen und die Sonderbehandlung, die der Westen Israel mit seinem angeblich mehr als 200 Wasserstoffbomben zuteil werden läßt, beklagen wird. Aus diesem Grund zieht Hillary Clinton seit Tagen gegen Ahmadinedschad zu Felde, bezeichnete diesen wegen seiner antizionistischen Ausfälle als "Antisemiten" und kündigt an, man werde nicht zulassen, daß der iranische Präsident auf der Konferenz "Verwirrung" stifte, so die US-Außenministerin am 28. April auf einer Pressekonferenz in Washington zusammen mit ihrem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski. Zu diesem Zweck will die ehemalige First Lady und Senatorin aus New York auf der UN-Konferenz ziemlich bald nach Ahmadinedschad selbst auftreten, um der möglichen Wirkung der Rede von Amerikas jüngstem Hauptfeind so schnell wie möglich entgegenzutreten.

In einem entsprechenden Bericht der Nachrichtenagentur Agence France Presse über die Pressekonferenz Clintons und Sikorskis hieß es, Obamas Chefdiplomatin habe als Beispiele für Irans angebliche Nicht-Einhaltung des Nicht-Verbreitungsvertrages den letztes Jahr bekannt gewordenen, zunächst verheimlichten Bau einer Atomanlage bei Qom und die Mißachtung der dreimaligen Aufforderung des UN-Sicherheitsrats nach Einstellung der Urananreicherung genannt. Daß es sich hier um tatsächliche Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag handelt, ist unter internationalen Rechtsexperten umstritten. Ihrerseits vertreten die Iraner den Standpunkt, daß die heimlichen Vorarbeiten an besagter Anlage legal waren, denn man hatte die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) rechtzeitig, das heißt mindestens sechs Monate vor der Inbetriebnahme, über die Existenz der Installation informiert, und daß der UN-Sicherheitsrat auf keine Weise befugt ist, das Recht der Islamischen Republik auf Zugang zu allen Aspekten des nuklearen Kreislaufes zu beschneiden, solange sie sich an ihre Verpflichtungen nach dem Nicht-Proliferationsvertrag hält - was zu tun, Teheran stets beteuert.

An der Erklärung Clintons fällt auf, daß die Außenministerin den Vorwurf, der Iran baue heimlich Atombomben und strebe nach deren Besitz, nicht ins Feld geführt hat. Die Zurückhaltung Clintons hängt eventuell mit der Dürftigkeit der Informationen, welche die unlauteren Absichten bzw. Bestrebungen Teherans auf diesem Gebiet belegen sollen, zusammen. Die am meisten belastenden Beweise sollen Dokumente auf einem Laptop sein, der irgendwann angeblich aus dem Iran herausgeschmuggelt wurde und der seit 2004 im Besitz der USA sein soll. In amerikanischen und israelischen Geheimdienstkreisen heißt es, die Dokumente enthielten technische Erörterungen der Iraner bezüglich der Funktionsweise eines Atomsprengkopfes. Teheran hat die geheimnisumwitterten Laptop-Dokumente als Finte, hinter der eventuell der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad steht, bezeichnet. Unabhängige Analysten wie der US-Historiker Gareth Porter, der sich eingehend mit dem Thema befaßt und darüber seit 2008 mehrere aufschlußreiche Artikel für die Nachrichtenagentur Inter Press Service geschrieben hat, sind zur ähnlichen Schlußfolgerung gekommen und sehen diese durch die Weigerung Washingtons, Teheran Einblick in die Dokumente zu gewähren, die nicht einmal auf persisch, sondern auf englisch verfaßt sein sollen, bestätigt.

Wenn der Iran tatsächlich Pläne zum Bau von Atomsprengköpfen besitzt, dann stammen diese aller Wahrscheinlichkeit nach aus den USA, und zwar direkt vom Hauptquartier der Central Intelligence Agency (CIA) in Langley, Virginia. Dies wissen wir seit der Veröffentlichung des Buchs "State of War: The Secret History of the C.I.A. and the Bush Administration", das 2006 in den USA erschienen ist. Damals sorgte das Buch wegen der darin zu findenden Einzelheiten der von George W. Bush 2001 angeordneten illegalen, weil ohne die im Einzelfall gesetzlich vorgeschriebene richterliche Genehmigung erfolgten Überwachung des kompletten US-Telefon- und E-Mail-Verkehrs durch die National Security Agency (NSA) weltweit für Aufsehen.

Die Umstände der Enthüllung dieses Überwachungsprogramms, das sowohl gegen geltendes Recht - das Foreign Surveillance Intelligence Act (FISA) von 1978 - als auch gegen den Vierten Zusatz der amerikanischen Verfassung, nämlich das Recht des Bürgers auf Schutz vor "unzumutbaren Durchsuchungen und Verhaftungen" durch staatliche Behörden, verstieß, stellten an sich einen Skandal dar, nur hat leider niemand davon großes Aufheben gemacht. Bereits 2004 hatten Risen und sein NYT-Reporterkollege Eric Lichtblau von der Existenz des illegalen Programms erfahren und wollten mit ihrer Exklusivgeschichte an die Öffentlichkeit gehen. Doch nach einer Krisensitzung mit den eventuellen Hauptleidtragenden einer Veröffentlichung, Präsident Bush und Vizepräsident Dick Cheney, im Oval Office haben Arthur Sulzberger jun. und Bill Keller, Herausgeber und Chefredakteur von Amerikas einflußreichster Zeitung, den Bericht zunächst einmal unter Verschluß gehalten. Später behaupteten sie, sie hätten dies aus Rücksicht auf die "nationale Sicherheit" getan. Wie dem auch sei. Tatsächlich haben sie mit der Unterdrückung der explosiven Geschichte dazu beigetragen, daß Bush jun. im November desselben Jahres für vier weitere Jahre ins Amt gewählt wurde.

2005 gerieten Sulzberger jun. und Keller unter Zugzwang, als der Termin für die Veröffentlichung von Risens Buch "State of War", in dem Bushs großer Lauschangriff eingehend behandelt wird, näher rückte. Notgedrungen stimmten sie der Veröffentlichung des später preisgekrönten Risen-Lichtblau-Artikels "Bush Lets U.S. Spy on Callers Without Courts" zu, der in der NYT-Print-Ausgabe vom 5. Dezember 2006 erschien und einen zwei Jahre lang dauernden Streit zwischen Kongreß und Weißem Haus auslöste. Erst im Sommer 2008 wurde der politische Disput beigelegt, und zwar durch das vom Kongreß verabschiedete FISA-Novellierungsgesetz, das nachträglich die Illegalität des von Bush angeordneten NSA-Sonderprogramms aufhob und den Weg für ähnliche Praktiken in der Zukunft freimachte. Auch der damalige Senator und Präsidentschaftsbewerber Barack Obama hat entgegen anderslautender Zusicherungen für das umstrittene Gesetz gestimmt.

Letzteres Detail der Geschichte erklärt vielleicht, warum die Obama-Regierung jetzt gegen Risen wegen seiner damaligen Enthüllung einer angeblich mißlungenen CIA-Operation gegen den Iran vorgeht. Im zweiten Kapitel des Buchs "State of War" hatte sich Risen mit der sogenannten "Operation Merlin" befaßt. Im Rahmen dieser besonders ambitionierten, dafür um so risikoreicheren Aktion hatte die CIA um die Jahrtausendwende über einen russischen Kontaktmann in Wien den Iranern fehlerhafte Konstruktionspläne für einen Nuklearsprengkopf unterjubeln und ihr Streben nach der Atombombe um Jahre zurückwerfen wollen. Laut Risen hat der Russe, der selbst Atomwissenschaftler war, die Blaupausen vor der Übergabe jedoch selbst inspiziert, die Kontruktionsfehler entdeckt, seine iranischen Kunden darauf aufmerksam gemacht und ihnen Korrekturvorschläge unterbreitet. Auf diesem verschlungenen Weg soll Tehran in den Besitz von Plänen zum Bau eines funktionstüchtigen Atomsprengkopfs gelangt sein.

Der Ausgang von "Operation Merlin" war und ist bis heute für "die Firma" hochgradig peinlich. Deshalb wollen offenbar die US-Behörden mit allen Mitteln herausfinden, woher Risen seine Informationen darüber hatte. Man ermittelt gegen Unbekannt und hat deswegen den Pulitzerpreisträger gerichtlich vorgeladen. Am 4. Mai soll sich der angesehene NYT-Journalist dem Bundesgericht in Arlington, Virginia, präsentieren, sich dort einer Befragung durch Anwälte des Justizministeriums unterziehen lassen und ihnen alle relevanten Dokumente, die sich in seinem Besitz befinden, vorlegen. Einem NYT-Artikel vom 29. April zufolge beabsichtigt Risen, der Vorladung nicht zu folgen. 2008, noch während des letzten Amtsjahres von Bush jun., hatte er sich einer Vorladung des damaligen Justizministers Michael Mukasey erfolgreich widersetzt. Jene Vorladung lief Mitte 2009 aus. Ihre Erneuerung durch Mukaseys Nachfolger Eric Holder läßt darauf schließen, daß die Obama-Regierung mit der vollen Härte des Gesetzes gegen Risen vorgehen will. Sollte dieser bei seiner Position bleiben und vom Richter deshalb der Mißachtung des Gerichts schuldig gesprochen werden, droht ihm sofortige Einweisung ins Gefängnis und Verbleib dort, bis er einlenkt.

3. Mai 2010

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REZENSION/304: James Risen - State of War (US-Sicherheitspolitik)