Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

MEDIEN/461: Reporter James Risen droht Haft wegen Quellenschutz (SB)


Reporter James Risen droht Haft wegen Quellenschutz

Enthüllungsjournalisten haben es in Obamas Amerika immer schwerer



In den USA werden die Zeiten für Journalisten, welche ihre Aufgabe ernst nehmen, als Vertreter der "vierten Gewalt" Mißstände bei Exekutive, Judikative und Legislative aufzudecken, publik zu machen und so das Abdriften der Demokratie in die Tyrannei zu verhindern, zunehmend rauher. Am 19. Juli hat das Appellationsgericht des vierten US-Bundesbezirks in Richmond, Virginia, einer Klage des Justizministeriums gegen eine Entscheidung in erster Instanz, wonach James Risen, ein angesehener Reporter der New York Times, Informationen über eine Quelle für sich behalten darf, stattgegeben. Bei dem Streit geht es um den strafrechtlichen Prozeß gegen den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Jeffrey Sterling, der verdächtigt wird, Risen vertrauliches, wie zugleich für die US-Regierung belastendes Material für das 2006 erschienene Buch "State of War" [1] ausgehändigt zu haben. Risens Anwälte prüfen derzeit einen Gang vor den Obersten Gerichtshof. Der Pulitzerpreisträger selbst hat angekündigt, eher ins Gefängnis zu gehen, als vor Gericht eine belastende Aussage über seinen mutmaßlichen Informanten zu machen.

Bei dem Disput zwischen Risen und der Administration Barack Obamas stehen Grundelemente der Pressefreiheit in den USA auf dem Spiel. Schließlich hat das Appellationsgericht in einer Mehrheitsentscheidung von zwei zu eins geurteilt, daß sich aus dem ersten Zusatz der US-Verfassung, der die Meinungs-, Presse-, Religions- und Versammlungsfreiheit garantiert, "kein Sonderrecht, weder absolut noch qualifiziert in Bezug auf Aussagen" ableiten läßt, "das einen Reporter davor schützt, bei einem strafrechtlichen Prozeß ... zur Aussage gezwungen zu werden". Schließt sich der Oberste Gerichtshof in Washington diesem Urteil an, dann steht Risen vor einer schweren Entscheidung - Freiheitsentzug oder Auspacken -, während sich die Voraussetzungen der Berichterstattung in den USA grundlegend verschoben haben.

Bereits im Sommer 2004 waren Risen und sein Kollege Eric Lichtblau hinter die illegale Überwachung des US-Internet- und Telefonverkehrs durch die National Security Agency (NSA) gekommen. Doch NYT-Inhaber Arthur Sulzberger jun. und sein Chefredakteur Bill Keller haben die fertige Titelgeschichte zurückgehalten, um die Wiederwahl von George W. Bush als Präsident nicht zu gefährden. Erst Ende 2005 machte die einflußreichste Zeitung die vier Jahre zuvor von Bush angeordnete Aktion publik und löste damit eine heftige innenpolitische Debatte aus. 2006 kam "State of War" auf den Markt. In dem Buch behandelt Risen nicht nur die umstrittene NSA-Spähaktion, sondern berichtet auch von einer spektakulär fehlgeschlagenen Maßnahme der CIA gegen den Iran. Demnach hat der US-Auslandsgeheimdienst im Rahmen von "Operation Merlin" über einen russischen Mittelsmann in Wien versucht, den Iranern eine Blaupause für einen nicht-funktionierenden Atomsprengkopf unterzuschieben, um die Bemühungen Teherans in eine Sackgasse zu führen. Doch der Überbringer war selbst Atomphysiker, hat den oder die Fehler in der Blaupause entdeckt, aufgehoben und den Iranern eine korrigierte Version übergeben. Somit hat die CIA durch eigenes Verschulden Teheran den Bauplan einer funktionierenden Atombombe zur Verfügung gestellt. Peinlicher geht es wirklich nicht.

Nach dem Regierungswechsel 2009 in den USA hat der vermeintliche liberale Demokrat Obama das unternommen, wozu der konservative Republikaner Bush aufgrund innenpolitischen Widerstands nicht in der Lage gewesen wäre, nämlich eine regelrechte Treibjagd auf die sogenannten Whistleblower zu starten. Justizminister Eric Holder hat inzwischen in sieben Fällen Klage wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz von 1917 gegen Personen eingeleitet, die gesetzeswidrige Aktivitäten bei Militär und Geheimdienst der USA öffentlich gemacht haben. Zu den Verfolgten gehören unter anderem der Wikileaks-Informant Bradley Manning, dem derzeit lebenslange Haft droht, und der ehemalige CIA-Mitarbeiter John Kiriakou, der 2007 bei einem Fernsehauftritt die Existenz des Folterprogramms gegen "islamistische Terroristen" bestätigte und deshalb im Januar dieses Jahres zu 30 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Derzeit versucht die Obama-Regierung, die Auslieferung des flüchtigen, auf einem Moskauer Flughafen festsitzenden Ex-CIA-Mitarbeiters Edward Snowden zu erwirken, der seit Anfang Juni brisante Geheimdokumente über die gigantischen Ausspähoperationen der NSA im In- und Ausland veröffentlicht und damit Washington in schwere Erklärungsnot gegenüber den eigenen Verbündeten bringt. Im Kongreß fordern einige Politiker sogar eine Anklageerhebung gegen den in Brasilien lebenden US-Journalisten Glenn Greenwald, weil er Snowden geholfen hat, besagte Dokumente beim Guardian, der großen liberalen Zeitung Englands, zu plazieren. Wenige Wochen vor Beginn der Snowden-Affäre war bekannt geworden, daß FBI und Justizministerium bei der Suche nach Lecks im Regierungsapparat 2011 die E-Mail-Korrespondenz des Fox-News-Reporters James Rosen und 2012 die Telefone der Nachrichtenagentur Associated Press angezapft hatten. Lange Zeit galten die USA als dasjenige Land, in dem Enthüllungsjournalisten am freiesten arbeiten konnten. Doch wie Bob Dylan einst sang, "The Times, They Are a-Changin'" - nur leider nicht zum Positiven.


Fußnote:

[1] REZENSION/304: James Risen - State of War (US-Sicherheitspolitik) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar304.html

23. Juli 2013