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MEDIEN/482: Wikileaks - Funktionsopportunist Amnesty International ... (SB)


Wikileaks - Funktionsopportunist Amnesty International ...


Jahrelang haben Medien und Politik Julian Assange wegen seines Asyls in der ecuadorianischen Botschaft verspottet. Sie warfen ihm vor, sich dorthin geflüchtet zu haben, um nicht wegen des Vergewaltigungsvorwurfs nach Schweden ausgeliefert zu werden. Die Begründung des Wikileaks-Chefs, er fürchte um die Überstellung in die USA und einen Prozeß dort wegen Geheimnisverrats und Spionage, haben die allermeisten Medienkommentatoren einfach belächelt. Der "Frauenfeind" Assange spiele sich völlig zu Unrecht als Märtyrer für die freie Presse auf und verdiene keinerlei Sympathie, lautete der allgemeine Tenor. Seit der gestrigen Veröffentlichung einer 17 Punkte umfassenden Anklageschrift, die im Falle eines Schuldspruchs in allen Fragen vor dem Bundesgericht in Alexandria, Virginia, auf eine Freiheitsstrafe von 175 Jahren für Assange hinausliefe, steht fest, daß der Wikileaks-Chef kein realitätsfremder "Verschwörungstheoretiker" ist, sondern ein weit präziseres Urteilsvermögen als seine Kritiker von den Konzernmedien aufweist.

Seit der Aufkündigung des Asyls durch die Regierung in Quito am 11. April sitzt Assange im britischen Hochsicherheitstrakt Belmarsh. Dort verbüßt er eine einjährige Haftstrafe wegen Verstoßes gegen die Kautionsbedingungen im Jahr 2012. Anfang Mai haben die schwedischen Justizbehörden die Ermittlungen wegen des vermeintlichen Vergewaltigungsvorfalls 2010 in Stockholm neu aufgenommen (der eigentliche Fall war bereits 2017, nach eingehender Befragung Assanges durch schwedische Staatsbeamte in der Botschaft Ecuadors in London, wegen Mangels an Beweisen eingestellt worden). Damit steht die Möglichkeit offen, daß Assange nicht direkt von Großbritannien, sondern über den Umweg über Schweden in die USA ausgeliefert wird, was politisch für das Selbstverständnis des Vereinigten Königreichs als "Rechtsstaat" eine enorme Erleichterung wäre.

Bereits am 20. Mai hatten die Ecuadorianer sämtlichen Besitz von Assange aus der Zeit in der Botschaft, darunter Mobiltelefone, Computer, Festplatten - darauf angeblich seine Verteidigungsunterlagen -, staatlichen Vertretern der USA übergeben. Baltasar Garzón, der spanische Leiter des internationalen Anwaltteams, das Assange zu verteidigen versucht, bezeichnete die Beschlagnahmung und die Aushändigung von Assanges Wertsachen an dessen "politische Peiniger" als einen "einmaligen Angriff auf das Recht auf Verteidigung, auf die Meinungsfreiheit sowie auf den Zugang zu Informationen, was massive Menschenrechtsverletzungen offenbart". Seitens der Konzernmedien war wegen des ungeheuren Vorgangs keinerlei Aufschrei der Empörung zu vernehmen.

Die historisch erstmalige Anklage gegen den Verleger und Journalist Assange wegen des 17maligen Verstoßes gegen das Spionagegesetz der USA aus dem Jahr 1917 hat die Verantwortlichen bei den wichtigsten internationalen Presseorganen veranlaßt, immerhin gewisse Sorgen und Bedenken vorzutragen. Gelingt es dem Justizministerium in Washington, Assange wegen der Veröffentlichung und Verbreitung peinlicher Staatsgeheimnisse - in seinem Fall zu den Kriegen im Irak und Afghanistan sowie zu den Folterpraktiken im Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba - hinter Gitter zu bringen, dann ist jeder Journalist und Redakteur in den USA, der mit Hilfe von Whistleblowern staatliche Mißstände aufdeckt, in großer Gefahr. Gerade wegen dieser Implikation hatte die Administration von Barack Obama von einer Anklage gegen Assange wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz abgesehen.

Die Regierung von Donald Trump, die auf bisherige Gepflogenheiten im Politikbetrieb sowie im Justizwesen pfeift, hat da offenbar weniger Bedenken. Mit einer konservativen Richtermehrheit im Obersten Gerichtshof im Rücken schickt sich nun das Washingtoner Justizministerium an, jenes Recht auf Informationsfreiheit, das die New York Times 1971 mit der Veröffentlichung der Pentagon Papers - eine geheime Studie der RAND Corporation über den Vietnamkrieg - erstritten hat, einzukassieren. Damals entschied der Oberste Gerichtshof, die Enthüllung des Inhalts der von Daniel Ellsberg herausgeschmuggelten und an die New York Times weitergeleiteten Pentagon Papers sei durch den ersten Zusatz der US-Verfassung, der das Recht des Bürgers auf Informations- und Meinungsfreiheit garantiert, geschützt. Am Ende des Prozesses gegen Assange dürfte dieses elementare Recht so wie bisher nicht mehr bestehen.

Deswegen beklagte die New York Times in ihrer heutigen Ausgabe die Anklageerhebung gegen Assange als Angriff auf die freie Presse. Doch die Ermahnungen von Amerikas "Paper of Record" kommen viel zu spät und doppelzüngig daher. Seit zwei Jahren diffamiert die New York Times Assange als medialen Chaosstifter. Auch heute erklärte sie, Assange sei "kein Held", denn er hätte im Wahlkampf 2016 Emails der demokratischen Partei veröffentlicht, die der russische Geheimdienst zum Schaden von Hillary Clinton gehackt hätte. Für diese Behauptung gibt es, trotz zigfacher Wiederholung, bis heute nicht den geringsten Beweis. Assange hat stets bestritten, die fraglichen Emails von den Russen bekommen zu haben, sondern hat von einer eigenen Quelle bei den Demokraten gesprochen - eine These, die vom ehemaligen britischen Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, der nach eigenen Angaben am physischen Transport besagter Daten über den Atlantik persönlich beteiligt gewesen ist, bestätigt wird.

In der New York Times vertreten Alan Dershowitz, prominenter Juraprofessor der Universität Harvard, und der legendäre Investigativjournalist Seymour Hersh die Meinung, daß die Spionageanklage gegen Assange einen noch niemals dagewesenen Angriff auf die Pressefreiheit in den USA darstellt. Und dennoch weigert sich Amnesty international (AI), Assange in ihre Liste der politischen Gefangenen aufzunehmen. Eine schriftliche Aufforderung seit des Julian Assange Defence Committee vom 17. Mai ist von der führenden "Menschenrechtsorganisation" negativ beschieden worden. Man verfolge genau das behördliche Vorgehen in Großbritannien gegen Assange sowie gegen dessen Quelle Chelsea Manning in den USA, halte die beiden aber für keine "Gefangenen des Gewissens", so die Stellungnahme von AI, die im krassen Widerspruch zu den Feststellungen der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierung steht. Über das bewußte, um so beschämendere Wegschauen der AI-Leitung hatte die World Socialist Web Site am 23. Mai unter der Überschrift "Amnesty international declares Julian Assange 'not a prisoner of conscience'" ausführlich berichtet. Zusammen mit dem australischen Ausnahmejournalisten John Pilger und dem US-Onlineportal Consortium News hat sich die World Socialist Web Site in den zurückliegenden Jahren energisch für Assange und Manning eingesetzt.

24. Mai 2019


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