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MILITÄR/789: Israel setzt auf massive nukleare Abschreckung (SB)


Israel setzt auf massive nukleare Abschreckung

Uzi Arad richtet klare Botschaft an die Nachbarstaaten Israels


Angesichts des Scheiterns der sogenannten "grünen Revolution" im Iran gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad geht die Angst um eine Eskalation des Atomstreits einschließlich der Möglichkeit eines israelischen Überraschungsangriffs auf die Nuklearanlagen der islamischen Republik um. Gerade in den letzten Tagen trugen zweideutige Äußerungen des US-Vizepräsidenten Joseph Biden, Meldungen über ungewöhnliche Bewegungen der israelischen U-Boote vom Typ Delphin, die angeblich Atomraketen verschießen können, und ein Bericht der Londoner Sunday Times über heimliche Absprachen zwischen Tel Aviv und Riad über die Nutzung des saudischen Luftraums zur Erhöhung der Spannungen im Atomstreit bei. Für zusätzliche Verunsicherung sorgt nun Uzi Arad, der Nationale Sicherheitsberater Israels. In einem Zeitungsinterview hat der enge Vertraute von Premierminister Benjamin Netanjahu einen massiven Ausbau des israelischen Atomwaffenarsenals zwecks verbesserter Abschreckung der Nachbarstaaten angeregt.

Schätzungen zufolge verfügt Israel über rund 200 Atomsprengköpfe, die es in seinem nuklearen Forschungsanlage Dimona in der Wüste Negev gebaut hat, und mit F-16-Flugzeugen aus den USA sowie Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen über die passenden Trägersysteme, um diese tödlichsten aller Waffen zum jeweiligen Zielort befördern zu können. Seit die israelische Marine die Delphin-U-Boote aus Deutschland entsprechend umgerüstet und in Betrieb genommen hat, verfügen die Israelis sogar über eine Zweitschlagskapazität. Das bedeutet, daß jeder Feind davon ausgehen muß, daß die Israelis, selbst wenn er Israel mit einem eigenen massiven nuklearen Erstschlag überraschen sollte, immer noch etwas in der Hand hätten, womit sie fürchterlich rächen könnten.

Bisher ist Israel der einzige Staat im Nahen Osten, der die Atombombe besitzt. Das Atomwaffenmonopol der Israelis sorgt in der Region für Unmut. Die Nachbarstaaten sehen nicht ein, warum der Westen diesen Umstand akzeptiert, und spielen deshalb stets mit dem Gedanken, sich soweit mit der nuklearen Technik und der zivilen Kernenergie zu befassen, daß auch sie im Notfall Atomwaffen bauen könnten. Dies tut der Iran beispielsweise als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrag gänzlich innerhalb dessen Rahmen. Solange die Iraner den Nicht-Verbreitungsvertrag einhalten, ihre Anlagen für Kontrollbesuche der Inspekteure der internationalen Atomenergieagentur (IAEA) zugänglich halten und kein Spaltmaterial für militärische Zwecke abzweigen, besteht keine dringende Gefahr. Doch sobald sie den atomaren Kreislauf gemeistert haben, könnten sie - wie es Nordkorea in den letzten Jahren vorgemacht hat - unter Verweis auf das Recht auf Selbstverteidigung aus dem Atomwaffensperrvertrag austreten und anfangen, Nuklearsprengköpfe zu bauen. Deswegen verlangen die USA und ihre Verbündeten von Teheran den Stopp der Urananreicherung, damit die Iraner niemals den Punkt erreichen, an dem sie aus dem Nicht- Verbreitungsvertrag "ausbrechen" könnten, wie es im rüstungspolitischen Jargon heißt.

Diese komplizierte Situation ist auch der Grund, warum die Regierung Barack Obamas, die den Atomstreit mit dem Iran auf diplomatischen Wege beilegen will, in den letzten Monaten ganz vorsichtig das Thema der israelischen Atomwaffen angeschnitten und einen Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag angeregt haben. Auch wenn ein solcher Schritt nicht automatisch bedeuten würde, daß Israel seine Kernwaffen abgeben müßte - schließlich hat Washington letztes Jahr die restlichen Unterzeichnerstaaten des Nicht-Verbreitungsvertrags dazu gebracht, das umstrittene Abkommen zwischen den USA und der inoffiziellen Atommacht Indien über nukleare Zusammenarbeit hinzunehmen -, trotzdem würde er den Handlungsspielraum Tel Avivs einschränken. Israel müßte zumindest die IAEA-Inspekteure ins Land lassen und ihnen eine genaue Aufstellung seines Atomwaffenarsenals übergeben.

Folglich wäre es nicht völlig abwegig, in den jüngsten Äußerungen Uzi Arads eine Reaktion auf die bemerkenswert offene Stellungnahme, welche die Stellvertretende US-Außenministerin Rose Gottemoeller bei einer IAEA-Konferenz Anfang Mai in Wien abgegeben hat, zu sehen. In einem Interview, das Arad der israelischen Tageszeitung Maariv gegeben hat und in deren Ausgabe von 10. Juli erschienen ist, entwarf der Leiter des Nationalen Sicherheitsrats Israels ein Schreckensszenario, wonach der Iran in den Besitz der Atombombe gelänge, woraufhin mehrere andere Staaten in der Region - als mögliche Kandidaten werden seit Jahren Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien und der Türkei gehandelt - ebenfalls sich eine Kernwaffenfähigkeit zulegten. Für Israel wäre dies ein "Alptraum", so Arad. Ohne Israels Atomwaffenarsenal beim Namen zu nennen und damit den Boden von Tel Avivs "strategischer Ambiguität" zu verlassen, schlug Arad für einen solchen Fall folgendes vor: "Die Verteidigungskapazität, die wir haben könnten, müßte verbessert und derart mächtig ausgebaut werden, daß wir eine Situation schaffen, in der es niemand wagt, uns Schaden zuzufügen. Und selbst wenn sie es doch tun, werden wir den vollen Preis abverlangen, so daß auch sie nicht überleben werden." Das sind Worte, die leider eher dazu beitragen werden, das befürchtete nukleare Wettrüsten im Nahen Osten anzukurbeln, als es einzudämmen.

11. Juli 2009